Über die schädlichen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Draghilanischen Anleihenkaufrausches ist schon viel und ausführlich geschrieben worden. Das möchte ich heute hier nicht wiederholen, obwohl der Zeitpunkt, da es diesbezüglich zum Schwur kommen wird, täglich näher rückt und das trotz der besoffenen Siegesmeldungen, die uns im Stundentakt höheres Wachstum für 2018 (jetzt bei weltrekordverdächtigen 2.2%) versprechen. Zum Glück für Bundesregierung und EZB ist diese Wachstums-Fata Morgana eine Behauptung, die nicht vor 2020 final zu verifizieren oder falsifizieren sein wird.
Risiken? Sie wollen es nicht wissen
Nein, dieses Mal befassen wir uns mit der Frage, warum die Helden in der EZB-Chefetage sich eigentlich konstant weigern, sich eine auch nur rudimentäre Infrastruktur anzuschaffen, die sie in die Lage versetzt, die Kreditrisiken, die sie bei ihrer Shoppingtour in Billionenhöhe eingehen, halbwegs zu verstehen.
Wenn heute eine Bank einen Häuslebauerkredit oder einen kleinen Handwerker-Investitionskredit vergibt, dann ist sie durch die Bankaufsicht und Regulierung verpflichtet, das Kreditrisiko nicht nur so lala zu verstehen, sie muss es auch messen können. Sie muss in der Lage sein, eine Ausfallwahrscheinlichkeit mit Hilfe empirisch validierter Verfahren zu bewerten, zu dokumentieren und in Abhängigkeit vom Ergebnis Eigenkapital vorzuhalten, damit Risikonahme und Risikotragfähigkeit im Gleichgewicht bleiben. Man nennt das interne Ratings.
Das ist auch sinnvoll. Denn es stabilisiert das Kreditsystem durch Transparenz. Dass es nicht immer so hundertprozentig funktioniert, ist kein Argument dafür, es nicht zu tun, sondern dafür, es ordentlich zu machen.
Trotzdem verlieren Banken natürlich immer wieder durch Kreditausfälle Geld, aber wenn sie ihr Geschäft richtig gelernt haben, dann sollte das durch die Zinsmargen, die sie einnehmen, kompensiert werden. Man nennt das risikobereinigte Kreditpreisgestaltung. Das passiert zwar zurzeit ebenfalls nicht, aber dieses Versagen hat seine Ursache nicht bei den Banken, sondern in der Ertragserosion der Banken, die die EZB mit ihrer Nullzinspolitik zu verantworten hat.
Diese Anforderungen gelten auch für die Kreditvergabe durch den Ankauf von Anleihen, denn der Erwerb einer Anleihe begründet ein Kreditvertragsverhältnis zwischen dem Anleiheemittenten und dem Eigentümer des Papiers. Ein Anleiheportfolio ist nichts anderes als ein Kreditportfolio. Nun sollte man annehmen, dass eine Bank umso mehr Sorgfalt bei der Entwicklung, Pflege und statistisch-empirischen Absicherung ihrer diesbezüglichen Infrastruktur walten lässt, desto mehr Risiken sie in Form von Kreditvergabe eingeht.
Und weil das so ist, folgt daraus die nächste Frage, warum die Europäische Zentralbank, die bereits in ihrem Namen die Ansage macht, dass auch sie eine Bank ist, als größter Kreditgeber aller Zeiten über keine derartige Infrastruktur verfügt.
Sie haben richtig gelesen, geschätzter Leser: Die EZB nennt weder interne Ratingverfahren, Modelle oder andere Systeme ihr Eigen, die es ihr erlauben würden, das zu machen, was eine Bank, die Kredite vergibt, nun mal unabdingbar tun muss: ihr Risiko verstehen. Wäre die EZB eine Geschäftsbank oder eine Sparkasse, dann würde die von ihr selbst geführte europäische Bankenaufsicht Single Supervisory Mechanism, kurz SSM, sie unverzüglich schließen und dem Vorstand die Lizenz entziehen, jemals wieder eine Bank führen zu dürfen.
Schon wieder: Wie steht es um das Rating?
