Tichys Einblick
Der Marktausblick

Regierungskrise in Frankreich – Verhärtete Fronten bei VW – Börsen weiter auf Rekordkurs

Ohne Budget steckt Frankreich in seiner zweiten Regierungskrise in sechs Monaten. An den Märkten zeigt man sich beunruhigt: Erstmals musste Frankreich höhere Zinsen zahlen als Griechenland, um Schulden aufzunehmen. Im Streit um die Sanierung des VW-Konzerns liegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer weiterhin kaum überbrückbar auseinander.

Abstimmung über den Misstrauensantrag in der Nationalversammlung, Frankreich, 4. Dezember 2024

picture alliance / ZUMAPRESS.com | Telmo Pinto

Die französische Regierung von Premierminister Michel Barnier hat nach nur zwei Monaten bereits wieder ausgedient. Sie hat das Seilziehen gegen das Rassemblement national (RN) am Mittwochabend verloren. Streitpunkt war das Staatsbudget für 2025. Trotz Konzessionen und finanzieller Notlage konnte Barnier die Oppositionsführerin Marine Le Pen nicht überzeugen. Ohne Budget steckt Frankreich in seiner zweiten Regierungskrise in sechs Monaten. An den Märkten zeigt man sich beunruhigt: Erstmals musste Frankreich höhere Zinsen zahlen als Griechenland, um neue Schulden aufzunehmen.

Im Streit um die Sanierung des angeschlagenen VW-Konzerns liegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer weiterhin kaum überbrückbar auseinander. Das wurde auf einer weiteren Betriebsversammlung in der vergangenen Woche klar. Betriebsratschefin Daniela Cavallo forderte Sparbeiträge von Management und Aktionären. Konzernchef Oliver Blume betonte erneut, dass mehr Angebot von zum Teil neuen Autoherstellern auf weniger Nachfrage durch die Kunden treffe.

Woran auch der Betriebsrat nicht vorbeikommt: In Europa werden derzeit rund zwei Millionen Autos weniger verkauft als vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Da VW einen Marktanteil von 25 Prozent hat, setzt der Konzern rund 500.000 Fahrzeuge weniger ab. Das entspricht der Kapazität von zwei Werken. Der Konzernvorstand will bis zu drei Werke schließen und die Löhne pauschal um zehn Prozent kürzen. Anfang der Woche gab es in fast allen deutschen VW-Werken Warnstreiks von Zehntausenden Mitarbeitern. Am heutigen Montag soll in Wolfsburg die vierte Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beginnen.

Derweil man sich in Europa mit hausgemachten Problemen herumschlägt, verschärft sich das Verhältnis zwischen China und den USA. Am Montag kündigte Washington an, den Verkauf von hochwertigen Speicherchips und Anlagen für die Chipfertigung an chinesische Firmen zu verbieten. Einen Tag später gab die chinesische Regierung bekannt, den Export der Mineralien Gallium, Germanium und Stibnit sowie Graphit nach Amerika zu untersagen.

Bereits vor 25 Jahren begannen die Verhandlungen zwischen der EU und ihrem südamerikanischen Handels-Pendant Mercosur. Nach 20 Jahren lag ein Entwurf vor, doch viele Regierungen lehnten den Vertrag unter dem Druck der Bauernverbände ab. Besonders heftig war der Widerstand in Frankreich, und dessen Präsident Emmanuel Macron lehnt auch die von der EU-Kommission nun in Montevideo von Ursula von der Leyen mit den Mercosur-Präsidenten vorgelegte Revision der Vereinbarung ab.

Von der Leyen und die Kommission hoffen, dass niedrigere Hürden beim Handel der Wirtschaft einen Impuls geben. Im Gegensatz zu Frankreich und Polen gehört Deutschland zu den Befürwortern des Vertrages. Kein EU-Staat exportierte 2023 so viele Güter in den Mercosur wie Deutschland (16 Milliarden Euro). Ob das Abkommen ratifiziert werden wird, ist allerdings ungewiss. Ihm müssen 15 der 27 EU-Mitgliedsländer zustimmen, und die Befürworter müssen 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Schließlich muss das EU-Parlament zustimmen.

Unbeeindruckt von allen Schwierigkeitem knüpften die US-Aktienmärkte am Freitag an ihren jüngsten Rekordkurs an. Lediglich die Standardwerte an der Wall Street präsentierten sich mehrheitlich nachgebend. Die Technologietitel führten die Gewinner an. Aktuelle US-Arbeitsmarktdaten beflügelten Händlern zufolge die Wetten auf eine Zinssenkung der US-Notenbank Fed noch im Dezember.

Der Dow Jones Industrial schloss 0,3 Prozent tiefer bei 44.643 Punkten. Auf Wochensicht verlor der Leitindex damit 0,6 Prozent. Der marktbreite S&P 500 erreichte am Freitag einen Höchststand und endete gut 0,2 Prozent höher bei 6.090 Zählern. Auch der Nasdaq 100 schaffte eine Bestmarke und stieg letztlich um 0,9 Prozent auf 21.622 Punkte. Daraus resultierte für den technologielastigen Index ein Wochengewinn von rund 3,3 Prozent.

Die Fed sollte in der Lage sein, die Zinssenkung im Dezember voranzutreiben, sagte Marktstratege Rick Rieder vom Vermögensverwalter Blackrock. Dabei dürfte die Bekanntgabe der US-Verbraucherpreise in der kommenden Woche zu einem weiteren wichtigen Meilenstein im Kalkül der Notenbanker werden.

