Es ist das beherrschende Thema auf der am Sonntag zu Ende gehenden Herbsttagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in der abgelaufenen Woche in Marrakesch. Die hartnäckige Inflation zwingt die Notenbanken nach wie vor zum Gegensteuern und allmählich zeigen sich konjunkturelle Bremsspuren fast überall auf der Welt.
In den Industrieländern sind die Leitzinsen seit Ende 2021 bereits um durchschnittlich vier Prozentpunkte gestiegen, in den Schwellenländern gar im Schnitt um 6,5 Punkte. Zwar sei die Weltwirtschaft mit dieser monetären Schubumkehr bisher halbwegs ordentlich zurechtgekommen, stellte der IWF fest, doch die Risiken stiegen – der fortdauernde Ukraine-Krieg, die anhaltenden Störungen der Energieversorgung sowie jetzt der wiederaufgeflammte Nahost-Konflikt stellten erhebliche Risiken dar. Gleichwohl erwarten die IWF-Ökonomen für 2023 ein Wachstum der Weltwirtschaft von drei Prozent. Ob sich dieses Wachstum tatsächlich einstellt, hängt maßgeblich davon ab, ob es den Zentralbanken gelingt, die Inflation einzudämmen, ohne eine Rezession auszulösen – die sogenannte „weiche Landung“. Da sind Fragezeichen durchaus angebracht.
Die anhaltend hohe Inflation bedeutet, dass die Weltwirtschaft auf absehbare Zeit mit höheren Leitzinsen zurechtkommen muss. „Höher für länger“ lautet der neue Slogan an den Finanzmärkten. Noch im März, als mit der Silicon Valley Bank, der Signature Bank und der Credit Suisse gleich drei Finanzhäuser untergingen, war die Furcht groß, dass mit steigenden Leitzinsen und Kreditkosten auch der Stress im globalen Bankensystem deutlich stark zunehmen wird. Diese Ängste sind in den vergangenen Monaten aber wieder etwas abgeklungen. So zeigte der jüngste Stresstest des IWF mit 900 Banken in 29 Ländern durchaus beruhigende Ergebnisse. Wenn Schulden teurer werden, gewinnt das Kreditrisiko an Bedeutung. Die Kombination einer schwächelnden Konjunktur, sinkender Erträge und steigender Kreditkosten lässt die Geldreserven vieler Unternehmen schmelzen. Wenig überraschend mehren sich denn auch Kreditausfälle.
Am stärksten spüren Haushalte die höheren Zinsen bei Hypotheken. Dabei müssen sie feststellen, dass ihre Immobilien auch noch an Wert verlieren. Allein im ersten Quartal dieses Jahres sanken die Häuserpreise in den Industriestaaten um 8,4 Prozent und in den Schwellenländern um 2,4 Prozent. In Ländern mit vorwiegend variablen Hypotheken sind die Preisrückgänge dabei besonders groß, weil sich bei dieser Finanzierungsart die Zinserhöhungen schneller in Zahlungsschwierigkeiten ausdrücken.
Vor der angekündigten Bodenoffensive der Israelis in den Gazastreifen wagten sich die Anleger an den US-Börsen vor dem Wochenende nicht weiter vor. Nach einem Anstieg um ein Prozent im frühen Handel schloss der Leitindex Dow Jones Industrial am Freitag mit 0,1 Prozent im Plus bei 33.670 Punkten. Gesucht waren als vergleichsweise sicher geltende US-Staatsanleihen und auch Gold. Die Wochenbilanz des Dow war indes mit plus 0,8 Prozent positiv. Der marktbreite S&P 500 gab am Freitag um 0,5 Prozent auf 4.328 Zähler nach. Der technologielastige Nasdaq 100 verlor mit 1,2 Prozent auf 14.995 Zähler noch mehr an Boden.
Dass sich der Dow am Freitag stabil halten konnte, lag vor allem an den Kursgewinnen des Schwergewichts Unitedhealth. Die Aktien des Krankenversicherers legten an der Spitze des Index um 2,6 Prozent zu. Das Unternehmen wird nach einem überraschend erfolgreichen Quartal noch zuversichtlicher für das laufende Jahr. Auch die Papiere der größten US-Bank JPMorgan stützten den Dow mit einem Aufschlag von 1,5 Prozent. Das Geldhaus steigerte den Quartalsgewinn um 35 Prozent. Das lag nicht zuletzt an einer unerwartet niedrigen Risikovorsorge für gefährdete Kredite.
