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Tanz am Rande des Vulkans

Auf der Gamescom feiert die Welt und Deutschland sieht zu

Zurzeit findet in Köln die weltgrößte Videospielmesse, die Gamescom, statt. Ein Markt, der längst andere Entertainment-Industrien überflügelt hat, feiert dabei trotz bedrohlicher Gewitterwolken am Horizont. Die deutsche Spieleindustrie führt dabei weiterhin ein Schattendasein.

Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht bei seinem Rundgang über die Gamescom mit Cosplayern. Die Computer- und Videospielmesse Gamescom findet vom 21.-25.08.2024 in Köln statt.

picture alliance/dpa | Oliver Berg

In Köln findet vom 20. bis 25. August die Gamescom, die weltweit größte Videospielmesse, statt. Mehr als 1400 Aussteller aus 64 Ländern geben sich am Rhein ein Stelldichein und präsentieren die neuesten Ankündigungen eines Sektors, der in Sachen Umsatz schon längst die Musik- und Filmindustrie überflügelt hat. Seit dem Niedergang der kalifornischen E3, gilt die Gamescom als größte Messe der Branche, doch angesichts der ausbleibenden Unterstützung durch die Ampel verliert der Standort Deutschland und seine verbliebenen Entwickler immer weiter an Boden.

Niemand geringerer als Wirtschaftsminimierer…pardon…minister Robert Habeck erschien zur Eröffnung der Gamescom und gab patentiert salbungsvolle Worte zum Besten: „Auf der Gamescom habe ich gelernt, wie wichtig Spieleentwicklung und Games für gesellschaftliche Teilhabe und für ein digitales Biotop in diesem Land sind“, so Habeck, der bei seinem Amtsantritt 2021 die Spieleindustrie zur Chefsache erklärte und vom Verkehrs- ins Wirtschaftsministerium holte. So richtig wusste der ehemalige Kinderbuchautor damit allerdings auch nichts anzufangen, sodass im Juli dieses Jahres das Games-Referat mit jenem für Kultur- und Kreativwirtschaft zusammengelegt wurde.

Die Industrie reagierte verstört. Nun lagen Wohl und Wehe dieses potenten Wirtschaftssektors auf einmal in den Händen von Claudia Roth. Ein zweiter schwerer Schlag, nachdem bereits im Mai 2023 die Games-Förderung des Wirtschaftsministeriums ausgesetzt wurde. Selbst die knapp 100 Millionen aus Roths Budget für die Jahre 2024 bis 2026 sind alles andere als garantiert und entsprechende Abstimmungen ziehen sich bereits seit Monaten. Entsprechend zog Roth es vor, bei der Gamescom nicht zu erscheinen und wich somit unangenehmen Fragen aus.

Denn obwohl die Branche gewaltige Umsätze aufweisen kann, operieren Firmen am Standort Deutschland, wie man es mittlerweile aus fast allen Wirtschaftszweigen kennt, am Limit. Ob Energiekosten oder Steuerlast – der Wettbewerbsnachteil deutscher Spieleentwickler ist kaum von der Hand zu weisen und führt zu einem langsamen Aussterben einer Branche, die noch in den 90er Jahren die Heimat zahlreicher Entwicklerstudios war, die in ihren Genres zur Marktspitze gehörten.

Entsprechend regiert der Pessimismus in der deutschen Spielebranche. Nachdem Corona den Markt für Spiele nochmals drastisch wachsen ließ, konsolidierte sich die Entwicklung in den letzten Jahren. Gepaart mit wegfallender Förderung und anderen wirtschaftlichen Faktoren führte das zu einer grundlegenden Skepsis im Hinblick auf die Zukunft. Der Verband der deutschen Games-Branche veröffentlichte bereits Anfang des Jahres Zahlen, nach denen mittlerweile 54 Prozent aller Games-Unternehmer die Entwicklung ihrer Branche eher/sehr negativ sehen. 2023 lag dieser Wert noch bei 17 Prozent, 2022 bei 0 Prozent.

