Auf den Tag genau vor 175 Jahren berichtete der „New York Herald“ über Goldfunde in Kalifornien und löste damit den großen Goldrausch aus, der dem zwei Jahre später als 31. Bundesstaat in die Union aufgenommenen Kalifornien den offiziellen Beinamen „Golden State“ einbrachte. Nur sechs Jahre dauerte der Hype für die privaten Glücksritter, ab 1854 wurde der Goldabbau industriell betrieben. Hierzulande hatte man in den Jahren der Negativzinsen den Eindruck, es mit einem Rausch in Betongold zu tun zu haben. Aber wie nach jedem Rausch, folgte auch hier der Kater. Bauträger gerieten in Schwierigkeiten, die Notierungen von Immobilienaktien und -fonds kamen ins Rutschen.
Hat sich das Blatt nach zwei Jahren des massiven Einbruchs inzwischen gewendet? An der Börse spekulieren die ersten Anleger bereits auf ein Comeback der Immobilienaktien. Seit dem zyklischen Tief vom Frühjahrsbeginn sind die Titel von Vonovia, LEG Immobilien und TAG Immobilien zwischen rund 30 und 80 Prozent gestiegen. Ob die Wette auf eine Erholung des Immobilienmarktes zu früh ist, wird sich wohl in den nächsten Wochen zeigen, denn es gibt neue Warnsignale: In den vergangenen Tagen mussten in Deutschland mehrere Projektentwicklungsfirmen Insolvenz anmelden.
Die Zinswende, die gestiegenen Baukosten sowie die schwächelnde Konjunktur haben den Immobiliensektor hart getroffen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat innerhalb von nur einem Jahr die Leitzinsen um 4,25 Prozentpunkte erhöht. Damit hat sich die Finanzierung erheblich verteuert. Parallel dazu sind die Kosten für Material und Arbeit deutlich nach oben geschossen.
Zudem belasten die neuen Vorschriften für energetisches Bauen die Kalkulation. Kein Wunder, dass sich die Alarmsignale bei den Bauträgern mehren. Mit dem Münchener Luxusimmobilien-Entwickler Euroboden, dem Düsseldorfer Bürospezialisten Development Partner und der Nürnberger Project Real Estate haben gleich drei Firmen für Projektentwicklungen Insolvenz angemeldet. Seit Jahresanfang hatten schon einige andere Entwickler aufgeben müssen.
Oliver Wittke, Hauptgeschäftsführer des Verbands Zentraler Immobilien Ausschuss (ZIA), hatte schon im Juni nach der bisher vorletzten Zinserhöhung durch die EZB gesagt, dass die Verschärfung der Geldpolitik die Immobilienbranche unter enormen Druck setze, zitiert die „Neue Zürcher Zeitung“ den prominentesten Branchenvertreter. Projektentwickler hätten allerorten Probleme, ihre Vorhaben zu finanzieren, viele Projekte seien bereits auf Eis gelegt worden.
Projektentwickler erscheinen im Vergleich mit Besitzern von Bestandsimmobilien wie Vonovia, LEG und TAG, die aber auch eigene Entwicklungen machen, wegen der Dauer und Komplexität des Geschäfts anfälliger. Vom Projektbeginn mit dem Kauf eines Grundstücks bis zur Vermietung oder zum Verkauf der entwickelten Liegenschaft dauert es oft mehrere Jahre, in denen sich die Wirtschaftslage grundlegend ändern kann. Weil viele Entwickler sich kurzfristig finanziert haben und zum Teil mit extrem wenig Eigenkapital arbeiten, entsteht bei der Verlängerung nun ein Problem.
Erst recht, wenn der (Beleihungs-)Wert der Projekte aufgrund des verschlechterten Marktumfelds deutlich gesunken ist. Die dadurch entstandene Kapitallücke müssten die Projektentwickler schließen, um nicht in Konkurs zu geraten. Da diese Bemühungen nicht immer von Erfolg gekrönt sind, wird es in den kommenden Monaten wohl noch mehr Insolvenzen geben. Die Zurückhaltung der Investoren sieht man inzwischen in den Zahlen: Die Baubeginne sind in diesem Jahr um fast die Hälfte eingebrochen, und viele Projekte verzögern sich. Das weitere Geschehen am Immobilienmarkt dürfte vor allem von der Zinsentwicklung abhängen. Sollte sich die Inflation als noch hartnäckiger als ohnehin schon befürchtet erweisen, müsste die EZB die Zinsen wohl weiter nach oben schrauben, was zu einer ausgewachsenen Immobilienkrise führen könnte. Insofern könnte der jüngste Anstieg der Immobilienaktien nur eine kurze Erholung gewesen sein. Es scheint weiterhin Vorsicht geboten. In der abgelaufenen Woche gaben die Notierungen jedenfalls erst einmal wieder zwischen zwei und fünf Prozent nach.
