Die Preise für Lebensmittel, Autos, Benzin, Möbel und Haushaltgeräte treiben die Preissteigerungsrate an, welche – so konstatiert die „Neue Zürcher Zeitung“ durch eine „Kombination aus billigem Geld im Überfluss und pandemiebedingte Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage angeheizt wird“. Viele Ökonomen und die meisten Notenbanken gehen zwar davon aus, dass diese Dynamik nachlassen wird, sobald sich die Unternehmen angepasst haben und die Nachfrage sich normalisiert hat. Diese Schalmeienklänge hören wir jedoch schon seit Monaten. Fakt ist: Die Verbraucherpreise in den USA sind im Januar um 7,5 Prozent gestiegen – so stark wie zuletzt im Februar 1982.
Nach dem US-Inflationsschub im Januar rechnet Goldman Sachs nun damit, dass die US-Notenbank (Fed) die Leitzinsen in diesem Jahr siebenmal anhebt. Bislang waren die Goldman-Ökonomen von fünf Zinsschritten ausgegangen. Die meisten Fed-Vertreter, die sich dazu geäussert haben, haben sich gegen eine Anhebung um 50 Basispunkte im März ausgesprochen“, heisst es in der Analyse eines Goldman-Teams um Jan Hatzius. „Wir halten daher eine längere Serie von Erhöhungen um 25 Basispunkte für den wahrscheinlicheren Weg.“
Der Chef der Fed St. Louis, James Bullard, sprach sich angesichts der hohen Inflation im Bloomberg-Interview dagegen für eine Leitzinserhöhung um 100 Basispunkte bis zum 1. Juli aus. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er im Federal Open Market Committee (sozusagen dem Zentralbankrat der Fed) Bundesgenossen findet.
Die hohe Inflation – und das ist unter allen Beobachtern Konsens – ist die andere – dunkle – Seite der gewaltigen staatlichen Ausgabenprogramme, der extrem tiefen Zinsen und des vielen Geldes, das in den USA mit den sogenannten „Stimulierungsschecks“ direkt an die Bürger geflossen ist. Viele liessen sich nicht lange bitten, so dass die Nachfrage nach Konsumgütern bei begrenztem Angebot sehr schnell und sehr stark zugenommen hat. Das hat zwar die Wirtschaft beflügelt, nun kommt aber die Quittung dieser keynesianischen Wirtschaftspolitik in Form einer hohen Inflationsrate.
So sitzen die Regierung Biden und die Fed in der Zwickmühle, dass sie einerseits die Inflation eindämmen müssen, anderseits aber nicht das Wachstum der Wirtschaft bremsen wollen. Kein Wunder, dass die Akteure an den Finanzmärkten nervös werden. Schließlich ist die US-Wirtschaft im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent gewachsen, so stark wie seit 1984 nicht mehr. Dieses Wachstum hat den Arbeitsmarkt beflügelt, so dass allein in den vergangenen drei Monaten 1,6 Millionen neue Jobs geschaffen wurden. Entsprechend haben die Durchschnittslöhne deutlich angezogen. Die Lohnsteigerungen hinken der allgemeinen Inflationsrate allerdings noch deutlich hinterher, so dass die Kaufkraft des normalen Bürgers auf der Strasse gesunken ist. Auf diese Weise lässt sich einerseits die Unzufriedenheit mit der Politik erklären, andererseits kommt die Sorge über die Entstehung einer Lohn-Preis-Spirale auf. Denn nicht nur die Güter des täglichen Bedarfs sind teurer geworden, sondern auch die Mieten haben angezogen. Die Gewerkschaften könnten schon bald auf die Idee kommen, in Erwartung noch stärker steigender Lebenshaltungskosten kräftige Lohnerhöhungen zu fordern.
Oberflächlich betrachtet drängt sich der Eindruck auf, die Inflationsentwicklung in den USA sei ausser Kontrolle geraten. Tatsächlich ziehen skeptische Marktbeobachter Parallelen zu den 1970ern, als die Notenbanker die Inflationsentwicklung komplett verschlafen hatten. Der damalige Fed-Chef Paul Volcker musste schliesslich so stark auf die Bremse treten – er erhöhte die Zinsen auf über zehn Prozent -, dass die Wirtschaft in eine Rezession schlitterte.
Optimisten vertreten die Ansicht, dass das Wachstum der Geldmenge bereits nachgelassen, habe. Wenn sich nun die preistreibenden Engpässe auf der Angebotsseite auflösten, wäre die Inflation gebannt. Dass diese Hoffnung nicht von allen geteilt wird, zeigen die Aktienkurse an der Wall Street. Sie sind seit Jahresanfang mächtig unter Druck geraten. Am Bondmarkt haben die Renditen von Staatsanleihen angezogen, die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihe hat inzwischen die Zwei-Prozentmarke überschritten.
