Der DAX ist außergewöhnlich gut ins neue Jahr gestartet. In den ersten neun Handelstagen legte er um mehr als 1.000 Punkte zu. Am Donnerstag notierte das deutsche Blue-Chip-Barometer erstmals seit Februar vergangenen Jahres wieder über der Marke von 15.000 Punkten. Getragen wurde diese Entwicklung nicht zuletzt vom verhaltenen Optimismus für die Konjunktur.
Die deutsche Wirtschaft habe sich im Jahr 2022 trotz den nach wie vor schwierigen Bedingungen „insgesamt gut behaupten“ können, kommentierte Ruth Brand, seit dem 1. Januar Präsidentin des Statistischen Bundesamts (Destatis), am Freitag vor den Medien die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) sei nach vorläufigen Berechnungen preisbereinigt um 1,9 Prozent gestiegen. Damit lag die Wirtschaftsleistung um 0,7 Prozent über dem Niveau von 2019, dem letzten Jahr vor Beginn der Corona-Pandemie. Preis- und kalenderbereinigt betrug das letztjährige Wachstum 2,0 Prozent. Die Erholung vom tiefen Einbruch im ersten Corona-Jahr hat sich also fortgesetzt, auch wenn das Wachstum schwächer war als 2021 (2,6 Prozent). Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges hatten viele Ökonomen noch vor einigen Wochen mit einem deutlich schwereren Konjunktureinbruch gerechnet.
Der bislang milde Winter hat allerdings verhindert, dass es zur befürchteten Gasmangellage gekommen ist, die wohl auch – dank der vollen Speicher – für den Rest der kalten Jahreszeit ausgeschlossen werden kann. Das Münchner Ifo-Institut hielt am Freitag fest, die Wirtschaftsleistung werde im ersten Quartal 2023 wohl geringfügig schrumpfen und im zweiten Vierteljahr stagnieren. Erst im weiteren Jahresverlauf dürfte sich die Konjunktur erholen, weil die Inflationsraten spürbar sinken und die Einkommen kräftig steigen würden. Insgesamt werde die gesamtwirtschaftliche Produktion im laufenden Jahr voraussichtlich stagnieren. Zuversichtlicher zeigte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck: Die wirtschaftliche Abschwächung werde „milder und kürzer sein als erwartet“.
Wachstumsstützend wirkten 2022, so Destatis, vor allem die privaten Konsumausgaben, die dank der Nachholeffekte nach den Lockdowns gestiegen seien, und die Ausrüstungsinvestitionen. Robust zeigte sich der Arbeitsmarkt. Die Zahl der Erwerbstätigen mit Arbeitsort Deutschland stieg um 1,3 Prozent und erreichte mit durchschnittlich 45,6 Millionen einen neuen Höchststand. Die Verbraucherpreise seien im Jahresdurchschnitt voraussichtlich um 7,9 Prozent gestiegen (2021 3,1 Prozent). Maßgeblich verantwortlich für diese historisch hohe Inflation seien die extremen Preisanstiege bei Energie und Nahrungsmitteln infolge des Krieges in der Ukraine und von Lieferengpässen in der Produktion.
Die staatlichen Haushalte verzeichneten nach den beiden tiefroten Vorjahren erneut ein Finanzierungsdefizit. Neue Belastungen infolge der Energiekrise haben laut Destatis-Chefin Brand die Entlastung des Staatshaushalts durch das Auslaufen von Corona-Maßnahmen überlagert. Für Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen habe sich laut vorläufigen Berechnungen insgesamt ein Finanzierungsdefizit von 101,6 Milliarden Euro ergeben, was 2,6 Prozent des BIP entspreche. 2021 hatte die Defizitquote 3,7 Prozent betragen, 2020 gar 4,3 Prozent. Von 51,3 Prozent 2021 auf 49,7 Prozent 2022 gesunken ist die Staatsquote, die die Relation der Staatsausgaben zum BIP angibt.
Vor dem Hintergrund dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass die Finanzmärkte wieder etwas risikofreudiger gegenüber Europa eingestellt sind. Das wird auch durch die Entwicklung des Euro reflektiert, der gegenüber dem Dollar zulegen konnte. Wenn der Risikoappetit steigt, sinkt in aller Regel auch die Nachfrage nach Franken, der erstmals wieder über der Parität notierte. Die Öffnung von Chinas Wirtschaft beflügelt vielerorts die Phantasie. So hofft man, dass von der Wende in Fernost nicht zuletzt europäische Unternehmen – etwa im Automobil- und Versorgungssektor – profitieren könnten.