Auch die Citigroup verdiente im dritten Quartal mehr als ein Jahr zuvor. Analysten hatten hingegen mit einem Gewinneinbruch gerechnet. Nach anfänglichen Kursgewinnen schlossen die Papiere 0,2 Prozent tiefer. Die Großbank Wells Fargo profitierte von steigenden Marktzinsen und übertraf mit dem Nettogewinn die Markterwartungen deutlich. Die Aktien stiegen um 3,1 Prozent.
Der Streaming-Riese Netflix will den Erfolg seiner Filme und Serien für Erlebnis-Standorte nutzen. In einem „Netflix House“ werde man unter anderem Fanartikel kaufen und an Sendungen angelehnte Gerichte essen können, sagte Netflix-Manager Josh Simon der Nachrichtenagentur Bloomberg. Bei Investoren kam das offenbar nicht gut an, Aktien von Netflix verloren 1,5 Prozent.
Boeing büßten 3,3 Prozent ein. Einem Branchenbericht zufolge haben sich beim Flugzeughersteller die internen Inspektionen des 737 Max zuletzt ausgeweitet. Dies drohe die Auslieferung des Fliegers weiter zu verzögern, hieß es am Markt. Die Titel von Dollar General sprangen um 9,2 Prozent nach oben, nachdem der Discounter die Rückkehr des ehemaligen Unternehmenschefs Todd Vasos bekannt gegeben hatte.
Der Euro gab nach und notierte im späten US-Handel bei 1,0510 US-Dollar. Der Dollar profitierte von seinem Status als sichere Währung in Krisenzeiten. Die Kurse am US-Anleihemarkt legten zu, die Rendite zehnjähriger Anleihen fiel dazu korrespondierend auf 4,62 Prozent.
Ein deutlicher Kursrutsch hatte zuvor den Dax seinen gesamten Wochengewinn gekostet. Nach einem verhaltenen Auftakt weitete der deutsche Leitindex sein Minus aus und schloss 1,6 Prozent tiefer bei 15.187 Punkten, womit er auf Wochensicht um 0,3 Prozent nachgab. Für den MDax der mittelgroßen Unternehmen ging es am Freitag um 1,3 Prozent auf 24.956 Zähler bergab.
Wegen eines „Cocktails der Unsicherheit, bestehend aus Inflations- und Zinssorgen sowie geopolitischen Risikofaktoren“, seien die Investoren in Deckung gegangen, schrieb Analyst Timo Emden. Auch wenn die Börsen zuletzt wenig auf die jüngsten Entwicklungen im Nahostkonflikt reagiert hätten, schwebe dieser „weiterhin wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Anleger“.
Mit Blick auf die anstehenden Quartalsberichte europäischer Unternehmen herrscht unter Experten etwas Hoffnung. „Wir erachten die regionalen Gewinnschätzungen als etwas konservativ und sehen positives Überraschungspotenzial“, schrieb DZ-Bank-Analyst Stephen Schneider. Der Pharma- und Laborausrüster Sartorius und dessen französische Tochter Sarorius Stedim Biotech schockten die Anleger allerdings mit schwachen vorläufigen Quartalszahlen sowie einer Senkung der Unternehmensziele. Sartorius büßten am Dax-Ende rund 13 Prozent ein und sackten auf den tiefsten Stand seit Mitte 2020 ab. Dies belastete die gesamte Branche. Der Diagnostikanbieter Qiagen erreichte das niedrigste Niveau seit drei Jahren und schloss drei Prozent im Minus. Ganz anders stellte sich die Situation bei Morphysos dar – die Aktien sprangen an der Spitze des Nebenwerte-Index SDax um 3,3 Prozent hoch. Als Kurstreiber für das Biotech-Unternehmen erwies sich eine Hochstufung der US-Bank Morgan Stanley.
Am deutschen Anleihemarkt stieg die Umlaufrendite von 2,74 Prozent am Vortag auf 2,75 Prozent.
