Tichys Einblick
Der Marktausblick

Ist jetzt schon der richtige Zeitpunkt für Anleihen?

Immer mehr Anleger scheinen sich auf eine Erholung der Anleihen einzustellen. Die Zentralbanken in den USA und Europa haben spät auf die steigende Inflation reagiert, doch an den Finanzmärkten setzt sich nun die Erwartung durch, dass nach acht Erhöhungen in Amerika bald das Ende des Zinsanhebungszyklus in Sicht sein dürfte.

IMAGO / Westlight

Eine typische zehnjährige deutsche Bundesanleihe brachte ihren Besitzern im vergangenen Jahr rund 20 Prozent Verlust. 2022 ging deshalb als eines der schlechtesten Jahre für lang laufende Anleihen in die Investment-Geschichte ein. Die für viele Investoren unvermutete und überraschend hohe Inflation hat sogar größere Verluste beschert als die beiden großen Ölpreisschocks in den 1970ern. Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund Anleihenfonds deutliche Abflüsse verzeichneten. Gemäß den Zahlen der Datenanalysefirma Morningstar zogen die Investoren gut 85 Milliarden Euro aus Rentenfonds ab. Das war damit das schlechteste Jahr für die Fondskategorie seit der Lehman-Krise 2008.

Mittlerweile scheinen sich immer mehr Anleger auf eine Umkehrung der Entwicklung und eine Erholung der Anleihen einzustellen. Die Zentralbanken in den USA und in Europa haben zwar spät auf die steigende Inflation reagiert, doch an den Finanzmärkten setzt sich nun die Erwartung durch, dass nach acht Erhöhungen in Amerika bald das Ende des Zinsanhebungszyklus in Sicht sein dürfte. „Anleihen sind zurück“, ist wohl deshalb auch die aktuelle Studie von Andrew Balls, Anlagechef Global Fixed Income beim Fondsanbieter Pimco, überschrieben.

Die Meinung, wonach Rentenpapiere nach eineinhalb Jahren mit heftigen Verlusten wieder einen Kauf wert sind, werde an vielen Orten geteilt, konstatiert er. Auch auf der Anbieterseite zeigt sich das. Es gibt so viele Emissionen von Unternehmen wie schon lange nicht mehr. Auch Regierungen von Schwellenländern nutzen die hohe Nachfrage. Noch nie wurden in einem Januar so viele neue Schwellenländeranleihen begeben wie in diesem Jahr. Auch Anleihenfonds verzeichnen wieder Mittelzuflüsse. Dies zeigt: Investoren wetten darauf, dass die Preissteigerungsraten ihren Höhepunkt gesehen haben.

Ein weiteres Argument ist die gegenüber Aktien gestiegene Attraktivität von Rentenpapieren. Vergleicht man die Anleihenrendite mit der Dividendenrendite, dann bieten Anleihen zum Teil erstmals seit langem wieder eine höhere Verzinsung als Aktien. Allerdings sind die Zinsen immer noch tief angesichts der Inflationsraten. Als in den 1970ern die Inflation ein ähnlich hohes Niveau erreicht hatte, lagen die Leitzinsen in Deutschland bei sieben Prozent. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen lagen bei zehn und nicht wie jüngst bei 2,3 Prozent. Da durchaus das Risiko besteht, dass die Notenbanken länger als erhofft brauchen, um die Inflation in den Griff zu bekommen, sollte man zumindest nicht zu übermütig werden. Wenn nun Investmentbanken wieder auf Anleihen setzen, ist das wohl eher eine kurzfristige Überlegung nach den dramatischen Verlusten 2022. Die Risiken bei Anleihen sind noch immer gewaltig, und real – also nach Abzug der Inflation – gibt es bei vielen Papieren für langfristige Anleger noch (nichts) zu gewinnen.

Da passt ins Bild, dass die am Freitag wieder aufkommenden Inflations- und Zinssorgen einmal mehr die US-Technologiewerte belasteten. Verstärkt wurden die Befürchtungen zum Wochenschluss durch stark steigende Ölpreise und robuste Konjunkturdaten: Das von der Universität Michigan erhobene Konsumklima stieg auf den höchsten Wert seit einem Jahr. Der technologielastige Nasdaq 100 fiel daraufhin um 0,6 Prozent auf 12.305 Punkte. Die Standardwerte hingegen stabilisierten sich nach ihren jüngsten Kursverlusten. So ging es für den marktbreiten S&P 500 um 0,2 Prozent auf 4.090 Punkte nach oben. Der Leitindex Dow Jones Industrial legte um 0,5 Prozent auf 33.869 Punkte zu. Auf Wochensicht ergibt sich hier dennoch ein Minus von 0,2 Prozent.

