Mit vielen Schreckensszenarien haben sich Anleger arrangiert. In Europa droht ein harter Brexit, Donald Trump schwingt die Zollkeule — nach Westen Richtung China, nach Osten Richtung Europa. Die Wirtschaft der Eurozone schwächelt, die Konjunktur der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, China, hat Fehlzündungen. Nun aber schiebt sich eine weitere Bedrohungskulisse ins Bild: Die Nummer eins gerät offenbar ebenfalls ins Straucheln. Aus Industrie und verarbeitendem Gewerbe der USA werden Warnsignale gegeben, die einschlägigen Indikatoren notieren auf einem Niveau, das zuletzt im Sommer 2009 aufschien. Im Dienstleistungsbereich scheint sich die Schwäche jetzt ebenfalls zu manifestieren. An der Wall Street gingen Investoren in Deckung, in Frankfurt taten sie es ebenfalls. Der DAX hat eingebüßt und ist unter die 12 000-Punkte-Marke abgetaucht. Es ist indes noch vertrautes Terrain, erst Anfang September hatte der Index die Marke zurückerobert. Technisch ist alles okay: Die Notenbanken drehen den Geldhahn weiter auf. Viele wetten bereits darauf, dass die Fed großzügiger wird.
Vielleicht auch deshalb setzten die US-Aktienmärkte am Freitag ihren Erholungskurs vom Vortag fort. Es war zugleich das versöhnliche Ende einer verlustträchtigen Woche. Im Anlegerfokus standen die US-Arbeitsmarktdaten, die Licht und Schatten zeigten. Positiv war die Entwicklung der Arbeitslosigkeit, die auf den niedrigsten Stand seit 50 Jahren sank. Die Lohnentwicklung war jedoch hinter den Prognosen zurückgeblieben.
Nach Einschätzung von LBBW-Chefvolkswirt Uwe Burkert ist der US-Arbeitsmarktbericht insgesamt zu stark ausgefallen, um von einer drohenden US-Rezession zu sprechen. Allerdings dürfte sich die Notenbank Fed schwer tun, aus den Daten eindeutige Schlüsse zu ziehen. Unter dem Strich sollte die verhaltene Lohnentwicklung den Währungshütern Raum geben, ihre Geldpolitik bei Bedarf weiter zu lockern. Ende Oktober findet die nächste Zinssitzung statt.
In diesem Jahr hat die Fed ihren Leitzins bereits zweimal gesenkt. In der abgelaufenen Woche signalisierten jedoch wichtige Unternehmensumfragen, dass die Schwäche der US-Industrie auf den großen Dienstleistungssektor übergreift. Ökonomen sehen hierin eine große Konjunkturgefahr, weil die Dienstleister bisher als Wachstumsstütze galten.
Bei den Einzelwerten standen die Apple-Aktien mit plus 2,8 Prozent ganz oben im Dow und näherten sich damit wieder ihrem Rekordhoch vom vergangenen Oktober. Konzernchef Tim Cook hatte sich optimistisch zur weiteren Geschäftsentwicklung des Elektronikkonzerns geäußert: Er rechnet mit einem neuen Wachstumszyklus für Smartphones und zeigte sich zufrieden über die Verkäufe der neuen iPhone-Modelle. Zudem berichtete die japanische „Nikkei Asian Review“ ohne Quellenangaben, die Nachfrage nach dem neuen iPhone 11 sei stärker als angenommen.
Bei den Aktien von HP kam es dagegen zu einem Kursabschlag von knapp zehn Prozent. Analysten hatten sich zurückhaltend zu den Umstrukturierungsplänen des PC- und Druckerherstellers geäußert. Das Unternehmen will 7000 bis 9000 Stellen streichen und damit sowie mit anderen Maßnahmen jährlich rund eine Milliarde US-Dollar einsparen.
Die Reihe von schlechten Konjunkturnachrichten reißt in Europa vorerst qnicht ab. So rechnet nun auch die Welthandelsorganisation (WTO) für das laufende Jahr mit einem deutlich schwächeren globalen Warenverkehr. Der Handel dürfte nur noch um 1,2 Prozent zulegen, teilte die WTO mit. Bisher hatte sie noch mit 2,6 Prozent Wachstum gerechnet. Damit senkte die Organisation ihre Prognose um mehr als die Hälfte. Und auch die wichtigsten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Konjunkturprognose nach unten korrigiert. Waren sie im Frühjahr noch im Schnitt von einer Zunahme des Bruttoinlandsprodukts Deutschlands um 0,8 Prozent für 2019 ausgegangen, sind es nun nur noch 0,5 Prozent. In der Herbstprognose vor einem Jahr hatten die Volkswirte noch mit einem Plus von 1,9 Prozent gerechnet.
Die Geldpolitik sei für die Börsen momentan von hoher Bedeutung, sagte der unabhängige Marktanalyst Timo Emden: „In dem durch den Handelsstreit von Unsicherheit geprägten Marktumfeld hat die Hoffnung auf weitere Zinssenkungsmaßnahmen der Fed weitere Verluste verhindert.“ Die Federal Reserve entscheidet Ende Oktober das nächste Mal über den Leitzins. Am Markt wird überwiegend mit einer Zinssenkung um einen Viertelprozentpunkt gerechnet.
Gleichzeitig linderte die unerwartet gesunkene Arbeitslosenquote in den USA die an den Börsen umgehenden Konjunktursorgen. Der Preis für das in Krisenzeiten genutzte Gold drehte daraufhin ins Minus. Das Edelmetall verbilligte sich um 0,4 Prozent auf 1499 Dollar je Feinunze. Europas Anleger stellen sich angesichts eines abgeschwächten Booms am US-Arbeitsmarkt auf weitere Zinssenkungen der Notenbank Fed ein. Der deutsche Leitindex kam am Freitagnachmittag deshalb in Schwung und schloss mit einem Plus von 0,7 Prozent bei 12.012 Punkten.
Im Brexit-Streit sind die Fronten nach wie vor verhärtet. EU-Parlamentspräsident David Sassoli hält die neuen britischen Ideen für absolut unzureichend. „Zumindest in ihrer gegenwärtigen Form sind die britischen Vorschläge nicht mal ansatzweise eine Grundlage für ein Abkommen, dem das Europäische Parlament zustimmen könnte“, sagte Sassoli dem Spiegel.
Kritiker bemängeln seit Langem, dass die Niedrigzinspolitik der EZB für Verwerfungen auf den Kapitalmärkten sorge. Am Freitag meldeten sich fünf frühere Notenbanker in diesem Sinn mit einem Memorandum gegen die EZB.
Warnzeichen sendet nun der UBS Global Real Estate Bubble Index. Die jährliche Studie untersucht die Situation der Immobilienmärkte von Metropolen weltweit. Ergebnis: In den vergangenen vier Quartalen haben die Ungleichgewichte am Immobilienmarkt vor allem in der Eurozone zugenommen. Das Risiko für eine Immobilienblase wächst, am schlimmsten ist es in München. „Keine andere Stadt der Welt ist dem Risiko einer Immobilienblase so klar ausgesetzt wie München“, so Maximilian Kunkel, UBS-Chefanlagestratege Deutschland. Danach folgen im Ranking Toronto, Hongkong, Amsterdam und Frankfurt.