Wenn sich Notenbankchefs und Finanzökonomen im abgeschiedenen Jackson Hole treffen, einem winzigen Ort im Grand Teton National Park in Wyoming, ziehen sie sich weit von den Metropolen zurück – und stehen trotzdem im Rampenlicht. Denn die Reden dort sollen den Weg der westlichen Geldpolitik für die nächste Zeit weisen. Bei dem Treffen an diesem Freitag bedeutet das sogar: für die nächsten Jahre.
Unter dem akademisch-trockenen Konferenzmotto ‚Reassessing the Effectiveness and Transmission of Monetary Policy‘ (Neubewertung der Effizienz und Transmission der Geldpolitik) gab vor allem US-Notenbankchef Jerome Powell Hinweise, wie sich die Zinsen der weltweit mächtigsten Reservewährung entwickeln. Für Notenbanker-Verhältnisse sagte er sehr deutlich: Der Zinsschritt nach unten kommt, es geht nur noch um die Frage, wie groß er ausfällt. „Die Richtung der Reise ist klar“, meinte er in seiner Rede, die er am Freitag um 10 Uhr Ortszeit begann, „Zeitpunkt und Geschwindigkeit der Senkung werden von den erwarteten Daten abhängen, den Aussichten und der Balance der Risiken.“
Die meisten Marktbeobachter bewerten das so: Wenn Powell die Zinsentscheidung von den Daten abhängig macht, die eine abkühlende Konjunktur anzeigen, und den Schwerpunkt jetzt stark auf Rezessionsbekämpfung legt (Balance der Risiken), dann steht ein kräftiger Schritt auf der Zinstreppe nach unten bevor. Anders als die EZB, die (eigentlich) nur der Währungsstabilität verpflichtet ist, muss Powells Fed auftragsgemäß zwei Größen im Auge behalten – Währungsstabilität und Konjunktur. Auf der einen Seite sehen die Zahlen gut aus: Die Inflation in den USA lag zwar im Juli noch bei 2,9 und damit über der Zielmarke von 2 Prozent. Allerdings sank sie schon den vierten Monat in Folge, und erreichte den tiefsten Stand seit März 2021, also dem Wert zu Beginn des großen Geldentwertungsschubs.
Die systematische Zinserhöhungspolitik der Fed bis auf 5,5 Prozent, erreicht im Juli 2023, zahlt sich also aus. Dafür trüben sich die Konjunkturaussichten in den USA merklich ein. Beides spricht dafür, dass die US-Zentralbank auf ihrer Sitzung am 17. und 18. September den Leitzins um 50 Basispunkte senkt, also 0,5 Prozentpunkte. Dieser von vielen Marktteilnehmern erwartete Schritt schickte schon Tage vor dem Treffen in Jackson Hole den Goldpreis auf einen neuen Rekord: Er überschritt erstmals 2.500 Dollar pro Unze. Wer am Jahresbeginn 2024 trotz des damals schon relativ hohen Preises einstieg, kann sich im August über gut 20 Prozent Wertzuwachs freuen. Investoren, die vor 12 Monaten kauften, verbuchen sogar ein Plus von 27 Prozent. TE hatte in der Vergangenheit öfters einen deutlichen Anstieg des Edelmetallpreises durch die Zinswende vorhergesagt.
Mit Preisen um die 2.500 Dollar je Feinunze ist die Goldrally allerdings noch lange nicht erschöpft. Im Gegenteil: Das gelbe Metall und seine Besitzer profitieren von fünf wichtigen Trends, von denen vier auf sehr lange Zeit anhalten.
Erstens: Die Inflation im Dollar- und Euroraum lässt zwar nach – aber sie wird bleiben. Die Zeiten einer Null-Inflation kehren nicht zurück. Auch die EZB wird den Zins auf ihrer nächsten Sitzung am 13. September aller Voraussicht nach um weitere 25 Basispunkte oder 0,25 Prozent senken. Im Euroraum liegt die Inflation zwar niedriger als in den USA, nämlich bei 2,6 Prozent. Dafür stagniert die Entwicklung aber; die Geldentwertung sank zum Schluss nicht mehr. Trotzdem werden die Zentralbanker auch hier den Zins herunterregeln, um ein Abgleiten der gesamten Währungszone in eine Dauerrezession wenigstens zu bremsen. Die britische Nationalbank schnitt den Zins aus dem gleichen Grund in diesem Jahr schon zweimal auf aktuell 5 Prozent zurück.
