Der Titel der Studie klang heftig: »Wie Bayer die europäische Unternehmensbesteuerung manipuliert«. Die Ziele tönten edel und hehr: Um mehr Steuergerechtigkeit solle es bei der jüngsten Aktion des grünen Europa-Abgeordneten Sven Giegold gehen. Der ist Sprecher seiner Fraktion im Europaparlament und beauftragte in ihrem Namen zwei Autoren mit einer Studie, wie sich der deutsche Konzern Bayer in Steuerschlupflöchern zu verstecken versucht. Herauskommen sollte, wie das Unternehmen Gewinne zwischen Staaten verschiebe, um seine Steuerbelastung zu senken.
Ein schöner Propagandacoup, um den deutschen Chemieriesen an der Nase herumzuführen. Der ist sowieso bereits angeschlagen, weil Giegold und seine Grünen einen heftigen Feldzug gegen Glyphosat führen. Dieses Unkrautvernichtungsmittel aus dem Hause Bayer/Monsanto ist das einzige effektive Produkt für Landwirte in aller Welt, die das für ihre Arbeit auf den Äckern dringend benötigen. So gut wie Glyphosat wurde in den vergangenen 40 Jahren kaum eine andere Substanz untersucht, dennoch gelang es NGOs, die von amerikanischen Bioketten bezahlt wurden, dass Mittel in Verruf zu bringen.
Giegold, der sich einst über den Glyphosat-Gehalt in seinem Urin von 1,9µg/ Liter beklagte (»Ich schwöre, am Bier liegt es nicht!«) versprach sich von der Steuervermeidungs-Fallstudie gute Argumente für seinen heroischen Kampf gegen internationale Industriegiganten.
Amerikanische Konzerne wie Amazon und Facebook sollen es bekanntlich mit der Steuerehrlichkeit in Europa nicht so sehr haben und vor allem in Ländern wie Deutschland kaum Steuern bezahlen. Da lässt sich Bayer bestimmt auch etwas anhängen; dazu lässt Giegold die Studie schon einmal befreundeten Redaktionen wie dem ZDF heute Journal und der Süddeutschen Zeitung vorab zuschicken. Die wiederum fragten am Mittwoch bei dem Chemiekonzern an, wie man denn dort die Studie kommentieren wolle. Ein ZDF-Kamerateam soll am Donnerstag sogar auf der Suche nach verräterischen TV-Bildern vor den Werkstoren in Monheim angerückt sein.
»Eine wachsende Zahl von Fallstudien, Gerichtsverfahren sowie die aufkommende Analyse von Länderberichten zeigen«, so steht es immerhin in der Studie, »multinationale Konzerne quer durch viele Branchen und Länder nutzen Buchhaltungstricks, um ihre Gewinne in Unternehmenssteueroasen zu verschieben. Dadurch verschaffen sie sich einen unfairen Wettbewerbsvorteil gegenüber den lokalen Unternehmen und entziehen den Ländern, in denen sie tätig sind, wichtige Ressourcen zur Aufrechterhaltung ihrer Gesundheitssysteme und zur Bekämpfung des Klimawandels.«
Hauptvorwurf in der Studie gegenüber dem Leverkusener Konzern: »Die Bayer AG ist da keine Ausnahme. Wie viele andere große multinationale Konzerne hat Bayer Niederlassungen in mehreren Steuerparadiesen – darunter 27 in den Niederlanden sowie 15 in den innerdeutschen Steuerparadiesen Monheim und Schönefeld.« Der Begriff vom Steuerparadies Monheim überrascht denn doch ein wenig. Mit Liechtenstein und Monaco haben sich die Monheimer bisher eigentlich nicht so richtig verglichen.
Bayer lud im Gegenzug am Freitagvormittag die beiden Autoren und den Europa-Abgeordneten Giegold mit Medienvertretern zu einer Diskussion auf die Social Media Plattform Clubhouse. Einer der beiden Autoren der Studie, Christoph Trautvetter, war akustisch zugegen, sowohl sein Schreibkollege als auch der Europa-Abgeordnete kniffen.
Bernd-Peter Bier, Chef der Bayer-Finanzabteilung, platzte hörbar der Kragen. In der Studie heiße es, Bayer habe seinen durchschnittlichen globalen effektiven Steuersatz durch Gewinnverlagerungen systematisch verringert. Doch nach eigener Aussage der Autoren lag der effektive Steuersatz von Bayer im Mittel der vergangenen zehn Jahre bei 23,8 Prozent. Bier frappiert: »Das ist über dem Durchschnittssteuersatz in der EU! Worin soll also hier der konkrete Vorwurf bestehen?«
Drei Milliarden Euro Steuern soll Bayer durch Gewinnverlagerungen gespart haben, so der Vorwurf des von Giegold beauftragten Trautvetter. Diese Milchmädchenrechnung hieße Äpfel mit Birnen vergleichen, warf ihm Bier vor. Die lasse die tatsächliche lokale Wertschöpfung außer acht sowie die Kosten, die auf Basis der lokalen Steuergesetze zum steuerpflichtigen Ergebnis führten.
Immer wieder höre er von den gleichen angeblichen Steuerparadiesen, den Niederlanden und dem US-Bundesstaat Delaware. In Delaware würden die Bundessteuern mit 21 Prozent für Unternehmen ohne lokale Steuern auf einem Niveau liegen, das dem Durchschnitt der Besteuerung in Europa entspricht. In den Niederlanden sei Bayer mit seinem wichtigen Bereich des Gemüsesaatgutes deshalb vertreten, weil dort die wichtige Kundschaft sitze, eben die Gemüsebetriebe.
Bier: »Bei dem Papier der Grünen handelt es sich um einen reinen PR-Stunt – mit dem einzigen Zweck, ihren steuerpolitischen Forderungen mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. Freilich ist nichts dagegen einzuwenden, dass sich eine Partei zur Steuerpolitik äußert. Aber es ist bedauerlich, dass dies auf Kosten von Unternehmen geschieht, die maßgeblich zu Wachstum und Wohlstand beitragen.« Bayer erziele in Deutschland nur noch sechs Prozent des Konzernumsatzes, beschäftige jedoch ein Viertel aller Mitarbeiter und entrichte 50 Prozent der globalen Unternehmenssteuern in der Bundesrepublik.
Der verdutzte Trautvetter verwies lediglich auf den »Entwurfscharakter« der Studie. Sie sei ja noch nicht »freigegeben«, meinte er verlegen. Allerdings: Die Studie lag den Redaktionen bereits seit Anfang der Woche zur Vermarktung vor. Am Donnerstag meinte Trautvetter hingegen, es sei doch nur ein Entwurf.
Was bleibt? Das alte Muster der Denunziation: Mit einer zweifelhaften Studie wurde etwas in die Welt gesetzt, gleichgültig, ob wahr oder nicht, und dies sollte einfach so lange wiederholt werden, bis es alle glauben. Nach diesem Muster bekämpfen Giegold und grüne NGOs unter anderem auch Glyphosat.