Unternehmensseitig bewegten am Freitag vor allem einige Quartalsberichte die Kurse. Der Server- und Netzwerkausrüster HP Enterprise übertraf mit rekordhohen Umsatz- und Gewinnzahlen im vierten Geschäftsquartal die Erwartungen deutlich. Die HP-Aktie stieg am Ende um 10,6 Prozent.

Die Aktien von Lululemon schnellten um fast 16 Prozent auf den höchsten Stand seit März nach oben. Der Sportbekleidungs-Hersteller hatte nach drei schwachen Quartalen den Umsatz wieder gesteigert – und das stärker als von Analysten prognostiziert. Auch die Bruttomarge übertraf die Erwartungen. Zudem hob das Unternehmen sein Jahresziel für den Umsatz an.

Gute Zahlen und ein erfreulicher Ausblick bescherten Ulta Beauty einen Kursanstieg von neun Prozent. Der Kosmetikhändler übertraf im dritten Quartal die Erwartungen und hob das untere Ende der diesjährigen Umsatz-Zielspanne an.

Die Aktionäre des Spezialisten für elektronische Signaturen Docusign konnten sich nach der Vorlage von Geschäftszahlen über einen Kurssprung von knapp 28 Prozent freuen. Damit kletterten die Papiere auf den höchsten Stand seit März 2022. Nach zwei schwachen Quartalen habe Docusign wieder stärker abgeschnitten, lobten die Experten der schweizerischen Bank UBS.

Der Euro bewegte sich im US-Geschäft nur wenig und hielt sein Niveau aus dem europäischen Handel. Die Gemeinschaftswährung kostete zuletzt 1,0563 US-Dollar. US-Staatsanleihen stiegen. Die Rendite der Papiere mit zehnjähriger Laufzeit belief sich auf 4,18 Prozent.

Zuvor hatte der Dax seine Kursrally weiter fortgesetzt. Am Freitag kletterte der deutsche Leitindex schon im frühen Handel erstmals über die Marke von 20.400 Punkten, konnte sie aber nicht halten und ging letztlich gut 0,1 Prozent höher bei 20.385 Zählern ins Wochenende. Es war der siebte Gewinntag in Folge. Das Wochenplus beträgt fast vier Prozent und sein Jahresgewinn knapp 22 Prozent.

Die Rekordjagd sei allerdings eher ein Verdienst der international aufgestellten Unternehmen im Dax als ein Qualitätsurteil für den Standort Deutschland, kommentierte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater mit Blick auf die schwächelnde deutsche Konjunktur. Der „heimatverbundenere“ MDax habe sich daher seit Jahresbeginn nicht so gut entwickelt und verharre auf der Stelle. Am Freitag stieg der Index der mittelgroßen Werte um knapp 0,7 Prozent auf 27.311 Punkte.

Hierzulande stand der Autosektor im Fokus. Wenige Tage nach der Großbank UBS tauschte auch das Analysehaus Jefferies seinen Favoriten aus und bevorzugt nun ebenfalls BMW statt Mercedes-Benz. Das trieb die Aktien der Münchener an der Dax-Spitze um 2,7 Prozent an. Im guten Branchenumfeld schafften aber auch Mercedes-Aktien ein Plus von 0,8 Prozent. Als Grund für den Wechsel zu BMW nannte der Jefferies-Analyst Philippe Houchois unter anderem ein besseres Risikoprofil in Bezug auf Wachstum, Zollaussichten und CO2-Konformität.

Morgan Stanley wechselte bei den Rückversicherern ebenso seinen Branchenfavoriten aus und empfiehlt nun Hannover Rück statt Munich Re. Erstere drehten dennoch ins Minus und verloren 0,4 Prozent, während letztere sogar um 0,9 Prozent nachgaben. Anleger sollten sich in der Branche generell auf unsichere Zeiten einstellen, hieß es in der Studie.

Überzeugende Resultate des US-Kosmetikhändlers Ulta Beauty steigerten auch hierzulande die Nachfrage nach Konsumgüteraktien. Die Papiere des Nivea-Markeninhabers Beiersdorf legten um 0,9 Prozent zu und Henkel stiegen um 1,6 Prozent.

Am Dax-Ende verloren Siemens Energy nach der jüngsten Rekordjagd 2,2 Prozent. Seit Jahresbeginn hat sich der Aktienkurs des Energietechnikunternehmens trotzdem mehr als vervierfacht. JPMorgan-Analyst Andrew Wilson warnte, dass die üppige Bewertung nur wenig Spielraum für Enttäuschungen im kommenden Jahr ließe. Außerdem verwies der Experte auf erhöhte geopolitische Unsicherheiten.

Kursgewinne von 0,5 Prozent verbuchten die Aktionäre von Freenet im MDax. Hier erreichte der Kurs erstmals seit 2018 wieder kurz die 30-Euro-Marke. Der Mobilfunk- und TV-Anbieter wird im laufenden Jahr dank eines Verkaufs überflüssiger IP-Adressen etwas anspruchsvoller, was seine Geschäftsziele betrifft.

Im SDax legten Auto1 um 2,5 Prozent auf 16,15 Euro zu. Damit steigerten sie ihr Jahresplus auf fast 150 Prozent. UBS hatte in einer Studie das Kursziel für den Gebrauchtwagenhändler auf 20,50 Euro mehr als verdoppelt.

Am Rentenmarkt gaben die Kurse etwas nach. Die Umlaufrendite stieg von 2,04 Prozent am Vortag auf 2,09 Prozent.

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