Wochenverluste von bis zu 2,2 Prozent verbuchten auch die wichtigsten amerikanischen Börsen, auch wenn der Dow Jones Industrial am Freitag nach Anfangsverlusten sogar noch den Dreh ins Plus schaffte: Der Leitindex schloss knapp 0,1 Prozent höher bei 34501 Punkten. Der marktbreite S&P 500 gab hingegen um 0,01 Prozent auf 4.370 Punkte nach. Der von Technologiewerten geprägte Nasdaq 100 verlor gut 0,1 Prozent auf 14.695 Zähler. Die Stabilisierung am Freitag ging einher mit einer leichten Erholung am Anleihemarkt. Die Rendite für Papiere mit zehnjähriger Laufzeit, die sich zuletzt dem höchsten Niveau seit 2007 genähert hatte, ging auf 4,25 Prozent zurück. Die Anleiherenditen waren zuletzt von der Spekulation auf weiter steigende Leitzinsen gestützt worden. Höhere Renditen machen Anleihen als Anlagealternative zu Aktien attraktiver.
Am Markt hieß es, wegen der Zinssorgen blickten Anleger nun gespannt auf das Notenbanktreffen in Jackson Hole, das in der kommenden Woche ab Donnerstag im US-Bundesstaat Wyoming stattfindet. Die Aufmerksamkeit richtet sich dann vor allem auf eine Rede von Fed-Chef Jerome Powell. Recht starke US-Konjunkturdaten hatten zuletzt unter Investoren wieder Ängste geschürt, dass der Kampf gegen die hohe Inflation noch andauern wird.
Im Fokus blieb auch die Situation in China, das Land bietet dem Portfoliomanager Thomas Altmann von QC-Partners zufolge Grund zur Sorge. „Die schwache chinesische Wirtschaft und die Immobilienkrise werden immer mehr zur Belastung für die Börsen weltweit“, sagte er. Ein neuer Sorgenpunkt ist, dass der hoch verschuldete chinesische Immobilienkonzern Evergrande in den USA Gläubigerschutz beantragt hat.
Aktien von chinesischen Konzernen, die in New York an der Nasdaq gelistet sind, gerieten einmal mehr unter Druck: Die Titel der chinesischen Internetkonzerne Baidu und Alibaba verloren bis zu 3,6 Prozent. Sehr schwach zeigten sich auch die Papiere des US-Internet-Riesen Alphabet mit Einbußen von fast zwei Prozent.
An der Nasdaq gewannen Applied Materials dagegen 3,7 Prozent. Der Chipindustrieausrüster gab starke Prognosen für das laufende vierte Geschäftsquartal ab. Aktien aus der Chipindustrie konnten davon aber nicht profitieren.
Der Traktorenhersteller Deere erhöhte die Prognose für den diesjährigen Nettogewinn. Der Aktie, die im Juli auf Rekordniveau angekommen war, half dies aber nicht mehr. Sie setzte ihre jüngste Talfahrt mit einem Minus von 5,3 Prozent fort. Anleger zweifeln, dass der Boom bei Landmaschinen noch lange anhält.
Im Nebenwertebereich sorgte Farfetch mit einem Kurseinbruch um 45 Prozent auf ein Rekordtief für lange Gesichter. Der Online-Händler von Designer-Mode strich seine Prognosen zusammen. Im abgelaufenen zweiten Quartal war der Umsatz deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben.
Ein weiterer deutlicher Verlierer waren die Aktien von Estee Lauder mit minus 3,3 Prozent. Ein von Börsianern als „unschön“ bezeichneter Jahresbericht drückte den Kurs auf das niedrigste Niveau seit April 2020.
Der Kurs des Euro veränderte sich nur wenig, zuletzt lag er bei 1,0872 US-Dollar. Die Rendite zehnjähriger Anleihen fiel auf 4,25 Prozent.
Der deutsche Aktienmarkt hatte zuvor zum Ende einer tristen Börsenwoche seine jüngsten Verluste noch ausgeweitet. Der Dax ging am Freitag 0,7 Prozent tiefer bei 15.574 Punkten aus dem Handel. Zwischenzeitlich war er fast auf den tiefsten Stand seit Anfang Juli bei 15.456 Punkten gefallen. Auf Wochensicht verlor der deutsche Leitindex 1,6 Prozent. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen gab am Freitag um 1,3 Prozent auf 27.153 Punkte nach. „Die Luft aus dem Aktienmarkt scheint raus und die Rally-Pause seit Monatsanfang noch nicht beendet“, schrieb Analyst Konstantin Oldenburger vom Handelshaus CMC Markets.
