Die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine ausgelöste Energiekrise droht der Bundesregierung um die Ohren zu fliegen. Denn durch die Gas- und Energieknappheit hat sich inzwischen eine gigantische Inflationswelle aufgebaut, die erst in Umrissen erkennbar ist. Noch ist sie nicht mit voller Wucht bei den Verbrauchern angekommen.
Die Bundesbank rechnet seit einigen Wochen mit einer Verbraucherpreisinflation im zweistelligen Bereich, da im September preisdämpfende Maßnahmen zurückgenommen wurden. Im Eiltempo haben nun die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen für das nächste Jahr nach oben korrigiert. Sie gehen inzwischen davon aus, dass die Inflation bis Ende nächsten Jahres im Bereich von zehn Prozent liegen wird. Aber auch das dürfte nicht die letzte Revision gewesen sein. Denn der preistreibende Energiemangel wird – selbst wenn die deutsche Wirtschaft eine harte Rezession erlebt – für die nächsten Jahre bestehen bleiben. Denn weder die notwendige Infrastruktur noch die erforderlichen Gaslieferungen stehen in Aussicht, um den Ausfall der russischen Gaslieferungen zu kompensieren.
Festhalten an obsoleten Denkmustern
Die Politik reagiert in Anbetracht dieser Entwicklungen nicht weniger kopflos als Zentralbanken und Ökonomen, die nun wiederholt einräumen mussten, dass sie sich über die Inflationsentwicklung geirrt hatten. Die Zentralbanken sind inzwischen dazu übergegangen, ihre Inkompetenz bei der Inflationsabwehr öffentlich zu machen. Wohl um die bei der Inflationsbekämpfung passive EZB aus der Schusslinie zu nehmen, betonte Bundesbankpräsident Joachim Nagel kürzlich, dass die Stärke des Inflationsanstiegs nicht etwa nur die Notenbanken, sondern die „gesamte Fachwelt überrascht“ habe. Haufenweise Fehler gab und gebe es in der Inflationsbewertung, so Nagel weiter, denn bis Mitte 2021 habe man „die Inflation überschätzt, seitdem haben wir sie unterschätzt“.
Aber auch die Bundesregierung beweist – ähnlich wie andere europäische Regierungen und die EU-Kommission – ihre Unfähigkeit, mit der prekären Situation umzugehen, indem sie sich auf gewohnte Rituale und politische Verhaltensmuster zurückzieht, die in den letzten Jahrzehnten geeignet schienen, die zugrundeliegenden Probleme zu übertünchen. Hervorstechend ist dabei, dass man glaubt, die akute Energiekrise, deren Ursachen in der ökologischen Klimapolitik liegen, mit diesen Rezepten beheben zu können. Nicht weniger bedeutend ist der mit steigender Heftigkeit der Krise umso stärkere Rückfall auf die Idee der Verteilungsgerechtigkeit, anstatt den Ursachen dieser Krisen auf den Grund zu gehen. Umverteilung und vor allem die Rhetorik sozialer Gerechtigkeit waren in den letzten Jahrzehnten die Scheinlösung für jede Krise, obwohl immer deutlicher wird, dass die Verteilungsmasse erodiert ist und ihre Reste sich aktuell wegen des steigenden Energiepreisniveaus auflösen.
Noch immer Gas, Öl, Kohle
So ist die dringend notwendige Bekämpfung des Preisanstiegs, aus dem sich die EZB mit dem Verweis auf ihre Inkompetenz bisher praktisch herausgehalten hat, weil sie mit Zinsanhebungen hochverschuldete Staaten und Unternehmen in die Bredouille bringen würde, zu einem Überbietungswettbewerb der Umverteilungspolitiker geworden. Man suggeriert oder glaubt tatsächlich, die Erwerbstätigen und Transferleistungsempfänger mit Hilfe von staatlichen Maßnahmen wie Preisdeckelung, Geldprämien, Steuererleichterungen, Neun-Euro-Ticket usw. gegenüber Reallohnverlusten abschirmen zu können. Auf dieser Vorstellung basiert auch die aktuelle Lohn- und Gehaltsforderung der IG Metall. Da viele Unternehmen in der aktuellen Situation Lohnsteigerungen im Bereich der Verbraucherpreisinflationsrate nicht verkraften könnten, fordert sie keinen Inflationsausgleich bei den Tariflöhnen, sondern vertraut darauf, dass staatliche Umverteilung die Reallohnverluste ausgleichen wird.
Zwar spült die Inflation enorme Geldmengen in die Staatskassen, denn mit fortschreitender Inflation steigen die Staatseinnahmen wegen der Steuerprogression sogar überproportional an. Die enormen Geldsummen, die jedoch erforderlich wären, um die Inflation durch Preissenkungen zu kompensieren, überfordern die Möglichkeiten des deutschen Staats bei weitem. Denn auch das mit etwa 65 Milliarden Euro dotierte inzwischen dritte Entlastungspaket ist nichts im Verhältnis zu den hunderten Milliarden, die erforderlich wären, um die Verbraucher und die vielen Unternehmen, die vor dem wirtschaftlichen Aus stehen, vor dem sich voraussichtlich über Jahre fortsetzenden Preisauftrieb zu bewahren. Problematisch ist diese Herangehensweise zudem, weil sie die Nachfrage hochhält und so die Inflation zusätzlich anheizen kann.
