Tichys Einblick
Der Marktausblick

Hexensabbat und Inflationsangst

Schon fast vorbei sind die statistisch schwierigen Börsenmonate August und September. Bislang lief es an den Aktienmärkten rund, vor allem die US-Indizes feierten etliche Allzeithochs, der DAX hielt sich in der Nähe der 16 000-Punkte-Marke.

IMAGO/UPI Photo

Beim Blick auf die globale Wetterlage stellt man jedoch fest, dass sich das Börsenklima eintrübt. Anleger müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass die großen Notenbanken diesseits und jenseits des Atlantiks die Geldflut in nicht allzu ferner Zukunft allmählich drosseln werden. Doch das bleibt wohl nicht die einzige Sorge. Denn zu den Anzeichen konjunktureller Abkühlung in westlichen Volkswirtschaften wie Deutschland und den USA gesellen sich immer mehr negative Signale aus China. Die Volksrepublik war nicht nur im Pandemiejahr 2020 die Konjunkturlokomotive der Welt. Die Wirtschaftsnation Nummer 2 spielt dank ihres starken Momentums eine entscheidende Rolle für den globalen Aufschwung. Industrieproduktion und wohl auch der Konsum, lassen aktuelle Daten vermuten, könnten jedoch 2021 weniger stark anziehen, wie bislang erwartet. Bleibt zu hoffen, dass es eine konjunkturelle Delle bleibt, die dem Gerede um die Folgen der Ausbreitung der Delta-Variante geschuldet ist. ​

Am letzten Handelstag der Woche haben an den US-Börsen vor diesem Hintergrund jedenfalls erst einmal Kursverluste das Bild bestimmt. Der Leitindex Dow Jones Industrial lgab am Freitag um 0,5 Prozent auf 34.585 Punkte nach. Auf Wochensicht steht für den Dow damit ein leichter Verlust zu Buche. Im Verlauf der Woche pendelte der Index unter 35.000 Zählern auf und ab.

Gebremst haben dürfte die Kurse der sogenannte große Verfall an den Terminbörsen. An diesen vier Börsentagen im Jahr wird das Aktiengeschäft in der Regel von handelstechnischen Aspekten bestimmt. An Europas Börsen hatte der Verfallstermin die Kurse deutlich belastet. Aber auch die Sitzung der US-Notenbank am Mittwoch kommender Woche wirft bereits ihre Schatten voraus und sorgt unter Anlegern für Nervosität. Die Fed erwägt ein Anziehen der geldpolitischen Zügel.

Der marktbreite S&p 500 verlor 0,9 Prozent auf 4.433 Zähler. Der Nasdaq 100 fiel weiter ab mit minus 1,2 Prozent auf 15.3334 Punkte. Es war der größte Tagesverlust des Index seit Mai. Hier nahmen Anleger bei Aktien aus der Halbleiterbranche Kursgewinne mit. Zuletzt hatten Papiere wie NXP Semiconductors, Xilinx oder die der niederländischen, auch in New York gelisteten ASML Rekordstände erklommen.

Vom „Großen Verfall“ sprechen Börsianer, wenn der letzte Handelstag aller vier Derivate-Typen, also Optionen und Terminkontrakte auf Indizes und Aktien, auf denselben Tag fällt. Aktienkurse und Indizes sind dann auch ohne konkrete Nachrichten schwankungsanfällig. Denn Investoren versuchen kurz vor dem Auslaufen dieser Derivate die Kurse in die für sie günstige Richtung zu bewegen.

Kursbewegende Nachrichten zu Unternehmen waren vor dem Wochenende Mangelware. Die Fondsgesellschaft Invesco ist laut dem „Wall Street Journal“ in Gesprächen über eine Übernahme des Finanzdienstleisters State Street. Die Invesco-Papiere verteuerten sich daraufhin um 5,5 Prozent, während State Street um 2,6 Prozent fielen.

Der Stahlhersteller United States Steel erwägt den Bau eines weiteren Stahlwerks. Der Aktienkurs sackte um acht Prozent ab. Analysten sorgen sich, dass weitere Produktionskapazitäten ein Überangebot zur Folge haben könnten. Carlos de Alba von Morgan Stanley wies darauf hin, dass U.S. Steel einen Großteil der Barmittel für den Bau aufbrauchen dürfte.

Die Aktien von Biontech büßten 3,6 Prozent ein. Ein Beratergremium der US-Gesundheitsbehörde FDA hat sich gegen eine Auffrischimpfung mit dem gemeinsam mit Pfizer entwickelten Impfstoff gegen das Coronavirus ausgesprochen. Pfizer-Aktien verloren 1,3 Prozent.

Zuvor hatte schon der deutsche Leitindex DAX ein Prozent im Minus bei 15.490 Punkten geschlossen. Erneut ließ nach einer durchwachsenen Börsenwoche beim deutschen Leitindex nach dem Sprung über die Hürde von 15.700 Zählern der Schwung nach. Zum Nachmittag drehte das Börsenbarometer ins Minus und auf Wochensicht steht ein kleine Minus in den Büchern.

Für den DAX war der Freitag der letzte Handelstag mit 30 Mitgliedern. Mit Aktien wie Zalando oder Hellofresh wird das wichtigste deutsche Börsenbarometer ab Montag jünger und bunter. Dann wird sich der Leitindex aus 40 Werten zusammensetzen, darunter mit Airbus auch ein weiteres Schwergewicht.

