Die Euphorie an den Märkten ist ein Kontrapunkt zu den Schwierigkeiten der realen Welt. In den USA bewegen sich die Corona-Fallzahlen auf Rekordniveau, und dennoch steigen die Aktienkurse scheinbar ohne Ende. Die Leitbörse in New York rennt, der breite US-Index S & P 500 hat soeben das 30. Rekordhoch des Pandemie-Jahres 2020 markiert. Die Diskrepanz lässt sich auf das Grundprinzip des Börsenhandels zurückführen: Hier wird die Zukunft gehandelt. An der Wall Street setzen Investoren nicht nur auf Impfstoffe und die Rückkehr zur Normalität, sondern auch auf die nächste Geldspritze für die Wirtschaft. Im Kongress wird über ein weiteres staatliches Stimuluspaket von rund 900 Milliarden Dollar verhandelt. Allerdings warnen viele Analysten inzwischen vor einer anstehenden Korrektur. Laut US-Investmentbank Goldman Sachs sind US-Investoren sehr stark in Aktien investiert. Auch ein weithin beachteter Sentiment-Indikator, das Verhältnis gehandelter Puts zu Calls an der Chicagoer-Terminbörse CBOE, signalisierte jüngst so große Euphorie wie seit zwei Jahrzehnten nicht. Gut möglich, dass es bald mal einen Rücksetzer gibt.
Einen kleinen Vorgeschmack gab es am Freitag. Der drohende bundesweite Lockdown noch vor Weihnachten und das mögliche Scheitern eines Brexit-Abkommens setzten den DAX zum Ende der Börsenwoche unter Druck. Der deutsche Leitindex ging 1,4 Prozent schwächer bei 13.114 Punkten aus dem Handel. „Das sind nichts anderes als gesunde Gewinnmitnahmen“, beruhigte allerdings ein Börsianer.
Natürlich belastete den DAX die Tatsache, dass eine Einigung zwischen Großbritannien und der EU in den Brexit-Verhandlungen immer unwahrscheinlicher wird. Beide Seiten rüsten sich mittlerweile für ein Scheitern. Ein weiterer Belastungsfaktor für die Aktienmärkte war die anhaltende Stärke des Euro. Devisenanleger seien noch mit der Nachlese des EZB-Entscheids vom Donnerstag beschäftigt, sagte Portfoliomanager Andrew Mulliner vom Vermögensverwalter Janus Henderson. Die Aufstockung der Wertpapierkäufe sei im Rahmen der Erwartungen ausgefallen. Eine zusätzliche Ausweitung sei nicht in Sicht.
Den Platz an der DAX-Spitze sicherte sich zum Wochenschluss Delivery Hero. Gefolgt wurde der Essenslieferdienst von den Papieren von Vonovia und Deutsche Wohnen. Als Schlusslicht ging die Deutsche Bank aus dem Handel.
An der Wall Street zeigten sich Anleger ernüchtert, weil eine politischen Einigung auf ein weiteres Corona-Hilfspaket in den USA nach wie vor aussteht. Der Dow Jones Industrial mühte sich nach einem lust- und richtungslosen Handel zu einem Plus von 0,2 Prozent auf 30.046 Punkte. Damit setzte sich das Pendeln um die 30.000er Marke der vergangenen Tage fort. Auf Wochensicht steht für den Dow ein Minus von 0,7 Prozent zu Buche.
Zwar fiel das von der Universität Michigan ermittelte Konsumklima der US-Verbraucher im Dezember spürbar besser aus als erwartet. An der Börse überwogen aber die Sorgen. Der marktbreite S&P 500 schloss 0,1 Prozent im Minus bei 3.663 Punkten. Für den technologielastigen NASDAQ 100 ging es um 0,2 Prozent auf 12.375 Zähler nach unten.
Die Aktien des Mainzer Biotech-Unternehmens Biontech fielen um 1,7 Prozent und die des US-Partners Pfizer um 1,5 Prozent. Die US-Gesundheitsbehörde FDA arbeitet nach Aussage des US-Gesundheitsministers Alex Azar auf eine eine Zulassung des Corona-Impfstoffs hin. Schon in der kommenden Woche könnten erste Impfungen beginnen. Den Aktienkursen konnte das jedoch keinen Aufwärtsimpuls mehr geben.