Die Angst vor einem neuen Crash

Aber es wäre falsch, darin einzig und allein die Schuld der Ampel zu sehen, denn die Krise der Gaming-Industrie ist ein globales Phänomen. Schon seit Jahren geht das Gespenst eines neuen Gaming-Crashes, der einst schon in den 1980ern die damals junge Industrie heimsuchte, um. Die teilweise massenhaften Entlassungen in der Branche sind nur einer von vielen Vorboten. Verloren 2023 noch 10.500 Menschen ihren Job in der Branche, ist dieser Wert 2024 bereits im August mit 11.500 Entlassungen überschritten. Dabei geht es nicht nur kleinen Entwicklern an den Kragen, auch die Branchenriesen kürzen massiv. Publisher Take Two entließ heuer bereits 600 Mitarbeiter, Electronic Arts 670, Sonys Playstation Studios ganze 900 und das zu Microsoft gehörende Activision Blizzard entledigte sich auf einen Schlag der Mitarbeit von 1900 Angestellten.

Das wirkt zunächst widersprüchlich, angesichts eines finanziell derart potenten Marktes. Doch wer sich die finanzielle Entwicklung des deutschen Games-Marktes (der international analog verlief) in den letzten 30 Jahren ansieht, wird feststellen, dass das exponentielle Wachstum des Marktvolumens in den letzten 10 Jahren vor allem den sogenannten „In-Game Käufen“, also den verhassten und viel gescholtenen Mikrotransaktionen, geschuldet ist. Dabei handelt es sich um zusätzliche Käufe neuer kosmetischer oder auch spielvereinfachender Inhalte, die oftmals durch Glücksspielmechaniken verstärkt Abhängigkeiten schaffen, um den Kunden auch nach der Anschaffung des Spiels nochmal ein Vielfaches des Anschaffungspreises aus den Taschen zu locken.

Für Investoren ist dieses Modell unwiderstehlich. Anstatt teuer und risikobehaftet neue Spiele zu entwickeln, die nach jahrelanger Arbeit Gefahr laufen könnten, ein Flop zu werden, melkt man nun bestehendes Interesse, indem man mit geringem Aufwand kleine Erweiterungen anbietet, die die Nutzer dazu verleiten, das Modell finanziell am Leben zu erhalten.

Kreativ gesprochen, ist das Modell der Mikrotransaktionen aber pures Gift. Das schlägt sich – wider Erwarten – auch in den tatsächlichen Verkaufszahlen von Spielen nieder, die in den letzten 15 Jahren sogar einen leichten Rückgang verzeichneten. Denn der Spielemarkt stagniert auf kreativer Ebene bereits seit geraumer Zeit. Einerseits warten Spieler seit bis zu einem Jahrzehnt oder mehr auf Fortsetzungen beliebter Spielereihen, die aber nie erscheinen, da Mikrotransaktionen oder sonstige Erweiterungen bestehende Spiele monetär am Leben erhalten, andererseits leiden Spieleentwickler schon längst an den gleichen kreativen Fußfesseln wie auch die Filmindustrie Hollywoods.

Kreativer Leerlauf auf der Nostalgiewelle

Wenn Filmproduktionen bereits ein finanzielles Risiko darstellen, dann tut es die oftmals noch aufwändigere Produktion von Spielen erst recht. Das Resultat? Neue Ideen finden sich, wenn überhaupt, meist nur im Bereich der Indie-Produzenten. Die großen Konglomerate setzen wie die Filmindustrie vor allem auf Fortsetzungen, da diese das marktwirtschaftliche Risiko am ehesten kalkulierbar machen.

Genau das war dann auch bei der Eröffnungsveranstaltung der Gamescom zu beobachten. Die größte Begeisterung lösten dabei fast durchgehend Fortsetzungen oder Ableger bestehender Spielereihen aus. Borderlands Teil 4, Civilization Teil 7, ein neues Mafia-Spiel, das allerdings – Kreativitätsalarm! – keine Fortsetzung, sondern die Vorgeschichte der Spielereihe abbilden soll. Fast alle der in dieser Veranstaltung vorgestellten Spiele präsentierten sich dabei mit möglichst cineastisch anmutenden Trailern, die den Konventionen des Kinos mittlerweile kaum noch nachstehen. Das Spiel und seine Mechaniken treten zunehmend in den Hintergrund, an deren Stelle tritt Markenerkennung und die vage Hoffnung auf filmreife Narrative.

