Tichys Einblick

Geschäftsklima und Börsen: Der unbedingte Wille zum Optimismus

Das ifo-Geschäftsklima offenbart wie andere Umfragen und auch die aktuellen Börsen eine seltene Diskrepanz zwischen düsterer Gegenwart und hellen Hoffnungen. Deren Fundament ist mehr als wackelig.

Aus Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ ist in der Wirtschaft und vor allem an den Aktienmärkten offenbar die Pflicht zum Optimismus geworden. Vom vielerseits befürchteten zweiten großen Einbruch nach dem Corona-Crash von Ende Februar ist kaum noch die Rede. Stattdessen sind die wichtigen Aktienindizes, Dax inklusive, seit Wochen wieder in einem relativ kontinuierlichen Aufwärtstrend. Seit vergangener Woche ist er bis auf zwei kurze Ausrutscher wieder deutlich über 11000 Punkten. Die Anleger wollen offenbar einfach daran glauben, dass noch in diesem Jahr ein Impfstoff gegen das Corona-Virus bereitstehe – und dann alles wieder so weitergehe wie vor der Pandemie.

Jetzt ziehen offenbar auch die deutschen Unternehmen nach, wenn auch noch eher verhalten. Die Stimmung unter den deutschen Unternehmern und Managern hat sich laut Ifo-Geschäftsklimaindex nach den katastrophalen Vormonaten etwas erholt. In der monatlichen Umfrage unter Unternehmern und Managern schätzen diese ihre aktuelle Lage noch schlechter ein als im April. Der Index sank von 79,4 auf 78,9 Punkte. Für die Zukunft erwarten die Unternehmenslenker aber eine Erholung: Dieser Teilindex stieg von 69,4 auf 80,1 Punkte. Damit steig das ifo Geschäftsklima insgesamt auf 79,5 Punkte, nach 74,2 Punkten im April.

„Das Wiederanfahren der Wirtschaft ist für viele Unternehmen ein Silberstreif am Horizont“, sagte Thomas Gitzel, Chef-Volkswirt der VP Bank, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Er selbst erwartet keine rasche Rückkehr auf das Vorkrisen-Niveau, da sich die Folgen der Pandemie aber immer noch nicht abschätzen ließen.

Eine ähnliche Spaltung zwischen düsterer Gegenwartsbeschreibung und scheinbar unbedingtem Willen, eine helle Zukunft zu sehen, hatte in der vergangenen Woche auch der Index des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung ZEW offenbart. Das Barometer der Erwartungen von 202 Analysten und professionellen Anlegern für die nächsten sechs Monate stieg im Mai um 22,8 auf plus 51 Punkte. Eine solche Diskrepanz zwischen gegenwärtiger Wirklichkeit und Hoffnung erinnert an die Lage von 2009.

Damals erfüllte sich die Hoffnung. Nach der Krise erlebte die Weltwirtschaft, nicht zuletzt die deutsche, eine zehnjährige Boomphase. Und die Aktienmärkte erst recht. Die meisten heutigen Akteure sind vermutlich durch diese Erfahrung geprägt und glauben eine ähnliche Entwicklung wiederholen zu können.

Die Zukunft selbst allerdings pflegt sich nicht immer an der Vergangenheit zu orientieren – das ist das Drama aller Ökonomen und vor allem Konjunkturforscher mit ihren mathematischen Formeln. Die künftige Entwicklung der Pandemie ist nur eine von mehreren Unwägbarkeiten, die die Lage 2020 von der Lage 2009 unterscheiden. Eine zweite Pandemie-Welle hätte zweifellos fatale Folgen.

Als Faktoren der Instabilität kommen unter anderem hinzu: Eine – noch – viel höhere Verschuldung der meisten staatlichen Haushalte und vieler Unternehmen. Vor allem kommt dazu aber die anhaltend lockere Geldpolitik mit Null- oder sogar Negativzinsen, die damals eine Antwort der Zentralbanken war, aber nie korrigiert, sondern einfach bis jetzt fortgeführt wurde. Der Grad der Zombifizierung der Unternehmenswelt ist auch dank dieser Verfügbarkeit billigen Geldes stark gestiegen. Und nun kommt auch noch der jüngste Kälteeinbruch in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen dazu. In den USA werden schon Szenarien einer grundlegenden De-Globalisierung oder zumindest Trennung zwischen chinesischer und amerikanischer Wirtschaftswelt und auch eines neuen Kalten Krieges vorgedacht.

Nein, es gibt genug Indizien dafür, diesen aktuellen Optimismus für nicht besonders fundiert zu halten. Er ist ein Kartenhaus, das beim kleinsten Windstoß ganz in sich zusammenfallen könnte. Stabilität ist derzeit das knappste Gut in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

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