„Politische Börsen haben kurze Beine“, lautet eine abgedroschene Börsenweisheit. Politische Ereignisse hätten selten einen starken und nachhaltigen Einfluss auf die Weltwirtschaft. Mittel- und langfristig sei eine gut laufende Wirtschaft für die Aktienmärkte im Normalfall wichtiger. Was früher vielleicht richtig war, kann heute aber durchaus falsch sein. Denn die sogenannten „geopolitischen Risiken“ haben zugenommen – und können sehr wohl einen negativen Einfluss auf Wirtschaft und Börsen haben. Der Ukraine-Krieg zeigt das: Eine sich verstärkende Inflation, steigende Leitzinsen und die Folgen der Sanktionen beschäftigen uns auch anderthalb Jahre nach Kriegsausbruch.
Die politischen Risiken fänden derzeit wenig Beachtung, sagen auch die Analysten von Blackrock, der größten Fondsgesellschaft der Welt, die seit vielen Jahren ihren sogenannten BlackRock Geopolitical Risk Indicator (BGRI) berechnen. Dieser verfolgt die relative Häufigkeit von Brokerage-Berichten und Finanznachrichten, die mit bestimmten geopolitischen Risiken wie dem Konflikt zwischen den USA und China oder dem Ukraine-Krieg verbunden sind. BlackRock leitet aus der geringen Häufigkeit ab, dass die Märkte die möglichen Auswirkungen geopolitischer Ereignisse wohl unterschätzen.
Sie listen derzeit acht große Risiken auf:
1) USA gegen China
Eskaliert der aktuelle Streit um die Vorherrschaft in der Welt (wirtschaftlich und militärisch) zwischen den USA und China, hätte das gravierende Folgen für die Aktienmärkte, da die zwei größten Volkswirtschaften der Welt involviert wären. Viele Geschäftsmodelle wären in Frage gestellt. Die Reaktion an den Aktienmärkten wäre deutlich negativ über eine längere Zeit. Bereits heute gibt es Handelseinschränkungen für strategisch und symbolisch wichtige Produkte – Chips, 5G-Hardware oder seltene Erden. Aufgrund der großen Bedeutung der Autoindustrie in den USA und Europa könnte beispielsweise ein chinesisches Preis-Dumping bei Elektroautos heftige Reaktionen zur Folge haben.
2) Russland gegen Nato
Der Einmarsch Russlands in die Ukraine ist der größte und gefährlichste militärische Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Eine diplomatische Lösung ist in nächster Zeit nicht in Sicht. Es besteht ein erhebliches Risiko einer versehentlichen oder absichtlichen Eskalation. Breite Korrekturen vor allem an den europäischen Märkten wären die Folge. Viele Länder sind trotz der Bemühungen um andere Bezugsquellen immer noch stark vom russischen Gas abhängig. Das wahrscheinlichste, langfristige Ergebnis ist laut BlackRock eine politische, wirtschaftliche und militärische Pattsituation zwischen dem Westen und Russland. Obwohl die Ukraine nicht als Nato-Mitglied aufgenommen wurde, haben sich die westlichen Verbündeten langfristig für die Sicherheit der Ukraine eingesetzt und die Ukraine de facto zu einem Mitglied des westlichen Sicherheitsschirms gemacht.
3) China gegen Taiwan
Taiwan gehört für China zum eigenen Staatsgebiet, international wird es nur von wenigen Ländern als souveräner Staat anerkannt. Peking droht immer wieder mit der Eroberung der Insel. Ein militärischer Konflikt zwischen China und Taiwan hätte noch deutlich dramatischere wirtschaftliche Auswirkungen als der Ukraine-Krieg. Insbesondere im Bereich der Halbleiter- und Mikrochipherstellung ist Taiwan mit Abstand der wichtigste Produzent. Ein längerer Produktionsausfall bei einem Einmarsch hätte verheerende Konsequenzen für die Weltwirtschaft, und es müsste mit einer schweren globalen Rezession gerechnet werden. Die Konfiskation chinesischer Assets im Westen, zerstörte Wertschöpfungsketten, Chip-Knappheit und Flüchtlingsströme wären weitere Konsequenzen.