„Es gibt eine bemerkenswerte Neubewertung der längerfristigen Zinssätze“, gab Stratege Jean Boivin vom Blackrock Investment Institute eine Begründung. Der Markt komme mehr und mehr zu der Ansicht, dass es trotz der jüngsten Fortschritte einen langfristigen Inflationsdruck geben werde. Die gesamtwirtschaftliche Ungewissheit werde in den nächsten Jahren bestehen bleiben, und das erfordere eine größere Entschädigung für den Besitz langlaufender Anleihen in Form von hohen Zinsen.
Im Dax fielen die Aktien des Online-Modehändlers Zalando um 3,7 Prozent. Für die Aktien des Pharma- und Laborausrüsters Sartorius ging es in dem trüben Umfeld am Dax-Ende um 3,8 Prozent abwärts. Unter den wenigen Gewinnern im Leitindex stabilisierten sich die Papiere des Rüstungskonzerns und Automobilzulieferers Rheinmetall mit plus 0,8 Prozent nach ihren jüngsten Abschlägen.
Vorne im Nebenwerteindex SDax schnellten die Aktien des kriselnden Softwareanbieters Suse um rund 60 Prozent auf 15,36 Euro nach oben. Mehrheitsaktionär EQT Private Equity kündigte ein öffentliches Übernahmeangebot für die ihm noch nicht gehörenden 20,9 Prozent der Anteile für 16 Euro je Stück inklusive einer Zwischendividende an.
Am Rentenmarkt fiel die Umlaufrendite von 2,70 Prozent am Vortag auf 2,63 Prozent.
Eine vergleichsweise überschaubare Agenda könnte in der neuen Börsenwoche für Anleger am Aktienmarkt alles andere als Entspannung bedeuten. Als zentrales Ereignis gilt das von Donnerstag bis Samstag stattfindende Notenbanker-Treffen in Jackson Hole im US-Bundesstaat Wyoming. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf die Rede von Fed-Chef Jerome Powell, verbunden mit der Hoffnung auf neue Hinweise zum weiteren Zinskurs der Währungshüter. In seiner Rede könnte Powell zwar Hoffnung ausdrücken angesichts des jüngst etwas nachlassenden Preisdrucks, zugleich aber betonen, dass es nicht einfach werde, die Preisstabilität wieder herzustellen.
Kurzum: Powell dürfte klarstellen, dass man in Sachen Inflation aus dem Gröbsten noch nicht heraus ist und weitere Zinsanhebungen in Abhängigkeit von Wirtschaftsdaten gerechtfertigt sein könnten, so der Analyst Jonathan Pingle von der UBS. Er ist aber überzeugt, dass Powell Hinweise auf eine nochmalige Zinserhöhung im September, wenn die nächste Zinsentscheidung der Fed ansteht, wohl tunlichst vermeiden werde.
Der Dax hat es in dieser Gemengelage im noch dazu saisonal schwachen Börsenmonat August schwer. Ende Juli mit rund 16.529 Punkten noch auf Rekordhoch, hat der deutsche Leitindex mittlerweile rund tausend Punkte eingebüßt und wichtige charttechnische Unterstützungen gerissen. Der Verkaufsdruck könnte sich deshalb noch einmal erhöhen.
Neben den Zinsperspektiven als wichtigem Einflussfaktor für den Aktienmarkt dürften die Anleger bei den Konjunkturdaten in der neuen Woche auf die Einkaufsmanagerindizes für den Servicesektor und das Verarbeitende Gewerbe fokussieren, die für Deutschland, Frankreich und der Eurozone am Mittwoch veröffentlicht werden. Am Freitag steht das Ifo-Geschäftsklima, Deutschlands wichtigstes Konjunkturbarometer, für August auf dem Programm. Es wird laut den Ökonomen der Landesbank Helaba vermutlich weiter ein trübes Bild zeigen. Auch von den Einkaufsmanagerindizes erwarten die Helaba-Fachleute keine große Besserung.
Unternehmensseitig spannend wird es am Mittwochabend nach dem Börsenschluss in New York, wenn der Chiphersteller Nvidia Quartalszahlen präsentiert, die mitunter den Technologiesektor weltweit deutlich bewegen können.
Nvidia steht derzeit wie kaum ein zweiter Konzern für das Trendthema Künstliche Intelligenz (KI). Ungeachtet eines Kursanstiegs von fast 200 Prozent allein in diesem Jahr trauen Analysten der Aktie noch weiteren Zuwachs zu, die Kursziele reichen bis 600 Dollar. Das bisherige Rekordhoch datiert von Mitte Juli mit rund 481 Dollar. Die Erwartungen an Nvidia seien hoch, ebenso das Enttäuschungspotenzial, sollten die Zahlen nicht stimmen, schrieb Marktbeobachter Molnar von RoboMarkets mit Blick auf die Vierteljahresbilanz.