Dass Walt Disney bis 2024 dank eines ausgeweiteten Angebots einen starken Anstieg der Abonnentenzahlen seiner Streaming-Sparte erwartet, ließ die Aktien des Unterhaltungsriesen um fast 14 Prozent auf ein Rekordhoch schießen. Walt Disney sei am besten aufgestellt, um als traditionelles Medienunternehmen mit den Internet-Giganten weltweit zu konkurrieren, sagte Analyst John Hodulik von der UBS.
Oracle verteuerten sich nach Quartalszahlen um 1,9 Prozent. Der Softwarekonzern konnte trotz der Corona-Krise den Umsatz steigern. Der Nettogewinn des SAP-Konkurrenten legte ebenfalls zu. Qualcomm büßten 7,4 Prozent ein. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete unter Berufung auf informierte Personen, dass Apple künftig selbst Modems für iPhones fertigen will. Bislang liefert Qualcomm diese an Apple.
In das insgesamt erfreuliche Bild der vergangenen Wochen passt, dass auch die Deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute positive Konjunkturdaten melden. So legte das Stimmungsbarometer des Mannheimer ZEW deutlicher zu als von vielen Experten erwartet. „Die Ankündigung baldiger Impfstoffzulassungen lässt die Finanzmarktexperten zuversichtlicher in die Zukunft blicken“, sagte ZEW-Präsident Achim Wambach. Gleichzeitig kommen gute Signale aus der deutschen Industrie, die ihre Produktion im Oktober bereits den sechsten Monat in Folge gesteigert hat. Die Gesamtproduktion lag 3,2 Prozent höher als im Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Montag in Wiesbaden mitteilte. Nach Einschätzung von Analysten zeigte sich „das Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ überraschend stabil in der zweiten Welle der Corona-Krise. Insbesondere in der Autoindustrie fiel der Produktionsanstieg stark aus. Deren Fertigung stieg im Oktober im Monatsvergleich um 9,9 Prozent.
Starke Unternehmen nutzen die Zeiten einer Marktschwäche, um ihre Position aggressiv weiter auszubauen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die börsennotierte US-Hotelgruppe Hyatt Hotels, die vergangene Woche trotz des für Touristikunternehmen extrem schlechten Umfelds umfangreiche Wachstumspläne für Europa Bekanntgabe. Demnach wird Hyatt bis Ende 2023 das Markenportfolio mit mehr als 20 bereits geschlossenen Management- und Franchise-Verträgen für neue Hotels an einigen der begehrtesten Reiseziele der Welt maßgeblich erweitern. Bisher ist Hyatt in Europa mit 63 Hotels, die unter neun verschiedenen Marken geführt werden, in 22 Ländern vertreten. Knapp 900 Millionen Euro will der Konzern in diese Offensive investieren. An Partnern mangelt es angesichts der Umsatzeinbrüche im Hotelsektor derzeit wohl nicht. „Aufgrund des heutigen außergewöhnlichen Geschäftsklimas suchen Besitzer von Einzelhotels verständlicherweise nach einer angesehenen Marke mit starken Vertriebskanälen für eine Zusammenarbeit“, sagt Peter Norman, Top-Manager bei Hyatt.
Japan will mit einem neuen Konjunkturpaket in Höhe von umgerechnet rund 600 Milliarden Euro die wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie bekämpfen. Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt hat bereits mit zwei Hilfspaketen mit insgesamt 2,2 Billionen Dollar versucht, die Auswirkungen der Pandemie für Haushalte und Unternehmen abzufedern. Vorgesehen sind Milliardenausgaben für den Klimaschutz, etwa für den Umstieg auf Wasserstoff. Schätzungen zufolge wird die japanische Wirtschaft in diesem Jahr wegen der Pandemie um etwa fünf Prozent einbrechen. Für 2021 wird ein Wachstum von 2,3 Prozent erwartet, für 2022 von 1,5 Prozent. An der Börse wird dieses Comeback allerdings schon in diesem Jahr ausgiebig gefeiert. Im Lauf des Jahres hat der Nikkei auch dank der finanziellen Stimuli von Regierung und Notenbank rund 14 Prozent zugelegt.