Der DAX beendete die Börsenwoche dann auch erneut stark. Er schloss 0,2 Prozent höher bei 15.087 Punkten. Die Bilanz für die zweite Börsenwoche des Jahres fällt mit plus 3,3 Prozent abermals sehr erfreulich aus. Seit Jahresanfang hat der Dax nun schon 8,4 Prozent gewonnen und stellt damit die sonst taktgebenden US-Börsen in den Schatten. Für den MDAX sieht es seit Jahresanfang mit einem Zuwachs von 12,5 Prozent sogar noch besser aus. Am Freitag legte der Index der mittelgroßen deutschen Unternehmen um 0,6 Prozent auf 28.254 Punkte zu. Die Grundstimmung an den Finanzmärkten ist weiterhin freundlich. Eine der Ursachen ist der nachlassende Inflationsdruck, der die Furcht vor künftig weiter stark steigenden Zinsen mildert.
Bei den seit Jahresbeginn besonders gut gelaufenen Aktien aus der Automobilbranche machten Anleger am Freitag Kasse. Im Dax verloren Volkswagen, Mercedes-Benz, Porsche SE und BMW bis zu 2,8 Prozent. Als Stimmungsdämpfer werteten Börsianer Preissenkungen des US-amerikanischen Elektroauto-Herstellers Tesla, um den zuletzt enttäuschenden Absatz in den USA und Europa zu stützen. Schwächster Dax-Wert waren am Freitag Daimler Truck mit minus 3,7 Prozent. Unter den besten Werten im Leitindex knüpften die Papiere von Bayer an ihre jüngste Rally an mit einem Plus von 1,8 Prozent. Aktivistische Investoren drängen derzeit bei dem Pharma- und Agrarchemiekonzern auf Veränderungen. Mit Sartorius als Tagessieger mit plus 2,7 Prozent und Siemens Healthineers mit plus 1,6 Prozent setzten zwei Aktien aus dem Gesundheits- und Medizintechniksektor im Dax positive Akzente.
Im MDAX zogen die Anteile des Kupferkonzerns Aurubis um 5,5 Prozent an und profitierten von einem Analystenkommentar. Eine positive Überraschung bei den Ergebnissen des ersten Quartals könnte die Jahresziele als zu konservativ dastehen lassen, schrieb Analyst David Varga vom Bankhaus Metzler. Die Aktien von Südzucker beschleunigten indes bei außergewöhnlich hohem Umsatz ihre Talfahrt und verloren als Schlusslicht im Nebenwerteindex SDAX 7,2 Prozent. Analyst Alex Sloane von der britischen Investmentbank Barclays verwies auf die steigende Verschuldung, die für ein rohstoffgetriebenes Geschäft zu hoch sei.
Nach einem lange Zeit lethargischen Handel kam an der Wall Street im späten Geschäft noch ein wenig Schwung in die Kurse. Der Leitindex Dow Jones Industrial schaffte es auf einen weiteren Höchststand seit Mitte Dezember. Vor allem die Aktien großer Banken legten nach positiv aufgenommenen Quartalsberichten zu. Zur Schlussglocke betrug der Gewinn des Dow 0,3 Prozent auf 34.303 Punkte. Auf Wochensicht brachte er es auf ein Plus von zwei Prozent – die beste Börsenwoche seit zwei Monaten. Der marktbreite S&P 500 stieg um 0,4 Prozent auf 3.999 Zähler. Der technologielastige Nasdaq 100 legte stärker zu mit einem Plus von 0,7 Prozent auf 11.541 Punkte.
Eine erstaunliche Kehrtwende legten die Kurse großer Banken hin, die schon vor der Startglocke ihre Quartalsberichte veröffentlicht hatten. JPMorgan, Citigroup, die Bank of America und Wells Fargo machten vor dem Wochenende den Auftakt der Saison der Quartalszahlen. Gerieten die Kurse im frühen Handel unter Druck, so drehten sie im weiteren Verlauf wieder in die Gewinnzone. JPMorgan führte mit einem Aufschlag von 2,5 Prozent sogar die Gewinner im Dow an. Die Geldhäuser hatten im Schlussquartal 2022 die Gewinnerwartungen am Markt übertroffen.
Enttäuschend werteten Börsianer die Quartalszahlen von Delta Air Lines, deren Kurs um 3,5 Prozent fiel. Vor allem höhere Kosten wurden hier bemängelt. Nach dem Quartalsbericht von UnitedHealth verloren die Papiere des Krankenversicherers um 1,2 Prozent. Eine Verkaufsempfehlung von Goldman Sachs lastete auf den Anteilsscheinen des Rüstungskonzerns Lockheed Martin. Sie büßten 2,6 Prozent auf knapp 450 Dollar ein. Anfang Dezember waren die Papiere auf ein Rekordhoch von fast 500 Dollar gestiegen. Die Anteile von Virgin Galactic schnellten dagegen um mehr als zwölf Prozent nach oben. Zuvor hatte der Anbieter von Flügen für Weltraumtouristen versichert, den kommerziellen Raumfahrtbetrieb im zweiten Quartal 2023 aufzunehmen.