Die US-Börsen sackten jedenfalls auch am Freitag im späteren Handelsverlauf kräftig ab. Neben die Inflationsproblematik tritt nun zunehmend eine geopolitische Belastung – Anleger flüchten wegen des sich zuspitzenden Ukraine-Konflikts aus Aktien. Der Dow Jones Industrial büßte 1,4 Prozent auf 34.738 Punkte ein. Während es angesichts des zunächst freundlichen Handelsauftakts noch nach einem Wochenplus für den Wall-Street-Index ausgesehen hatte, verbuchte er letztlich ein Minus von einem Prozent. Der den breiten Markt abdeckende S&P 500 beendete den Tag 1,9 Prozent tiefer bei 4.419 Punkten. Der Technologie-Index NASDAQ 100 sackte um drei Prozent auf 14.254 Punkte ab, was im Wochenverlauf ebenfalls einen Verlust von drei Prozent bedeutet. Eigentlich sei mit einer gewissen Beruhigung der Lage in der Ukraine gerechnet worden, „aber das scheint nicht mehr der Fall zu sein“, kommentierte Marktanalyst Edward Moya vom Broker Oanda. Nach Berichten darüber, dass die Vereinigten Staaten von einer fortgesetzten Invasion in die Ukraine ausgingen, hätten Aktienhändler schnell die Verkaufsknöpfe gedrückt.
Unternehmensnachrichten waren vor dem Wochenende etwas dünner gesät. Der Sportartikelhersteller Under Armour verschreckte die Anleger mit seinen Geschäftszahlen. Die Aktie sackte um mehr als elf Prozent ab, der Nike-Konkurrent litt im Weihnachtsquartal unter rückläufigen Ergebnissen. Das angehobene Umsatzziel für das laufende Quartal konnte vor diesem Hintergrund nicht beruhigen.
Die Anteile von Expedia drehten nach einem Rekordhoch von gut 210 Dollar ins Minus und büßten 2,7 Prozent ein. Der jüngste Zwischenbericht des Online-Reiseunternehmens war allerdings stark ausgefallen: Trotz der Pandemie gelang dem Unternehmen der Sprung zurück in die Gewinnzone. Die Analysten von Barclays und der Credit Suisse hoben daraufhin ihre Kursziele an und bestätigten ihre Kaufempfehlungen. Seit Jahresbeginn steht bereits ein Kursplus von rund sieben Prozent zu Buche – der Nasdaq 100 verlor im selben Zeitraum fast 13 Prozent.
Zuvor aufgeflammte Zins- und Inflationssorgen hatten zuvor bereits Europas Börsen eingebremst. Einen Lichtblick lieferten lediglich starke Firmenbilanzen, wie beispielsweise von Mercedes-Benz. Der Dax verlor 0,4 Prozent auf 15.425 Punkte, während der EuroStoxx50 rund ein Prozent nachgab.
„Die Zinsen werden zum multiplen Risiko“, warnte Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners. Die dadurch höheren Finanzierungskosten drückten auf die Gewinne. Zudem seien die Anleger bei steigenden Zinsen deutlich weniger bereit, hohe Aktien-Bewertungen zu bezahlen. Der Anstieg der US-Inflationsrate auf den höchsten Stand seit 40 Jahren habe auf alle Fälle wieder vermehrt Unruhe an die Finanzmärkte gebracht, fassten die Strategen von Raiffeisen Research zusammen.
Strahlen konnten hingegen die Anleger von Mercedes-Benz. Die Aktien sprangen um 6,7 Prozent an. Auch andere Titel aus dem Autosektor waren gefragt. BMW gewannen 2,7 Prozent. Das Wachstum von Mercedes-Benz schüre höhere Erwartungen für das laufende Jahr, kommentierte Analyst Philippe Houchois von der Investmentbank Jefferies.
Bei Delivery Hero hatten Anleger hingegen noch an dem enttäuschenden Ausblick zu knabbern. Die Aktien des Essenlieferanten fielen um 11,8 Prozent auf 41 Euro, nachdem sie am Donnerstag bereits einen Rekord-Tagesverlust von gut 30 Prozent verbucht hatten. Analyst Marcus Diebel von der Bank JPMorgan warf wegen der hohen Verluste die Frage nach einer Kapitalerhöhung auf. Zahlreiche Analysten setzten ihre Kursziele für die Aktien herunter.
