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In Deutschland droht der Glasfaser-Kollaps

Hierzulande liegt die Abdeckung mit Glasfaser bei 19 Prozent der Haushalte unverkennbar unter dem EU-Schnitt von 56 Prozent. Nach dem Hype der vergangenen Jahre rutscht die Glasfaserbranche mit Wucht in die Krise.

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Außenministerin Annalena Baerbock vermittelt aktuell im Kaukasus und will die Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan an den Verhandlungstisch bringen. Auch spricht sie den Bau eines Unterseedatenkabels durch das Schwarze Meer an. Dieses Vorhaben könne als Teil des sogenannten „Global Gateway“-Programms der EU die beiden Staaten untereinander und auch Europa näherbringen. Die Europäische Investitionsbank stehe bereit, fast die Hälfte der Gesamtkosten in Höhe von 45 Millionen Euro zu übernehmen.

Währenddessen droht hierzulande der Glasfaserkollaps. Nach dem Hype der vergangenen Jahre rutscht die Glasfaserbranche in die Krise. Manche Anbieter stehen vor der Pleite. Bis 2030 soll in jedem Haus in Deutschland eine Glasfaserleitung liegen. … Doch „die Euphorie des Anfangs ist vielfach einer tiefen Ernüchterung gewichen. Ausländische Investoren erwägen bereits, den deutschen Markt wieder zu verlassen. Kleineren Firmen droht sogar das „Aus“. Selbst große Glasfaseranbieter haben Mühe, ihre Ausbaupläne ‚bis ins Haus‘ pünktlich umzusetzen – und zu finanzieren“, berichtet das Handelsblatt. „Der Glasfasermarkt kollabiert gerade“, so der Geschäftsführer eines großen Anbieters.

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Frappierend: Bereits im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition 2013 hieß es: Schnelles Internet für alle! „Union und SPD [streben] deshalb eine flächendeckende Breitbandversorgung mit Geschwindigkeiten von mindestens 50 Mbit/s bis 2018 an.“ Nun ist Breitbandversorgung nicht notwendigerweise identisch mit Glasfaser. Zum stationären Breitband zählen Anschlüsse via Glasfaser, VDSL und Kabel. Die modernste und derzeit schnellste Breitband-Technologie zur Übertragung von Daten ist jedoch Glasfaser.

Inzwischen liegt die Abdeckung hierzulande mit 19 Prozent der Haushalte unverkennbar unter dem EU-Schnitt von 56 Prozent. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland beim schnellen Internet hinterher. Nahezu alle OECD-Länder kommen beim Ausbau schneller voran. In unserer Republik läuft es derart miserabel, dass die EU-Kommission im September „sehr schwere Mängel“ beklagte.

Nun kommt ans Tageslicht: Bei vielen Glasfaseranbietern soll es Probleme geben. Der Ausbau kommt nicht wie geplant voran. Grund seien die gestiegenen Leitzinsen der EZB, die Inflation und mithin höhere Finanzierungskosten, heißt es. Viele Kunden müssten deshalb länger auf ihren Anschluss warten als geplant. Die Telekom, der größte Betreiber des Glasfaser-Ausbaus in Deutschland, hatte zwar zuletzt im September 2023 die Zahl der versorgten Haushalte um 242.000 auf 6,9 Millionen gesteigert.

Doch die Telekom und ihre Konkurrenten verlegen teilweise Kabel doppelt und verwehren sich gegenseitig den Zugang. Heißt: Es besteht ein völlig unkoordinierter Glasfaser-Ausbau. Und das nennt sich „Überbauaktivitäten“. Die Hälfte der Glasfaser-ausbauenden Unternehmen des Verbandes berichten von Überbau-Aktivitäten oder entsprechenden Plänen der Deutschen Telekom in ihrem jeweiligen Netzgebiet. Es müsse ein gesetzliches Verbot für doppelten Glasfaser-Ausbau geben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete: Das Unternehmen habe einen Wettbewerbsvorteil, der den Netzausbau behindere, statt ihn voranzutreiben.

Mit ein Grund für die Misere: „Zwar haben Telekom und ihre Konkurrenten für das nationale Glasfaserprojekt in den kommenden Jahren 50 Milliarden Euro zugesagt. Aber Geld ist gar nicht das Problem. Die Unternehmen finden schlichtweg nicht genügend Bautrupps und Bagger, um den Boden umzugraben. Selbst mithilfe von Tiefbauern aus Süd- und Osteuropa gelingt ihnen das nicht. Deshalb müssen sie vorsortieren und entscheiden, wer seinen Glasfaseranschluss jetzt bekommt und wer später“, kolportiert die Welt.

Dennoch sieht der Bundesverband Breitbandkommunikaton (Breko) Deutschland „auf einem guten Weg“. „Dank 4,6 Millionen neu erschlossener Haushalte, Unternehmen und öffentlicher Einrichtungen ist die Glasfaserquote seit Juni 2022 um neun Prozentpunkte auf 35,6 Prozent gestiegen.“ Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Zahlen geben mitnichten die Anzahl der Glasfaseranschlüsse wieder. Wenn Politiker und Unternehmen über die Glasfaserquote sprechen, die nun bei 35,6 Prozent liegen soll, meinen sie damit Haushalte, die in der Nähe einer Glasfaserleitung liegen, und teilen sie durch die Zahl aller Haushalte, Unternehmen und Behörden in Deutschland.

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Indessen erklärte das Bundesdigitalministerium auf Anfrage des Handelsblatts: Die „Ziele der Gigabitstrategie halten wir weiterhin für realistisch“. Die Branchenverbände Anga, Breko und VATM teilten dem Handelsblatt mit, das Ausbauziel für 2030 sei zwar „sehr ambitioniert, aber theoretisch machbar“. Die Unternehmen arbeiteten „mit Hochdruck“ darauf hin. Auf Branchenveranstaltungen wurden jedoch immer mal wieder Zweifel an den Planungen geäußert.

Fakt ist: Probleme soll es laut Handelsblatt auch bei den Joint Ventures OXG und GlasfaserPlus geben, was Vodafone und Telekom zurückgewiesen haben. Vodafone hatte zusammen mit dem Netzbetreiber Altice OXG Glasfaser gegründet. Vom Frühjahr 2023 an wollten die Vodafone Group und Altice sieben Milliarden Euro in den Netzausbau in Deutschland investieren. Das gemeinsame Unternehmen besitzen die Partner jeweils zur Hälfte. Der Ausbau soll über die kommenden sechs Jahre in rund sieben Millionen Haushalten erfolgen.

Ausländische Geldgeber, wie die britische Infrared Capital Partners, erwägen laut dem Bericht bereits, den deutschen Markt wieder zu verlassen. Infrared ist einer der Geldgeber der Deutschen Giganetz mit Sitz in Hamburg und wurde von der kanadischen Sunlife-Versicherungsgruppe übernommen.

Die Telekom hatte im November 2021 das Gemeinschaftsunternehmen GlasfaserPlus mit dem australischen IFM Global Infrastructure Fund gegründet. Das Joint Venture soll bis 2028 vier Millionen zusätzliche FTTH-Anschlüsse (Fiber to the Home) im ländlichen Raum und in Fördergebieten ausbauen. Man wolle mindestens sechs Milliarden Euro investieren.

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