Die EZB kauft buchstäblich tausende Milliarden Euro Anleihen von Staaten der Eurozone. Hat sie ein Länderrating, das es ihr erlaubt, die Pleitewahrscheinlichkeit ihrer Schäfchen zu schätzen? Nein, das hat sie nicht. Sie verlässt sich dabei auf die Ratings der Ratingagenturen, über deren Trefferquote, Trennschärfe und Erfolgshistorie beim Erkennen von Staatspleiten ich mich hier jetzt nicht auslassen will. Dazu kommt, dass die Ratingagenturen bei der Bewertung der Länderratings berücksichtigen, für wie wahrscheinlich sie es halten, dass ihnen die EZB den Hals rettet. Da beißt sich dann die Katze endgültig in den Schwanz.
Und: Einer Bank würde man das seitens der Bankaufsicht nicht gestatten, sich komplett auf die Ratingagenturen zu verlassen. Das wird wohl seine Gründe haben, oder?
Nur zur Erinnerung: Bankvorstände, die vor der Krise – ebenfalls im Vertrauen auf die Ratingagenturen – große Investitionen in solche Verbriefungen getätigt haben, ohne eigentlich zu verstehen, was da genau drin ist und wie man das Risiko misst, hat man – nicht ganz zu Unrecht – wegen Veruntreuung nach dem Beginn der Finanzkrise und den folgenden Bankenpleiten vor Gericht gestellt wegen Untreue und anderer Straftatbestände.
Die EZB kauft auch für hunderte von Milliarden Euro Anleihen von Unternehmen. Hat sie ein Ratingsystem, mit dem sie die Pleitewahrscheinlichkeit dieser Firmen messen kann? Hat sie Systeme oder Daten zur Schätzung des Sicherheitenwertes solcher Anleihen, wenn sie nicht gleich ganz blanko, also ohne Sicherheiten daherkommen? Nein, auch hier Fehlanzeige.
Da ist es fast schon eine Fußnote, dass das Leerkaufen des Marktes dazu führt, dass die Zinsen, die Anleger auf diese Anleihen bekommen, ins Bodenlose fallen und sich diese Unternehmen deshalb marktwidrig günstiger finanzieren können als ihre Wettbewerber. So sabotiert und verzerrt die EZB ganz nebenbei den fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen.
Beste Qualität ohne Qualitätsprüfung
Die Hüter unserer Währung erzählen ja jedem, dass sie nur Anleihen „bester Qualität“ erwerben. Dabei sind sie jedoch summa summarum nicht mal in der Lage, die von den schlechten zu unterscheiden.
Und so kommt es, dass die EZB bei ihrem Kaufrausch unvermeidlich den Griff ins Klo – man möge mir meine Wortwahl verzeihen, aber sie passt hier einfach zu gut – tätigt. So jüngst beim Thema Anleihen der Unternehmensgruppe Steinhoff. Nimmt man die – öffentlich verfügbaren – Daten dieses Unternehmens aus dem Jahr 2015 und schickt sie durch ein bankübliches internes Ratingsystem, so sieht man sofort, dass die Kreditqualität bereits damals auf dem Niveau von Junk-Bonds war. Junk ist Englisch für Ramsch. Zumindest davon sollte man ja was verstehen in unserem Frankfurter Gesslertürmchen.
Ja, das stimmt garantiert, Herr EZB-Präsident. Aber Verluste passieren aus unterschiedlichen Gründen: Entweder weil sie nicht vorhersehbar waren und dann auch bei Sorgfalt und gründlichem Risikomanagement eintreten. Dafür gibt es das Eigenkapital der Banken, als Schutz gegen den sogenannten „Unerwarteten Verlust“. Oder sie passieren aus Blödheit, Ignoranz oder Nachlässigkeit, weil man die Regeln seines Handwerkes nicht verstanden hat, sie absichtlich ignoriert oder glaubt, dass es ohnehin egal sei, weil ein anderer dafür haftet, in diesem Fall der Steuerzahler.
Dieser Verlust, der so eben mal passierte, Herr Präsident, gehört nicht in die erste Kategorie. Die zweite Kategorie kommt dem Sachverhalt der Veruntreuung schon ziemlich nah. Aber ich vergaß: Die Europäische Zentralbank steht ja über dem Gesetz, weil hinter ihr als ganz großes CMA (Cover My Ass) der Europäische Gerichtshof steht, der jede noch so absurde Beugung des Rechts mit seinem Sinn für die immer tiefere Integration des Kontinents durchwinkt. Wir, Präsident Draghi, können also völlig ruhig sein.
Für die Banken, für die das nicht gilt, habe ich hier auch noch eine kleine Botschaft: Quod licet jovi, non licet bovi. Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen noch lange nicht erlaubt. Also bitte nicht nachmachen. Ein Frohes Neues Zentralbankjahr!