Der Autobauer BMW hat die vor einigen Jahren eingeleitete Mehrheitsübernahme des chinesischen Gemeinschaftsunternehmens BMW Brilliance Automotive (BBA) abgeschlossen. Im Zuge des Geschäfts rechnet der Dax -Konzern mit einem positiven Sondereffekt in Milliardenhöhe, wie er am Freitag in München mitteilte. BMW Brilliance Automotive (BBA) habe die notwendigen Lizenzen von den chinesischen Behörden erhalten, womit BMW nun mittelbar 75 Prozent an BBA halte. Brilliance China Automotive halte die restlichen 25 Prozent.
Der Rüstungskonzern und Autozulieferer Rheinmetall hat im abgelaufenen Geschäftsjahr die zuletzt in Aussicht gestellte Ergebnisentwicklung übertroffen. Das operative Ergebnis stieg um rund ein Drittel über den entsprechenden Vorjahreswert auf 595 Millionen Euro, wie der im MDax notierte Konzern am Freitag in Düsseldorf mitteilte. Die Aktie stieg danach um ein Prozent auf den höchsten Stand seit fast zwei Jahren, zuletzt verringerte sich das Plus aber schon wieder.
Die Aktionäre des Kunststoffkonzerns Covestro können sich nach einer starken Geschäftsentwicklung auf eine hohe Gewinnbeteiligung freuen. „Die Dividende für 2021 wird die höchste sein, die Covestro bisher gezahlt hat“, sagte Finanzvorstand Thomas Toepfer der Wirtschaftszeitung „Euro am Sonntag“ laut einer Vorabveröffentlichung am Freitag. Der Manager sieht zudem auch 2022 und 2023 Wachstumspotenzial für den Konzern deutlich über dem der gesamten Wirtschaft. Eine Erholung der Autoindustrie könnte zusätzlichen Schub liefern. Mit Blick auf die zuletzt stark gestiegenen Energiepreise gibt sich Toepfer eher entspannt.
Der Volkswagen-Konzern ist zum Start ins neue Jahr dagegen deutlich hinter früheren Zahlen zurückgeblieben. Nach Angaben vom Freitag lieferte Europas größte Autogruppe im Januar weltweit knapp 700.000 Fahrzeuge aus, 15,2 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Alle Regionen lagen dabei im Minus – besonders Südamerika (-38,1 Prozent), aber ebenso der wichtigste Markt China (-18,3 Prozent), wo VW derzeit auch mit E-Modellen teils unter den Erwartungen bleibt, sowie die Heimat Westeuropa (-3,9 Prozent). In Nordamerika sanken die Auslieferungen im Vergleich zum Jahresbeginn 2021 um fünf Prozent, in Mittel- und Osteuropa um mehr als ein Fünftel.
Die deutsche Wirtschaft lebt stark vom Export. Das gilt ganz besonders für die großen Unternehmen. Darum sind die neuen Daten des Statistischen Bundesamts eine gute Nachricht für all jene, die in den DAX investiert sind: Die Ausfuhren der deutschen Unternehmen sind laut der vorläufigen Zahlen im vergangenen Jahr um 14 Prozent auf 1375,5 Milliarden Euro gestiegen. Das ist ein Rekordwert. Noch wichtiger: Der Wert für 2021 liegt 3,6 Prozent über dem Vorkrisenjahr 2019. Die deutsche Exportwirtschaft hat die Pandemie also ausgeschwitzt.
Besonders intensiv war der Verkehr über den Nordatlantik: Die Ausfuhr deutscher Waren in die USA stieg um 18 Prozent auf ein Volumen von 122,1 Milliarden Euro. Die Vereinigten Staaten bleiben damit der wichtigsten Abnehmer für Produkte „made in Germany“. Auf dem zweiten Platz folgt China. Die Ausfuhren in die Volksrepublik legten im vergangenen Jahr um rund acht Prozent auf knapp 103,6 Milliarden zu. Frankreich folgt nach einem Zuwachs von 12,6 Prozent nur knapp dahinter mit 102,3 Milliarden.
Trotz kräftig gestiegener Exporte leiden noch immer viele Unternehmen an Nebenwirkungen der Covid-Krise. Vor Störungen in der globalen Lieferketten und hohen Logistikkosten warnt der Bundesverband der Deutschen Industrie. Nicht zu vergessen die hohe Inflation und politische Krisenherde, insbesondere um die Ukraine. Die kritische Frage aus Sicht der Börse lautet: Wie viel Risiko ist im aktuellen DAX-Stand bereits berücksichtigt?
Wie die meisten großen Aktienindizes ist der DAX zum Jahresstart unter Druck geraten. Mit den Kursen sind auch die Bewertungen nach unten gekommen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des DAX liegt laut Bloomberg-Datenbank nach dem Rücksetzer nur noch knapp über dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Vor allem viele der Industriewerte werden mit einem einstelligen KGV gehandelt. Von Euphorie kann also keine Rede sein, eher von einem verhaltenen Optimismus.