Tichys Einblick

Ist Dividende in der Krise unmoralisch? Überhaupt nicht

Warum stabile Firmen ruhig auch 2020 ausschütten sollten – und was die Deutschen zur besseren Vorsorge ändern müssten

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Am 27. Mai 2020 sollte im Kurhaus Wiesbaden eine unmoralische Veranstaltung stattfinden. Die Aareal-Bank veranstaltet dort ihre Hauptversammlung. Für die Anteilseigner wäre das um ein Haar ein erfreulicher oder wenigstens tröstlicher Termin gewesen – für andere eben ein unmoralischer. Denn laut Beschluss des Aufsichtsrats sollten eigentlich trotz Corona zwei Euro Dividende pro Aktie gezahlt werden. Da das Börsenpapier wie fast alle einen kräftigen Kurseinbruch erlebte, läge die Dividendenrendite zwischen 12 und 13 Prozent. Das fand BaFin-Chef Felix Hufeld allerdings unangemessen. In der Krise dürfe eine Bank – und überhaupt ein Unternehmen – keine oder nur winzige Dividenden ausschütten. Selbst dann, wenn es der Aktiengesellschaft gut geht, und sie ihren Aktionären eigentlich einen Gewinnanteil gönnen könnte. Das Ärgerliche: Hufelds Aussichtsbehörde BaFin ist für die Aareal überhaupt nicht zuständig, sondern die europäische Bankenaufsicht. Trotzdem übt der BaFin-Chef generell auf Banken Druck aus mit seiner Empfehlung, wegen der Covid-19-Krise keinen Gewinnanteil an seine Eigentümer weiterzugeben – unabhängig davon, wie ein Institut dasteht. Die Aareal knickte ein und strich die Dividende. In diesem öffentlichen Klima wird sich im Mai möglicherweise auch keine Aktionärsmehrheit finden, die den Schritt korrigiert. In der Finanzkrise 2008 hatte sich die Bank übrigens vorsorglich Zugang zu Staatshilfen gesichert (und dafür hohe Zinsen gezahlt), dann aber doch mit eigenen Mitteln Kurs gehalten, ohne die öffentlichen Gelder anzurühren. Auch jetzt könnte sie sich eigentlich die Ausschüttung leisten.

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Dividenden sind angesichts der Krise generell in Verdacht geraten. Die Assoziationskette lautet: gierige Aktionäre wollen Geld, obwohl die Wirtschaft in eine Rezession schlittert. Allerdings sieht es nicht allen Unternehmen gleichmäßig finster aus. Manchen, etwa Pharmaunternehmen, Online-Händler und Goldschürfern, geht es sogar sehr gut. Dort, wo sie Zahlen angesichts des Wirtschaftseinbruchs keine Dividende zulassen, muss ohnehin niemand moralisierenden Druck ausüben. Aktionäre investieren meist mit langem Horizont. Niemand will für zwei Euro pro Schein die Existenz der Firma riskieren, von der ihm ein kleines Stück gehört. Die Commerzbank streicht ihre Dividende, ohne dass jemand murrt, ebenso der Verkehrstechnik-Hersteller Vossloh. Die Axel Springer AG verschiebt ihre Hauptversammlung, eine Dividende ist angesichts der düsteren Entwicklung kaum zu erwarten. Um für oder gegen die Ausschüttung zu entscheiden, genügt die Kompetenz der Aufsichtsratsmitglieder und der Anteilseigner auf der Hauptversammlung.

Wenn Funktionäre und Politiker in der der heraufziehenden Rezession anfangen, die Zahlung von Dividenden zu skandalisieren, dann müssen sie sich eine Frage gefallen lassen: Wie sollen Bürger überhaupt noch Vermögen bilden? Der Zins auf das Konto ist abgeschafft. Und das für sehr lange Zeit. Wer heute über 50 ist, erlebt möglicherweise nie wieder positive Realzinsen. Vor Corona gab es noch das vage Versprechen der EZB, der Zins könnte zurückkehren, wenn die Inflation im Euroraum nahe zwei Prozent steigt. Jetzt ist es sehr wahrscheinlich, dass die Geldentwertung durch die riesige Welle frischen Krisenbekämpfungsgeldes diese Marke durchbricht – und die Zinslosigkeit trotzdem bleibt. Sparer können ihrem Vermögen dann beim beschleunigten Verdampfen zusehen. Die Immobilienpreise dürften wegen Corona sinken, weil viele Eigentümer verkaufen müssen, um flüssig zu werden. Aber die Einstiegshürden bleiben trotzdem hoch, zumal die Banken Kredite noch vorsichtiger vergeben werden als bisher. Gold strebt seinem Höchststand entgegen. Und es wirft keinen Gewinn ab. Bleibt als einziges die Aktie, und dort wiederum Aktien von Unternehmen, die Dividende ausschütten. Ein (kleines) Vermögen lässt sich bilden, wenn ein Anleger die Ausschüttung über längere Zeit wieder investiert.

Corona führt den Deutschen vor Augen, wozu ein finanzielles Polster so wichtig ist: als eiserne Reserve für plötzlich hereinbrechende Krisen. Die Pandemie zeigt ihnen auch schmerzhaft, dass die privaten Reserven in dem vermeintlich so reichen Land sehr schmal ausfallen. Das liegt zum einen am zweithöchsten Steuerniveau der EU, das vielen zu wenig übriglässt, um noch etwas beiseite zu legen. Es liegt aber auch an der Anlageform. Deutsche besitzen weniger Grund und Immobilien als Südost- und Südeuropäer. Sie meiden außerdem Aktien. Beim Netto-Medianvermögen – also der Linie, an der sich die Gesamtbevölkerung in eine ärmere und reichere Hälfte teilt – liegt Deutschland unter den Industriestaaten ganz hinten. Das private Medianvermögen in der Bundesrepublik betrug 2018 pro Kopf gerade 16 801 Euro. In Italien mehr als das Doppelte, 34 740 Euro, in der Schweiz 85 792 Euro.

Politiker und Funktionäre wie Hufeld müssten also den Erwerb von Wohneigentum erleichtern, sie müssten aber die Deutschen auch ermutigen, mehr Aktien zu kaufen, gerade jetzt, da viele Qualitätspapiere wegen des Crashs günstig zu haben sind. Und sie sollten an die Unternehmen appellieren: wenn es irgend geht – zahlen Sie Dividende, wenigstens eine kleine. Je besser die finanzielle Notration der Einzelnen, desto besser kommen auch ganze Volkswirtschaften durch schwere Krisen.
Dividenden müssen übrigens versteuert werden. Von dem, was Firmen jetzt ausschütten, fließt also ziemlich viel weiter in die Staatskasse. Es bleibt aber eben auch – ausnahmsweise – so etwas wie ein kleiner Zins für den Sparer übrig.


Von Dirk Schwarzenberg

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