Die Continental-Aktie erholte sich im Vorfeld der Indexumstellung und stand mit mehr als 1,3 Prozent an der Spitze des DAX. Weiteres Gesprächsthema war Biotest. Die Aktie sprang nach der Übernahme durch den spanischen Medizinkonzern Grifols deutlich an. Die Spanier unterbreiten nun den übrigen Aktionären ein Angebot. Die Biotest-Stammaktien lagen mit einem Plus von zuletzt mehr als 22 Prozent knapp über den gebotenen 43 Euro. Schlusslicht im deutschen Leitindex war am Freitag die BASF-Aktie mit einem Minus von rund drei Prozent.

Der Finanzvestor Cerberus ist einem Bericht zufolge am Kauf der Staatsbeteiligung an der Commerzbank interessiert. Der Investor aus New York könne sich gut vorstellen, die Beteiligung des Bundes in Höhe von 15,6 Prozent nach der Bundestagswahl zu übernehmen, berichtete das „Handelsblatt“ am Freitag unter Berufung auf mehrere mit dem Thema vertraute Personen. Die Commerzbank-Aktie legte nach den Nachrichten kurz nach Handelsstart um gut vier Prozent zu.

Nach monatelangen Verhandlungen ist ein milliardenschweres Geschäft zur Kommunalisierung von Wohnungen in Berlin unter Dach und Fach. Drei landeseigene Gesellschaften kaufen den Konzernen Vonovia und Deutsche Wohnen 14 750 Wohnungen sowie 450 Gewerbeeinheiten ab und zahlen dafür 2,46 Milliarden Euro.

Der Chipkonzern Infineon erhofft sich von der Inbetriebnahme seines neuen Halbleiterwerks in Villach zusätzliche Umsätze von jährlich zwei Milliarden Euro. Das sind 200 Millionen mehr als bisher bekannt. Das komplette Hochfahren des Werks werde aber etwa vier bis fünf Jahre dauern, sagte Vorstandsmitglied Jochen Hanebeck am Freitag zur Eröffnung des Werks.

Das Thema Inflation steht derzeit ganz oben auf der Anleger-Agenda, da die zunehmende Teuerung die Notenbanken unter Druck setzt, die geldpolitischen Zügel anzuziehen, und dies die Aktienkurse drücken könnte. Doch die derzeit hohen Teuerungssprünge dürften sich zumindest in Deutschland abschwächen, wie eine Studie des Ifo-Instituts zeigt. Demnach müssen Verbraucher in Deutschland in diesem Jahr mit drei Prozent Inflation rechnen. Zwei bis 2,5 Prozent könnten es im Jahr 2022 werden. „Die Sonderfaktoren werden mit Beginn des Jahres 2022 ausklingen, da die Mehrwertsteuersenkung ein Jahr zuvor wieder aufgehoben wurde und die Energiepreise ihr Vorkrisenniveau erreichten“, erklärt Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Quo vadis, China? Die meisten Ökonomen dürften sich einig sein, dass China als Konjunktur-Lokomotive die Weltwirtschaft aus dem Corona-Loch herausgezogen hat. Die harten Interventionen der chinesischen Führung, vor allem im Technologiesektor, haben aber in den vergangenen Monaten die Anleger stark verunsichert. Das vom Zürcher Medienanalysen-Institut Media Tenor ermittelte Analystenmeinungsklima in internationalen Wirtschaftsleitmedien wie „Financial Times“ und „Wall Street Journal“ ist von seinem Hoch bezüglich China im ersten Quartal (plus 24,6 Zähler) auf zuletzt minus 25,5 Zähler regelrecht eingebrochen. Die negativen Einschätzungen gelten sowohl für die Beurteilung der Gegenwart als auch der Zukunft. „Im Einbruch des Analystenmeinungsklimas spiegelt sich, dass der Kampf der chinesischen Regierung um die Kontrolle der Wirtschaft eine neue Stufe erreicht hat“, so Matthias Vollbracht, Leiter Wirtschaftsanalyse bei Media Tenor. Die Finanzexperten sehen offenbar eindeutig wachsende Risiken mit Blick auf wirtschaftliches Engagement in China. Deutlich gestiegen ist dagegen das Meinungsklima der Analysten in Bezug auf Europa: von minus 1,5 Zählern im ersten Quartal auf zuletzt plus 24,5. Anders sieht es mit Blick auf die USA aus: „Der Regierungswechsel in den USA hat noch keine Biden-Dividende im Sentiment der Finanzexperten gebracht“, so Vollbracht. Das Meinungsklima zu den US-Titeln lag mit plus 11,6 Zählern auf dem Niveau des ersten Quartals. Bilanzanalyse und kritische Überprüfung bisheriger Anlagemuster sind gefragt. Insgesamt wurde 88 486 Aussagen ausgewertet.

Die Erfolgsgeschichte der Exchange Traded Funds scheint kein Ende zu nehmen. So sind im Lauf dieses Jahres den börsennotierten Indexfonds mit 834 Milliarden US-Dollar weltweit schon knapp zehn Prozent mehr Mittel zugeflossen als im ganzen Rekordjahr 2020. Insgesamt sind nun laut Datenanbieter ETFGI schon 9,7 Billionen US-Dollar in ETFs global gebunden, eine Verdoppelung der Summe seit 2018. Leidtragende des Booms sind aktiv gemanagte Fonds, die aufgrund höherer Kosten und zum Teil schlechterer Ergebnisse starke Abflüsse in den vergangenen Jahren zu verzeichnen haben. Große Profiteure dieser Entwicklung sind mit Blackrock und Vanguard zwei US-Unternehmen, die den ETF-Markt weltweit dominieren.​


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