Die Ankündigung Russlands, wegen der vom Westen beschlossenen Preisobergrenze für russisches Rohöl ab März die Ölförderung zu kürzen, hatte zuvor die Ölpreise in die Höhe getrieben und damit die Inflationssorgen verstärkt. Am Anleihenmarkt legten vor dem Wochenende bereits die Renditen spürbar zu. Die Anleger warten nun mit Spannung auf die Inflationszahlen für Januar, die am kommenden Dienstag veröffentlicht werden. US-Staatsanleihen gerieten vor diesem Hintergrund ebenfalls unter Druck. Die Rendite zehnjähriger Staatspapiere stieg auf 3,75 Prozent.

Technologiewerte wurden weiter gemieden, denn deren oft hohe Bewertung speist sich in der Regel aus der Hoffnung auf beträchtliche Gewinne in der Zukunft. Diese aber sind bei steigenden Zinsen aus heutiger Sicht weniger wert. Die Aktien des Autobauers Tesla und die von Nvidia büßten gut fünf beziehungsweise knapp fünf Prozent ein. Mit einem Kursgewinn von aktuell 45,5 Prozent seit Jahresbeginn sind die Papiere des Chipkonzerns 2023 bislang allerdings auch außergewöhnlich stark gelaufen. Das Thema Künstliche Intelligenz beflügelte. Am S&P-Ende sackten die Papiere von News Corp um fast zehn Prozent ab. Der Konzern des Medienunternehmers Rupert Murdoch will in diesem Jahr 1250 Stellen streichen. Geschäftsführer Robert Thomson machte die Konjunktursorgen der Anzeigenkunden dafür verantwortlich, dass die Umsätze von News Corp im vergangenen Quartal um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal gesunken sind.

Auch die deutsche Börse stand am Freitag unter Druck. Der deutsche Leitindex DAX beendete den Handel mit minus 1,4 Prozent bei 15.308 Punkten, womit er die schwankungsreiche Woche mit einem Abschlag von gut einem Prozent beendete. Der MDax sank um 2,2 Prozent auf 28.395 Punkte und auch die wichtigsten Börsen Europas gaben nach. Der EuroStoxx 50 büßte 1,2 Prozent auf 4.198 Zähler ein. Im Zuge der Berichtssaison schockte der Sportartikelhersteller Adidas die Anleger mit einer weiteren Umsatz- und Gewinnwarnung. Die Aktien sackten als schwächster Dax-Wert um knapp elf Prozent ab und zogen die im MDax notierten Papiere des Konkurrenten Puma mit sich. Diese verloren 4,6 Prozent. Das Ende der Partnerschaft von Adidas mit dem wegen antisemitischer Äußerungen umstrittenen Rapper Kanye West (Marke Yeezy) belastet den Konzern auch im neuen Jahr. Der Vorstand will zwar prüfen, wie er die Yeezy-Produkte nutzen kann, hält es aber auch für möglich, auf der Ware sitzen zu bleiben. Dies würde den Umsatz 2023 um rund 1,2 Milliarden Euro und das Betriebsergebnis um eine halbe Milliarde Euro verringern.

Die Anteile der Deutschen Bank wurden von einer Abstufung von Bank of America belastet. Sie gaben um 3,1 Prozent nach. Laut Analyst Rohith Chandra-Rajan tut sich das größte deutsche Geldhaus damit schwer, die Ertragskraft zu verbessern, weshalb er andere Branchentitel bevorzugt. Um 1,8 Prozent ging es für die „Aktie Gelb“ abwärts, als bekannt wurde, dass die Tarifverhandlungen für die rund 160.000 Beschäftigten der Deutschen Post vorerst gescheitert sind. Die Gewerkschaft Verdi will nun eine Urabstimmung über einen Arbeitskampf einleiten.

Eine skeptische Studie von JPMorgan brockte Hellofresh einen Kurseinbruch von fast 13 Prozent und damit den letzten Platz im MDax ein. Analyst Marcus Diebel sorgt sich um die Kundenentwicklung bei dem Kochboxen-Anbieter: „Hohe Abwanderungsraten und bestenfalls stabile Brutto-Kundenzuwächse begrenzen das Wachstum.“ Das mache das Geschäftsmodell zunehmend verwundbar. Das schwache Wirtschaftsumfeld und knappe Verbraucherbudgets belasteten die Nachfrage.

Auch die Aktien anderer Unternehmen mit einem internetbasierten Geschäftsmodell standen unter Druck. Die Papiere des Online-Modehändlers Zalando, des Essenslieferdienstes Delivery Hero und des Onlinebrokers Flatexdegiro zählten ebenfalls zu den größeren Verlierern am deutschen Aktienmarkt.

Am Rentenmarkt stieg die Umlaufrendite von 2,28 Prozent am Vortag auf 2,34 Prozent. Der Rentenindex Rex fiel um 0,20 Prozent auf 125,74 Punkte. Der Euro kostete am Freitagabend 1,0671 US-Dollar.

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