„Ich glaube, ich habe mich geirrt, was die Entwicklung der Inflation anbelangt“, berichtete kürzlich die amerikanische Finanzministerin, Janet Yellen. Yellen, die von 2014 bis 2018 Präsidentin der US-Notenbank gewesen war, lieferte auch gleich eine Begründung mit: „Es gab unvorhergesehene und große Schocks für die Wirtschaft, die die Energie- und Lebensmittelpreise in die Höhe getrieben haben, und Versorgungsengpässe, die unsere Wirtschaft stark beeinträchtigt haben, aber wir erkennen das jetzt.“
Auch diesseits des Atlantik scheint sich die Teuerung zu verfestigen. In der EU stieg die Inflationsrate im Mai nochmals deutlich und erreichte 8,1 Prozent. 7,9 Prozent waren es dabei in Deutschland. Damit ist die Preissteigerung so wuchtig wie auf dem Rekordniveau von 1973/74. Die Teuerungsprognosen wurden am Donnerstag auch von der Europäischen Zentralbank angehoben. Sie geht nun von einer jährlichen Inflationsrate von 6,8 Prozent im Jahr 2022 aus, bevor sie auf 3,5 Prozent im Jahr 2023 schrumpfen soll.
Nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) nun schließlich auch angekündigt hat, das Inflationsthema künftig ernstzunehmen, fragt sich, ob die Inflation noch rechtzeitig gezähmt werden kann oder ob sie außer Kontrolle gerät. Gründe dafür gäbe es genug; die wichtigsten sind die Gefahr eines weiteren gegenseitigen Hochschaukelns der Preise in den Lieferketten und das Entstehen einer Lohn-Preis-Spirale.
Sowohl Biden als auch die europäischen Spitzenpolitiker machen in erster Linie „Putins Krieg in der Ukraine“ und die dadurch ausgelösten Probleme in der Lieferkette für die enormen Preissteigerungen verantwortlich, doch so einfach ist eben nicht. Jetzt wird auch die Rechnung für die überexpansive Geldpolitik der vergangenen Jahre bezahlt. Kein Wunder, dass die Inflations- und Konjunktursorgen am Freitag die jüngste Talfahrt der US-Börsen beschleunigten. Der Leitindex Dow Jones Industrial büßte 2,7 Prozent auf 31.393 Punkte ein. Auf Wochensicht bedeutet dies ein Minus von 4,6 Prozent. Für den marktbreiten S&P 500 ging es am Freitag um 2,9 Prozent auf 3.901 Punkte nach unten. Der technologielastige NASDAQ 100 sank um 3,6 Prozent auf 1.833 Zähler ein. Alle drei Indizes verzeichneten damit jeweils den größten Wochenverlust seit Januar.
Unter den Einzelwerten verzeichneten Bankaktien besonders deutliche Verluste. Anleger befürchten, dass die Notenbanken angesichts der immer weiter steigenden Teuerung zu einem noch strafferen geldpolitischen Kurs tendieren könnten – mit größeren Zinsschritten als bisher angenommen. Zwar gelten Banken als Nutznießer steigender Zinsen, doch kann andererseits eine zu harte Geldpolitik das Wirtschaftswachstum abwürgen und auch die Kreditnachfrage bremsen. So knickten die Papiere von Goldman Sachs unter den größten Verlierern im Dow um 5,7 Prozent ein und die von JPMorgan um 4,6 Prozent.
Die Anteilscheine von DocuSign sackten um fast ein Viertel ab und waren damit der klare Verlierer im Nasdaq 100. Die E-Signatur-Plattform hatte enttäuschende Quartalszahlen vorgelegt. Bei dem Unternehmen verschlechterte sich die Umsatzdynamik im ersten Geschäftsquartal erneut. Die Aktien des Kosmetikherstellers Revlon brachen sogar um 53 Prozent ein und verzeichneten damit den größten prozentualen Tagesverlust ihrer Geschichte. Händler verwiesen auf Spekulationen über einen bevorstehenden Insolvenzantrag.
Sorgen um die Konjunktur angesichts der hohen Teuerung und steigender Zinsen belasteten europaweit Bankaktien. Banken profitieren eigentlich von höheren Zinsen, es nützt ihnen aber wenig, wenn sich gleichzeitig die Wirtschaft deutlich abkühlt. Die Papiere der Deutschen Bank verloren am Dax-Ende 5,9 Prozent. Die Anteile der Commerzbank gaben unter den schwächsten Werten im MDax um 5,6 Prozent nach. Vor dem Hintergrund der Zinswende in der Eurozone waren auch Immobilienwerte schwach. Vonovia büßten 3,3 Prozent ein, im MDax verloren TAG Immobilien 6,3 Prozent. Instone rutschten inklusive Dividendenabschlag im SDAX sogar um 13 Prozent ab. Knorr-Bremse kamen mit minus 0,8 Prozent noch relativ glimpflich davon. Eine frische Kaufempfehlung der Citigroup stützte die Aktie des Herstellers von Bremssystemen.