Nach dem wilden Ritt der vergangenen Tage trauen Börsenexperten dem zuletzt schwachen Dax in der neuen Woche wieder Gewinne zu. Außer der üblichen saisonalen Stärke im vierten Quartal sollten die zuletzt gesunkenen Bewertungen dem deutschen Leitindex Rückenwind geben. Im Fokus steht neben der Geldpolitik die Berichtssaison der Unternehmen, die langsam Fahrt aufnimmt.
Als Risiko gilt am Markt weiterhin eine Ausweitung des aktuellen Konflikts zwischen Israel und der Hamas. Dieser hatte die Stimmung aber nur zu Wochenbeginn etwas beeinträchtigt. Beobachter gehen derzeit nicht davon aus, dass es zu einem Flächenbrand kommen wird. Danach sorgten Aussagen von US-Notenbankern für eine Erholungsrally von Dax & Co, die zuletzt aber von überraschend starken amerikanischen Inflationsdaten wieder einen Dämpfer bekam.
„Wir sehen weiterhin gute Gründe für eine Fortsetzung der jüngsten Kurserholung, mahnen jedoch, die aktuellen Risiken ernst zu nehmen“, heißt es in der wöchentlichen Wertpapierstrategie der DZ Bank. Die Erwartung noch länger hoher Zinsen sehen die Autoren inzwischen als vollständig eingepreist. „Mittelfristig sinkende Anleiherenditen infolge einer globalen Konjunkturabkühlung und nachlassender Inflation sollten weiter Druck von Aktienbewertungen und Kursen nehmen.“
Maik Bolsmann vom Kölner Vermögensverwalter B&K Vermögen ist ebenfalls eher optimistisch und traut dem Dax trotz der jüngsten Inflationsdaten aus den USA weitere Gewinne zu. Dafür sprächen neben dem verbesserten Chartbild und der positiven Saisonalität die eher schlechte Stimmung unter den Anlegern, die er als Kontraindikator werte. „Viele Investoren sitzen auf hohen Cashbeständen und geraten bei steigenden Kursen unter Zugzwang.“ „Fear of missing out“ („Die Angst etwas zu verpassen“) nennen angelsächsische Investoren diesen Druck auf die Anleger.
Auch für die Experten der Dekabank spricht die jüngste Marktkorrektur „für eine bereits sehr vorsichtige Stimmung und Positionierung unter den Anlegern, was den weiteren Verkaufsdruck begrenzen sollte“. Der jüngste, massive Renditeanstieg sei überzogen und sollte sich in den kommenden Monaten umkehren, was den Aktienmarkt unterstützen sollte.
Nach einem sich abzeichnenden, ruhigen Wochenauftakt stehen am Dienstag und Mittwoch mit den Zahlen von Bank of America und Goldman Sachs beziehungsweise Morgan Stanley weitere Schwergewichte aus dem US-Finanzsektor im Fokus. Außerdem informiert am Dienstag der Online-Broker Flatexdegiro über seine Umsatzentwicklung im vergangenen Quartal.
Zur Wochenmitte veröffentlicht der Essenslieferdienst Just Eat Takeaway Umsatzzahlen, die auch Auswirkungen auf die Aktien des deutschen Konkurrenten Delivery Hero haben könnten. Nach dem Handelsende in Frankfurt legt die Deutsche Börse ihren Quartalsbericht vor und nach der Schlussglocke an der Wall Street werden Zahlen des deutschen Softwarekonzerns SAP sowie des Elektroautobauers Tesla und des Streaminganbieters Netflix aus den USA erwartet.
Am traditionell vollgepackten Donnerstag folgen unter anderem ein Kapitalmarkttag des Pharma- und Spezialchemieriesen Merck KGaA sowie Zahlen von der Online-Apotheke DocMorris, welche auch den deutschen Konkurrenten Redcare Pharmacy bewegen könnten. Mit Deliveroo legt ein weiterer Rivale von Delivery Hero seine Umsatzentwicklung offen. Nachbörslich berichtet noch der Großhandelskonzern Metro AG über seine Umsatzentwicklung.
Tags darauf dürften Verbraucherpreise aus der Eurozone mit Blick auf die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank genau beäugt werden. Zudem geben Industrie- und Einzelhandelsdaten aus China Aufschluss über die derzeitige Verfassung der angeschlagenen zweitgrößten Volkswirtschaft. Am Freitag stehen dann noch die deutschen Erzeugerpreise und der Zinsentscheid der chinesischen Notenbank im Fokus.