Tichys Einblick
Die Deutsche Börse hat nicht gelernt

Delivery Hero und die Samwers – Vorsicht mit den selbst erklärten Börsenhelden

Die Samwers verlassen die Börse. Sie hinterlassen geschröpfte Aktionäre - und ausgerechnet ihren Zögling Delivery Hero als Ersatz für WireCard im Dax. Dabei sollte die Lehre aus dem Wirecard-Desaster gerade sein: Misstraut den neuen Helden!

Fahrrad-Kurier einer Delivery Hero-Tochter in Moskau

imago images / ITAR-TASS

Wenn Anleger eine Lehre aus dem Börsengeschehen der letzten Wochen in Deutschland ziehen können, dann lautet sie: Vorsicht mit den Helden der vermeintlich neuen Zeit. 

WireCard sollte ein solcher sein und das wollten auch die Finanzaufseher von der BaFin unbedingt so sehen – möglicherweise mit politischer Unterstützung. Man wollte halt unbedingt einen neuen deutschen Champion sehen. Also hieß es bei der BaFin: Augen zu! Und unter dem Tisch auf die Katastrophe wetten. 

Die Umstände dieses Wunschtraumes mit staatlichem Hypnotikum wird nun hoffentlich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags klären. Die Aktionäre, die erleben müssen, wie sich der Glaube, etwas Wertvolles zu besitzen, in kürzester Zeit in Nichts auflösen kann, werden davon nichts haben – außer Erkenntnis über die Leichtigkeit, mit der in der Epoche der durch und durch digitalisierten Finanzwirtschaft Werte mit Leichtigkeit aus dem Nichts behauptet werden können.

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Und jetzt endet der nächste Börsentraum. Eigentlich ist er schon lange erledigt. Rocket Internet, besser bekannt unter dem Familiennamen der drei Brüder Samwer, zieht sich von der Börse zurück, nur sechs Jahre nach dem Börsengang. Die Brüder bieten jetzt jedem Aktionär nicht einmal 19 Euro pro Aktie. Wer sie 2014 zeichnete, zahlte dafür 42,50 und bei einer Kapitalerhöhung später sogar 49 Euro. Für die drei Brüder war das kurze Börsenabenteuer also ein gutes Geschäft, für ihre (Klein-)Aktionäre eine riesige Enttäuschung. Sie haben jetzt die Wahl, entweder mit Verlust zu verkaufen – oder Aktionäre zu bleiben, aber ohne die Freiheit schnell wieder aussteigen zu können.  

Für den Wirtschafts- und Finanzstandort Deutschland stellt sich die Frage, ob die Deutsche Börse wirklich gelernt hat aus dem größten Betrugsfall ihrer Geschichte. Die Ironie am Abschied der Samwers ist nämlich, dass zuvor ausgerechnet ein von ihnen mitfinanziertes Start-Up als Wirecard-Nachfolger in den Dax30 nachfolgte. Zum Dax30, wie alle nationalen Leitindizes einst als Aushängeschild der deutschen Wirtschaft für Investoren geschaffen, gehört nun seit dem 24. August „Delivery Hero“, ein Essen-Liefer-Dienstleister, beziehungsweise Vermittler solcher Dienste. 

Hätte die Lehre aus dem Wirecard-Desaster nicht sein sollen, dass zu den Eigenschaften eines Dax-30-Konzernes auch so dröge Attribute wie eine gewisse Aussicht auf langfristige Beständigkeit gehören. Das, was Warren Buffet und andere langfristig orientierte Anleger „Substanzwert“ nennen, ist bei Delivery Hero schwerlich zu finden. So wenig wie bei vielen anderen Gründungen der Samwers. Oder erinnert sich noch jemand an die nervigen Klingeltöne, für die einst Schulkinder ihr Taschengeld ausgaben, um die Brüder reich zu machen?

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Im Aushängeschild der deutschen Wirtschaft für den Weltfinanzmarkt steckt also nun ein Unternehmen, von dem nach Ansicht von Aktionärsschützern nicht absehbar ist, dass sein Geschäftsmodell langfristig Gewinne erzielt. Das eigentliche Kapital von Delivery Hero und allen ähnlichen Dienstleistungsmaklern der digitalen Plattformökonomie ist die geringe Bezahlung und leichte Verfügbarkeit der Kuriere. Sie sind tatsächlich, wie die IG-Metall schreibt „so etwas wie die Vorhut eines digitalen Proletariats, dessen vermeintliche Freiheiten drastische Verschlechterungen der Arbeitsverhältnisse mit sich bringen“. Vor allem Zuwanderer ohne Qualifikationen und vor allem ohne jegliche gewerkschaftliche Organisation zur Durchsetzung höherer Löhne und fester Anstellungsverhältnisse bilden dieses neue Proletariat. 

Aber weder die Nachfrage nach diesen Diensten noch das Angebot an gering bezahlten Kurieren müssen stabil bleiben. In unseren schnelllebigen, von Konventionen befreiten (oder beraubten) Zeiten ist es gut möglich, dass das Konzept des aus dem Restaurant gelieferten Essens bald wieder out ist. Vielleicht nicht im nächsten, aber möglicherweise in fünf oder zehn Jahren. Noch wahrscheinlicher ist, dass das Angebot an unterbezahlten, allzeit verfügbaren Fahrradkurieren sich verknappt, weil diese sich selbst organisieren. Dazu kommt das bereits erkennbare Empörungspotenzial in unserer hypermoralisierten Gesellschaft. 

Das Geschäftsmodell von Delivery Hero ist jedenfalls wacklig. Und vor allem: Es steht nur auf einem Bein. Ein gewachsenes Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen mit mehreren Sparten kann in einem solchen Fall die Schwerpunkte des Geschäfts verlagern. Aber Delivery Hero hat keine anderen Fähigkeiten als die Vermittlung von Fahrradkurieren zwischen Küchen und Esstischen. Wenn dieser Maklerdienst nicht mehr lukrativ ist, bleibt vom Unternehmen Delivery Hero so gut wie nichts übrig. Weder nennenswerte materielle Güter, noch eine nennenswerte Zahl an Patenten. Nur eine Geschäftsidee, die sich irgendwann erledigt haben könnte und eine internationale Armee von unterbezahlten Fahrradkurieren.

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