Aus Impfstoffhoffnung wird zusehends Impfstoffgewissheit, Anleger setzen mit gutem Grund auf konjunkturell bessere Zeiten. In New York hat diese Zuversicht zuletzt immer wieder zu neuen Kursrekorden geführt. So stellte der Dow Jones Industrial am Freitag wieder eine Bestmarke aufgestellt. Der Leitindex stieg erstmals über die Marke von 30.200 Punkten und überbot sein bisheriges Hoch aus der Vorwoche um etwa 100 Zähler. Er schloss mit 30.218 Punkten auf seinem Tagesmaximum. Mit einem Anstieg um 0,8 Prozent steigerte er sein Wochenplus auf gut ein Prozent.
Die Standardwerte waren zu Wochenschluss gefragter als die Technologiewerte, was neben dem Dow auch dem marktbreiten S&P 500 ein Rekordhoch bescherte. Er stieg um 0,9 Prozent auf 3.699 Zähler. Der Tech-Auswahlindex NASDAQ 100 legte zwar um 0,5 Prozent auf 12.528 Punkte zu, konnte aber keinen weiteren Rekord aufstellen.
Die Anleger zeigten sich in New York wenig beeindruckt davon, dass der Anstieg der US-Beschäftigung im November weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Am Markt hieß es, dies sei kompensiert worden von der Hoffnung auf ein neues Konjunkturpaket. Mit den durchwachsenen Jobdaten sei der Druck auf die Parteien in Washington, endlich eine Einigung zu erzielen, eher noch gestiegen.
Börsianer verwiesen darauf, dass an den Aktienmärkten die Zukunft gehandelt werde – und Anleger bauten hier auf die Hoffnung, dass es in den USA noch mehr Staatshilfen geben werde und mehrere Impfstoffe, die kurz vor der Zulassung stehen, einen Weg aus der Krise wiesen. Historisch hohe Zuwächse im November mit immer neuen Kursrekorden seien Ausdruck dessen.
Gute Laune kam bei den Anlegern im Ölsektor auf, nachdem sich die Opec auf eine geringere Steigerung der Ölförderung einigte als in einem früheren Plan vorgesehen. Mit dem Ölpreis beflügelte dies auch die Aktienkurse von Konzernen wie Chevron oder ExxonMobil, deren Aktien um bis zu 3,9 Prozent anzogen. Occidental Petroleum legte sogar um mehr als 13 Prozent zu.
Im Dow zollten Boeing ihrer jüngsten Rally mit einem Abschlag von 1,9 Prozent Tribut. Nachdem die Aktien seit Anfang November wegen der Impfstoff-Hoffnung und dem aufgehobenen Flugverbot für den Krisenjet 737 Max um etwa 70 Prozent gestiegen waren, machten einige Anleger nun Kasse. Wie am Freitag bekannt wurde, will der Flugzeugbauer die Produktion des Langstreckenjets 787 „Dreamliner“ weiter drosseln.
Ansonsten blieben die Blicke vor allem auf die Impfstoff-Entwickler gerichtet. Wie Moderna bekannt gab, deuten Studiendaten darauf hin, dass der eigene Impfstoff über einen längeren Zeitraum Schutz gegen Covid-19 bieten könnte. Die stark gelaufenen Aktien fielen am Freitag wegen Gewinnmitnahmen um drei Prozent.
Auch beim BioNTech-Kurs wird die Luft allmählich dünner. Am Vortag leicht belastet von einem Bericht über Hindernisse in der Lieferkette und zunächst nochmals schwächer in den US-Handel gestartet, schafften es die Papiere des Mainzer Unternehmens aber noch mit 1,1 Prozent ins Plus. Die Titel des US-Partners Pfizer legten um 0,6 Prozent zu.
Stärke zeigten ansonsten die Aktien der Fahrdienstleister Uber und Lyft, denen die Corona-Krise in den vergangenen Monaten auch zugesetzt hatte. Lyft sprangen um sieben Prozent nach oben und erreichten wieder das Niveau vor dem Viruscrash im Februar. Bei Uber reichte ein Plus von 4,5 Prozent für ein weiteres Rekordhoch. Den Crash hatten sie Anfang November schon ausgeglichen.