4) Deglobalisierung
Die Konsequenzen aus der Corona-Pandemie – die sogenannten „Lieferkettenprobleme“ – haben zu einem Rückbau der Wertschöpfungsketten und in vielen Ländern zu einer neuen „nationalen“ Industriepolitik geführt. „Mehr Interventionismus in der Wirtschaftspolitik würde die Deglobalisierungskräfte stärken und zu weniger Effizienz und tieferer Produktivität bei der globalen Produktion von Gütern und Dienstleistungen führen“, analysiert zum Beispiel Anastossios Frangulidis, Chefstratege bei Pictet Asset Management. Da dieser Prozess schleichend verläuft, sind die negativen Folgen für die globalen Aktien über die Jahre verteilt – das „boiling frog“-Phänomen.
5) Cyberattacken
Angesichts des zunehmenden geopolitischen Wettbewerbs und des rasanten technologischen Fortschritts werden Cyberangriffe immer häufiger und raffinierter. Problematisch sind vor allem Cyberangriffe auf die Infrastruktur (Stromnetze, IT-Systeme oder Wasser- und Energieversorgung). Solche können massiven wirtschaftlichen Schaden anrichten – mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Aktienmärkte.
6) Schuldenwirtschaft und Staatsbankrotte
Weltweit nehmen die Schulden rapide zu. Aufgrund der starken Zinserhöhungen wird der Schuldendienst für gewisse Staaten immer anspruchsvoller. Zahlungsausfälle und Staatsbankrotte beziehungsweise Beinah-Insolvenzen werden wieder wahrscheinlicher. „Die Folge wäre eine stark negative Real- und nominelle Aktienperformance, Gold und Liquidität wären wahrscheinlich die Gewinner“, sagt Frangulidis. Einige Schwellenländer wie Brasilien und Mexiko könnten in der Lage sein, ihre Politik zu lockern und den zunehmenden Abwärtsdruck auf das Wachstum auszugleichen. Schwellenländer mit hoher Verschuldung wie Ägypten und Pakistan könnten auf große Probleme stoßen.
7) Politische Spaltung
In vielen Staaten ist das politische Klima vergiftet. Dies kann zu Streiks, Protesten und im schlimmsten Fall zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen. Solche Entwicklungen können Investitionsentscheidungen beeinflussen und die Börsen unter Druck bringen. Dies könnte die Deglobalisierung von Teilen der Wirtschaft vorantreiben.
8) Globale Hungerkrise
Es besteht wegen des aufgekündigten Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine die Gefahr einer globalen Hungerkrise. Tritt diese ein, würden die höheren Nahrungsmittelpreise die Inflation befeuern und Konflikte um Agrarland zunehmen. Politische Instabilität in Entwicklungsländern, Staatsbankrotte, Aufwind für Extremismus und die Verschärfung der Migrationsbewegungen vom Land in Städte sowie nach den USA oder Europa sind in diesem Szenario realistisch.
An den Börsen herrscht derzeit aber noch die Kurzfristbetrachtung vor. So sorgte am Freitag der US-Arbeitsmarktbericht für eine Berg- und Talfahrt an der Wall Street. Die durchwachsenen Jobdaten wurden unterschiedlich interpretiert. Die einen sehen sie als Signal dafür, dass das Ende des Zinserhöhungszyklus erreicht sein dürfte. Die Skeptiker beziehen eine abwartende Position und betonen, dass sich die US-Notenbank Fed auch weiterhin alle Türen offen halten werde. Gegen Handelsende wurden die Anleger in der Mehrzahl vorsichtiger, sodass die anfänglichen Gewinne abbröckelten und sich in Verluste wandelten.