Sinkende Zinsen bei einer immer noch aktiven Inflation bedeuten: Die Inflation bleibt Dauergast, am wahrscheinlichsten im Bereich zwischen 2,5 und 4 Prozent jährlich. Das klingt nach wenig. Allerdings schmilzt eine moderate, aber stetige Inflation über viele Jahre ein Vermögen stärker ab als ein einmaliger kurzer Geldentwertungsschub. Für Halter von Bargeld läuft es auf eine einfache Rechnung hinaus: Gesunkene Zinsen bei einer fortdauernden mäßigen Inflation ergeben kaum noch einen positiven Realzins – zumal von den Zinsen noch Ertragssteuern abgehen. Selbst dann, wenn es formal noch Zinsen aufs Konto und bei Festgeld gibt – das Metall steigt im Attraktivitätsvergleich, obwohl es keine Zinsen abwirft. Dafür bleibt es auf lange Sicht stabil. Eines der wenigen Mittel gegen den dauernden Wertverlust von Bargeld heißt also: Gold, der traditionelle Wertspeicher. Er ist einfach zu verstehen, und erfüllt die Aufgabe im Vergleich zu allen anderen Alternativen immer noch am besten.
Dass die Zinsen auch langfristig niedrig bleiben dürften, liegt an dem zweiten Großtrend: der weltweiten Schuldenexplosion. Im Juli 2024 kletterten die US-Staatsschulden über die Marke von 35 Billionen Dollar. Und egal, wer die Wahl im November gewinnt – weder Trump noch Harris haben vor, den Schuldenanstieg in irgendeiner Weise zu bremsen. Einziger Unterschied: Unter einer Präsidentin Harris dürften die öffentlichen Schulden noch ein bisschen schneller nach oben schießen, sollte sie ihre Milliarden-Ausgabenprogramme tatsächlich verwirklichen. Die Gesamtverschuldung der EU nimmt sich mit 12,73 Billionen Dollar vergleichsweise bescheiden aus. Aber auch hier eilen die Ausgaben den Steuereinnahmen weit voraus. Und mit einer kollektiven EU-Kreditaufnahme, wie sie sich Frankreich dringend wünscht, könnte die Schuldenlast bald im ähnlichen Tempo steigen wie jenseits des Atlantiks. Ende 2023 lag die weltweite Verschuldung bei über 300 Billionen Dollar. Auch hier lässt sich kein Ende oder wenigstens eine Verlangsamung absehen. Tragen lässt sich diese gigantische Schuldenlast nur mit moderaten Zinsen unter fünf Prozent. Diese ungebremste Schuldenparty wiederum fördert das grundlegende Misstrauen vieler Sparer in das sogenannte Fiat-Geld. Ihre naheliegende Zuflucht heißt Gold, und das auch ziemlich unabhängig von einer einzelnen Zinsentscheidung.
Der dritte Punkt: globale Unsicherheit. Noch ist der Russland-Ukraine-Krieg im Gang, ein Militärschlag des Iran gegen Israel hängt nach wie vor in der Luft. Daraus, dass Mächte wie Iran und China ihren Wirkungsbereich ausdehnen wollen, machen sie keinen Hehl. Wie kriegerisch beziehungsweise interventionsfreudig sich eine Präsidentin Kamala Harris zeigt, kann derzeit kaum jemand abschätzen. Alles in allem bietet also auch die politisch-militärische Weltlage allen Grund, zumindest ein Teil seines Vermögens in einen sicheren Hafen zu bringen beziehungsweise dort zu halten.
Grund Nummer vier: Die Nationalbank Chinas und die Zentralbanken etlicher anderer Länder verfolgen langfristig die Politik der „Entdollarisierung“. Das bedeutet: Sie tauschen Dollar-Anleihen sukzessive in andere Werte, vorzugsweise in Gold. Die Goldkäufe der Zentralbanken Chinas, der Türkei und anderer Staaten gehörten schon in den vergangenen Jahren zu den zuverlässigsten Treibern des Preises.
Ein fünfter Grund kommt mit dem Blick auf die Börse dazu: Nach dem plötzlichen Kursrutsch, der noch glimpflich ausging, legen viele Investoren eine größere Vorsicht an den Tag, vor allem gegenüber heiß gelaufenen und schon sehr hoch bewerteten Technologieaktien. Auch hier richten sich die Augen verstärkt auf die verlässlichen Wertanlagen.
Die wichtigste praktische Frage für kleine und größere Anleger lautet: Wie weit geht der Unzenpreis noch nach oben? Interessanterweise lagen die Schätzungen wichtiger Analysten in der Vergangenheit eher unter der realen Preisentwicklung. J.P. Morgan etwa sah 2023 den Wert der Feinunze im 4. Quartal 2024 gerade um 2.100 Dollar. Am weitesten wagt sich derzeit der Ökonom Charlie Morris vor: Er hält 7000 Dollar pro Unze bis 2030 für möglich. Für einen langen Aufwärtsdruck beim Gold spricht jedenfalls eins: Bei vier der fünf Entwicklungen handelt es sich um Langfristtrends, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach sogar noch steigern.