Deutschlands Wohl und Wehe hängt nach wie vor von der Verfügbarkeit möglichst preiswerter fossiler Energie ab. Denn Windkraft und Photovoltaik, die beiden Standbeine der ökologischen Klimapolitik, die in gut 20 Jahren praktisch den gesamten Energiebedarf decken sollen, bringen es noch immer erst auf einen Gesamtanteil von nur etwa fünf Prozent des Primärenergieverbrauchs. Die verstärkte Nutzung von Windkraft und Photovoltaik zur Stromerzeugung hat die ohnehin große Abhängigkeit von fossilen Energien sogar noch erhöht. Gaskraftwerke sind nun unverzichtbar, denn vor allem sie gleichen den nur volatilen Strom der Erneuerbaren aus und sorgen dafür, dass Strom bedarfsgerecht und nicht den Launen der Natur entsprechend verfügbar ist.
Habeck spielt Va banque
Zur Lösung der akuten Energienotlage, mit ihrem drastisch verknappten Angebot und zusätzlich der fehlenden Infrastruktur zur Anlieferung von nicht-russischem Gas, müssten alle Hebel in Gang gesetzt werden, um alle erdenklichen Energiequellen anzuzapfen und so das Energieangebot wieder auszuweiten und die Verfügbarkeit und Preise prognostizierbar zu machen. Energieverbraucher könnten sich dann anpassen, etwa indem sie ihren Gasbedarf durch die Nutzung von Öl oder Kohle substituieren. Private Verbraucher könnten etwa dazu bewegt werden, von teurer Gasbeheizung Abstand zu nehmen und zumindest übergangsweise auf relativ billigere elektrische Heizenergie umzustellen.
Habeck folgt stattdessen der Logik und den seit Jahrzehnten eingetretenen Pfaden der ökologischen Klimapolitik. Er beabsichtigt, den Ressourcenmangel, entsprechend dem ökologischen Dogma, durch mehr Sparsamkeit zu überwinden. Seine Agenda besteht darin, nicht etwa das Angebot mit allen verfügbaren Mitteln auszuweiten, sondern den Verbrauch zu drosseln.
Um dies zu erreichen, nimmt er den akuten Preisauftrieb sogar billigend in Kauf. Denn die hohen Preise sind letztlich die Peitsche, mit der die privaten wie auch gewerblichen Verbraucher zur Sparsamkeit gezwungen werden. Letztlich basiert darauf die Hoffnung, dass es erst gar nicht zu einer Rationierung von Energie kommt. Wenn die Preise wegen des knappen Angebots weiter nach oben schießen, gibt es immer weniger Verbraucher – egal ob Unternehmen oder private Haushalte –, die diese Preise überhaupt noch zahlen können. Und das ist längst der Fall: Die vielfach gefeierte Tatsache, dass vor allem die Industrie gegenüber dem Vorjahreszeitraum ihren Gasverbrauch bereits deutlich reduziert hat, ist hauptsächlich auf Produktionsverlagerungen ins Ausland und Stilllegungen bis hin zu Betriebsaufgaben zurückzuführen.
Klimapolitik im Zeitraffer
Erst dann werden zusätzliche Anstrengungen zur weiteren Senkung des Energieverbrauchs durch kostspielige Energieeffizienzmaßnahmen ökonomisch sinnvoll. Die Senkung des Energieverbrauchs, sei es durch Effizienzsteigerungen oder Produktionsstilllegungen, ist zum Gelingen der ökologischen Klimapolitik jedoch zwingend erforderlich. Denn nur, wenn massive Einsparungen des Energieverbrauchs erfolgen und der Pro-Kopf Energieverbrauch kontinuierlich gesenkt wird, wäre es überhaupt denkbar, dass die in Deutschland – aber auch global – nur limitiert verfügbaren Mengen an Wind und Sonnenstrahlen ausreichen, um die Energieversorgung zu gewährleisten.
Die wirtschaftspolitische Reaktion der Bundesregierung auf die akute Energiekrise ist desaströs, weil sie deren Ursachen nicht behebt, sondern glaubt, die bisherige Richtung der ökologischen Klimapolitik beibehalten zu können. Mit dem politisch sogar provozierten, extrem rapiden Energiepreisanstieg nimmt die aktuelle Energiekrise die langfristigen Folgen der ökologischen Klimapolitik jedoch lediglich vorweg. Im Zeitraffertempo zeigen sich nun die Folgen dieser Klimapolitik. Dennoch ist fraglich, ob die Bundesregierung von diesem Kurs abweicht, denn diese wohlstandsvernichtende Politik beruht auf einem inzwischen fest gefügten Elitenkonsens, der insbesondere auch von den führenden Kreisen in Industrie und Gewerkschaften geteilt wird. Es wird Zeit, dass das Volk rebelliert.
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.