Im Handel tun sich derzeit Lücken in den Regalen auf. Laut Handelsblatt fehlen der Heimwerkerkette Bauhaus Rohstoffe wie Holz und Metall, aber auch Elektroartikel. Lidl, Aldi Nord und Aldi Süd beklagen, dass Aktionsware verspätet eintrifft. Der Grund: Die Container-Schifffahrt ist außer Takt geraten. Die Frachtraten auf den Routen von Shanghai in den Westen sind so hoch wie seit mindestens zehn Jahren nicht. “Alle Zahlen, die ich habe, deuten auf einen historischen Rekord hin”, meint Jan Hoffmann, der den Bereich Handelslogistik der UNO-Organisation Unctad in Genf leitet. Und Axel Mattern, Chef der Vermarktungsorganisation des Hamburger Hafens, stellte gegenüber dem Handelsblatt fest: “Die Verzögerungen sind enorm.”
Ursache ist nicht nur die Havarie des Container-Schiffes Ever Given, denn bereits zuvor waren die Frachtraten sehr stark gestiegen. Laut Jan Hoffmann ist vor allem die plötzlich anziehende Nachfrage aus Europa und Asien schuld. “Zu Beginn der Corona-Krise ging die Containerfracht-Nachfrage stark zurück. Die Reeder reduzierten ihre Kapazitäten. Seit dem Herbst wächst die Wirtschaft aber schneller als gedacht”, sagt er. Statt Geld für Reisen, Restaurants oder Museen-Besuche auszugeben, kauften die Leute Konsumgüter und Elektronik, die oft aus Asien per Schiff kämen.
Die Logistikketten seien auf den plötzlichen Nachfrageschock nicht ausgerichtet. Leere Container stünden an Orten, wo sie nicht gebraucht würden und fehlten in China. Zudem seien die Umschlagekapazitäten der Häfen begrenzt. “Aktuell beträgt die Wartezeit für einige Schiffe eine Woche oder länger. Das können wir auf dem Seeweg kaum aufholen”, erklärt Seifert. Den Häfen fehle Personal, unter anderem wegen Covid-Erkrankungen und Quarantäne-Regeln. Auch dürften sich mancherorts Schichten nicht treffen, um Ansteckungen zu vermeiden. Dazu kämen Engpässe in der Logistik zu Land, etwa seien zeitweise LKWs knapp gewesen, unter anderem aufgrund von Testpflichten für Fahrer.
Spediteure kritisieren, dass die Reedereien das Fracht-Angebot absichtlich verknappten, um die Preise nach oben zu treiben. Laut Branchenkenner Hoffmann stimmt das aber nur für den Beginn der Corona-Krise. “Derzeit ist den Reedereien nichts vorzuwerfen. Die Allianzen haben eher Einfluss auf die Hafenkonditionen”, sagt er. Weltweit liegt das Geschäft mit Containerfracht bei wenigen Reedereien. Drei Allianzen teilten sich 80 Prozent des Markts auf, berichtet Hoffmann. Das seien das Bündnis “2M” der weltgrößten Reedereien Maersk (Dänemark) und MSC (Schweiz), “The Alliance” mit Hapag-Lloyd und asiatischen Reedereien sowie “Ocean Alliance”, ein Zusammenschluss von CMA CGM (Frankreich), Evergreen (Taiwan) und Cosco (China).
Laut Hoffmann verdienten die Reedereien in den vergangenen Jahren wenig und Kapazitäten blieben ungenutzt. Um Kosten zu senken, bildeten sie Allianzen. Hoffmann geht davon aus, dass die Schiffe um zehn Prozent mehr ausgelastet seien aufgrund der Bündnisse.
Mit einer raschen Nachfrageberuhigung rechnet der Konzernsprecher indes nicht. “Wir vermuten eine schrittweise Normalisierung im zweiten Halbjahr, tendenziell im dritten Quartal”, sagt er. Die Prognose sei aber wegen Corona mit großer Unsicherheit behaftet. Hoffmann vermutet ebenfalls, dass die Frachtraten noch einige Zeit hoch bleiben. Zum einen sei nicht davon auszugehen, dass die Corona-Krise rasch vorbei sei. Zum andern stoße der Trend, seit 20 Jahren immer größere Containerfrachter zu bauen, um etwa Kosten für das Personal zu senken, an eine technologische Grenze. Ungemach droht außerdem durch die politisch forcierte Dekarbonisierung. “Langfristig braucht es eine neue CO2-arme Antriebstechnologie, kurzfristig müssen die Schiffe langsamer fahren”, sagt Hoffmann.