Auch der DAX kletterte ein wenig, für einen neuen Rekordstand reichte es in Frankfurt aber nicht. Der deutsche Leitindex DAX schloss mit 0,4 Prozent fester bei 13.299 Punkten. Zwar sei der Dezember historisch betrachtet der zweitbeste Monat für den Dax, übertroffen nur vom April, erläuterte Aktienstratege Frank Klumpp von der Landesbank Baden-Württemberg. Allerdings habe der DAX in diesem Jahr einen „fulminanten November“ hinter sich und könnte sein Pulver folglich schon verschossen haben. „Durchatmen“ könne daher nun die Devise für den Rest des Jahres lauten. Im November war der deutsche Leitindex um 15 Prozent gestiegen.
Am Freitag war die Infineon-Aktie mit mehr als 2,2 Prozent Plus der Spitzenwert im DAX. Schlusslicht war die Deutsche Post-Aktie mit rund zwei Prozent Abschlag.
Lange ist es her, dass allein der Gedanke an eine steigende Preisspirale den deutschen Sparern den Angstschweiß auf die Stirn getrieben hat. So ist die Teuerung im November auf minus 0,3 Prozent gefallen, nach minus 0,2 im September und Oktober. Nicht anders sieht es in der Eurozone aus. Und das, obwohl die EZB den Leitzins schon auf null gesenkt und auch sonst die Geldschleusen weit geöffnet hat. Zwei Mittel haben die Notenbanker, um die Rate in Richtung des gewünschten Zielwerts von zwei Prozent zu heben. Erstens wird „die EZB am 10. Dezember ihre ohnehin lockere Geldpolitik nochmals ausweiten“, meint Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe. „EZB-Chefin Christine Lagarde hat damit grünes Licht für eine Aufstockung der Anleihekäufe gegeben.“ Zudem gibt es neue Überlegungen in der EZB, aber auch im deutschen Wirtschaftsministerium, die boomenden Hauspreise in der Inflationsrate zu berücksichtigen. Indem Eigenheim und selbst genutzte Wohnungen in die Berechnung einbezogen werden, wird das die Teuerung Schätzungen zufolge um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte heben — jedoch nur, wenn es mit dem Immobilienboom und der steigenden Bewertung von Betongold weitergeht.
Ein Tesla für Trucks sollte der Elektro-Lkw-Hersteller Nikola werden, ein weiteres Beispiel für nachhaltige Mobilität, die Anleger zudem schnell sehr reich macht. Doch mehr und mehr entwickelt sich das Nutzfahrzeug-Start-up aus dem US-Bundesstaat Arizona, das im Frühjahr an die Börse gekommen ist, zum großen Geldvernichter. Seit dem IPO im Juni dieses Jahres summieren sich die Verluste der Aktie auf 78 Prozent. Schon im September war Nikola mit schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert worden. So soll der Konzern Investoren, Medien und Fans seit Jahren getäuscht und den Lastwagen Nikola One für ein Werbevideo einfach einen Berg hinuntergerollt haben, um dessen angebliche Fahrtauglichkeit unter Beweis zu stellen. Daraufhin musste Nikola-Boss Trevor Milton zurücktreten. Nun der nächste Rückschlag. Der Autogigant GM hat die geplante technische Zusammenarbeit sowie eine elfprozentige Beteiligung im Wert von zwei Milliarden Dollar abgesagt. Damit ist auch der unter dem Modell-namen Badger angekündigte und von Investoren erhoffte Nikola-Pick-up vom Tisch. Die Anleger reagierten entsetzt, der Kurs des Nikola-Papiers rutschte vergangene Woche um 40 Prozent ins Minus.
Der geplante Börsengang der Unterkunftsplattform Airbnb am kommenden Donnerstag gilt als letzter großer Stimmungstest für das Börsenjahr 2020. Infolge der Corona–Pandemie gingen zwar die Buchungen des US-Unternehmens weltweit rasant zurück, dennoch dürfte sich der Platzierungsbetrag beim Börsengang auf bis zu drei Milliarden US-Dollar, die Bewertung des Konzerns auf bis zu 30 Milliarden US-Dollar belaufen. Die Hauptaktionäre des Unternehmens sind Sequoia Capital, Founders Fund und DST Global. Der Umsatz in den ersten neun Monaten 2020 lag bei 2,5 Milliarden US-Dollar, der Nettogewinn bei minus 697 Millionen US-Dollar.