So befassten sich auch die Kommentare der Fachpresse vor allem mit der Frage, welche Präsentation den größten Hype erzeugen konnte, was zunehmend zur entscheidenden Metrik auf einem Markt wird, der immer weniger durch die Qualität der endgültigen Produkte besticht, sondern nur noch von bewusst hervorgerufener Nostalgie und der Hoffnung, es könne noch einmal so werden, wie es damals war, lebt. Ein wenig wie Konservative vor den Wahlen.

Der Trend zur Nostalgie wird auch bei der Gamescom deutlich, denn die Messe bietet auch ein eigenes Retro-Areal, auf dem Besucher hemmungslos ihren verflossenen Jugenderinnerungen an eine Zeit, in der eine verzockte Nacht vor einem 14-Zoll-Röhrenmonitor noch ein Abenteuer darstellte, frönen können. Es dürfte sich dabei aber um ein unvermeidliches Phänomen handeln, da man Computerspiele zwar traditionell mit Kindern und Jugendlichen assoziiert, der durchschnittliche Spieler in Deutschland aber mittlerweile 37 Jahre alt ist. Und es ist genau diese Zielgruppe, die für die Branche interessant ist, da sie die Finanzkraft besitzt, die Minderjährigen noch fehlt. Dafür leidet diese Zielgruppe an chronischem Zeitmangel, um sich in zeitintensive Spiele zu vertiefen, sowie an einer Desillusioniertheit mit dem Akt des Spielens an sich, das immer seltener den aus Jugendjahren ersehnten Eskapismus aufleben lassen kann. Diese Diskrepanz zwischen Kaufkraft und tatsächlichem Interesse am Spielen ist eine der vielen tickenden Zeitbomben, die die Spieleindustrie bedrohen.

Ob Wirtschaft oder Kultur: Deutschland verliert den Anschluss

Dennoch bleibt Deutschland der Blinde unter den Einäugigen in der Games-Industrie. Denn während Länder aus Fernost wie Südkorea, China, aber auch europäische Hersteller aus Polen sich auf dem Markt etablieren und dabei zwar nicht das Rad neu erfinden, aber mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein ihren Platz an der Sonne einfordern, befindet sich die deutsche Gaming-Branche hauptsächlich im Clinch mit grünen Ministerien – wofür man sie wahrlich nicht beneiden kann!

„Der Games-Standort Deutschland ist international kaum noch wettbewerbsfähig“, so Felix Falk, Geschäftsführer vom Verband der Games-Branche. In anderen Ländern sei die Entwicklung von Spielen ca. 25 bis 30 Prozent günstiger, sodass es in Deutschland – immerhin der größte Markt Europas – kaum große Entwicklerstudios gibt. „Die Unternehmen machen einen großen Bogen um Deutschland.“ Auf dem größten Markt Europas entfallen nur 5 Prozent der Einnahmen auf „einheimische Produkte“.

Falk betont dabei aber nicht nur den wirtschaftlichen Faktor. Denn wie man an den vielen cineastischen Trailern der Gamescom-Eröffnung erkennen konnte, erheben Spiele den Anspruch, ein vollwertiges narratives Medium zu sein, das in gewisser Weise dem Film als Unterhaltungsmedium der Wahl schon längst den Rang abgelaufen hat. Laut Falk geht es eben auch um Kultur: „In Computerspielen werden Geschichten erzählt. Und die haben dann eben keine deutsche Perspektive, sondern spielen in den USA und in China oder handeln von polnischen Mythen.“

Aber wo andere Länder ihre Mythen in neue Formen gießen, steht in Deutschland derzeit eher das raue Erwachen aus dem Mythos des grünen Wirtschaftswunders an. Nun also auch in der Games-Branche.

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