Wenn Anleger eine Lehre aus dem Börsengeschehen der letzten Wochen in Deutschland ziehen können, dann lautet sie: Vorsicht mit den Helden der vermeintlich neuen Zeit.
WireCard sollte ein solcher sein und das wollten auch die Finanzaufseher von der BaFin unbedingt so sehen – möglicherweise mit politischer Unterstützung. Man wollte halt unbedingt einen neuen deutschen Champion sehen. Also hieß es bei der BaFin: Augen zu! Und unter dem Tisch auf die Katastrophe wetten.
Die Umstände dieses Wunschtraumes mit staatlichem Hypnotikum wird nun hoffentlich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags klären. Die Aktionäre, die erleben müssen, wie sich der Glaube, etwas Wertvolles zu besitzen, in kürzester Zeit in Nichts auflösen kann, werden davon nichts haben – außer Erkenntnis über die Leichtigkeit, mit der in der Epoche der durch und durch digitalisierten Finanzwirtschaft Werte mit Leichtigkeit aus dem Nichts behauptet werden können.
Für den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland stellt sich die Frage, ob die Deutsche Börse wirklich gelernt hat aus dem größten Betrugsfall ihrer Geschichte. Die Ironie am Abschied der Samwers ist nämlich, dass zuvor ausgerechnet ein von ihnen mitfinanziertes Start-Up als Wirecard-Nachfolger in den Dax30 nachfolgte. Zum Dax30, wie alle nationalen Leitindizes einst als Aushängeschild der deutschen Wirtschaft für Investoren geschaffen, gehört nun seit dem 24. August „Delivery Hero“, ein Essen-Liefer-Dienstleister, beziehungsweise Vermittler solcher Dienste.
Hätte die Lehre aus dem Wirecard-Desaster nicht sein sollen, dass zu den Eigenschaften eines Dax-30-Konzernes auch so dröge Attribute wie eine gewisse Aussicht auf langfristige Beständigkeit gehören. Das, was Warren Buffet und andere langfristig orientierte Anleger „Substanzwert“ nennen, ist bei Delivery Hero schwerlich zu finden. So wenig wie bei vielen anderen Gründungen der Samwers. Oder erinnert sich noch jemand an die nervigen Klingeltöne, für die einst Schulkinder ihr Taschengeld ausgaben, um die Brüder reich zu machen?
Aber weder die Nachfrage nach diesen Diensten noch das Angebot an gering bezahlten Kurieren müssen stabil bleiben. In unseren schnelllebigen, von Konventionen befreiten (oder beraubten) Zeiten ist es gut möglich, dass das Konzept des aus dem Restaurant gelieferten Essens bald wieder out ist. Vielleicht nicht im nächsten, aber möglicherweise in fünf oder zehn Jahren. Noch wahrscheinlicher ist, dass das Angebot an unterbezahlten, allzeit verfügbaren Fahrradkurieren sich verknappt, weil diese sich selbst organisieren. Dazu kommt das bereits erkennbare Empörungspotenzial in unserer hypermoralisierten Gesellschaft.
Das Geschäftsmodell von Delivery Hero ist jedenfalls wacklig. Und vor allem: Es steht nur auf einem Bein. Ein gewachsenes Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen mit mehreren Sparten kann in einem solchen Fall die Schwerpunkte des Geschäfts verlagern. Aber Delivery Hero hat keine anderen Fähigkeiten als die Vermittlung von Fahrradkurieren zwischen Küchen und Esstischen. Wenn dieser Maklerdienst nicht mehr lukrativ ist, bleibt vom Unternehmen Delivery Hero so gut wie nichts übrig. Weder nennenswerte materielle Güter, noch eine nennenswerte Zahl an Patenten. Nur eine Geschäftsidee, die sich irgendwann erledigt haben könnte und eine internationale Armee von unterbezahlten Fahrradkurieren.