Der Dow Jones Industrial beendete den Tag nach einem überwiegend leicht positiven Verlauf mit einem Minus von 0,4 Prozent auf 35.066 Punkte. Für die erste Augustwoche steht damit ein Verlust von rund einem Prozent zu Buche. Der marktbreite S&P 500 büßte am Freitag 0,5 Prozent auf 4.478 Zähler ein. Der technologielastige Auswahlindex Nasdaq 100 sank um 0,5 Prozent auf 15.275 Punkte. Sein Wochenverlust summiert sich damit auf drei Prozent.
Unternehmensseitig hat die Quartalsberichtssaison in den USA ihren Höhepunkt inzwischen hinter sich. Vor allem in der Technologiebranche war sie stark gelaufen. Am Freitag standen die Schwergewichte Amazon und Apple im Fokus. Während Apple als Schlusslicht im Dow um 4,8 Prozent absackte, gewann Amazon als einer der Spitzenwerte im Nasdaq-Auswahlindex 8,3 Prozent und erreichte ein Zwölfmonatshoch. Die Apple-Papiere hatten allerdings zuletzt im Juli ein Rekordhoch erreicht. Die Apple-Investoren seien zu optimistisch, hatte Analyst Wamsi Mohan von Bank of America bereits am Vortag vor der Zahlenvorlage des iPhone-Herstellers gewarnt.
Amazon dagegen legte die Latte für sein Jahresumsatzziel höher und meldete glänzende Gewinne im abgelaufenen Quartal. Die Dynamik des weltweiten Online-Handelsgeschäfts, eine steigende operative Profitabilität im Nordamerika-Geschäft und eine Stabilisierung des Umsatzwachstums in der Cloud-Sparte AWS seien die Quellen für das starke zweite Quartal gewesen, sagte Analyst Eric Sheridan von Goldman Sachs. Nicht zuletzt vom starken Cloud-Geschäft profitierten auch andere Aktien: Microsoft zogen um 0,3 Prozent hoch und Snowflake gewannen 3,5 Prozent. Unter den Nebenwerten schossen Tupperware zeitweise um mehr als 50 Prozent nach oben. Aus dem Handel ging die Aktie mit plus 35,5 Prozent. Der Hersteller von Frischhaltedosen hatte sich mit seinen Gläubigern geeinigt.
Der Euro wurde zuletzt mit 1,1007 Dollar gehandelt. Am US-Rentenmarkt stieg der Terminkontrakt für zehnjährige Staatsanleihen (T-Note-Future) zuletzt um 0,94 Prozent auf 111,27 Punkte. Die Rendite für zehnjährige Anleihen sank auf 4,04 Prozent.
Der Dax hatte zuvor eine sehr schwache Handelswoche mit einem kleinen Plus beendet. Der deutsche Leitindex DAX gewann am Ende 0,4 Prozent auf 15.951 Punkte. Das Wochenminus belief sich damit auf 3,1 Prozent. Der MDAX der mittelgroßen Unternehmen stieg am Freitag um 0,5 Prozent auf 28.087 Zähler.
Am Dax-Ende rutschen Commerzbank nach der Veröffentlichung von Quartalszahlen um 2,6 Prozent ab. Vor allem die wenig präzisen Aussagen zu Aktienrückkäufen waren am Markt nicht gut angekommen. Die Titel des Immobilienkonzerns Vonovia verloren nach Halbjahreszahlen 1,3 Prozent. Deutschlands größtem Wohnimmobilienkonzern machen wie auch der ganzen Branche die steigenden Zinsen zu schaffen. Deshalb will das Unternehmen etwa mit dem Verkauf von Liegenschaften seine Schulden abbauen.
Positive Nachrichten gab es von Airbus. Dem weltgrößten Flugzeugbauer gelang mit der Auslieferung von 65 Verkehrsjets im Juli der bisher zweitstärkste Monat des Jahres. Damit legten die Papiere um 0,4 Prozent zu. Für die Aktien von Lanxess ging es nach Quartalszahlen am Index-Ende um 2,4 Prozent bergab. Der Spezialchemiekonzern sieht noch keine Anzeichen einer Belebung der eingebrochenen Nachfrage.
Am Rentenmarkt legte die Umlaufrendite von 2,60 Prozent am Vortag auf 2,63 Prozent zu.