Tichys Einblick
Verteilungswirkungen der Inflation

EZB-Politik des billigen Geldes wirkt: Euro runter, Gold rauf

Nach der Ankündigung aus Frankfurt, nichts gegen die Geldentwertung zu unternehmen, verliert die Gemeinschaftswährung weiter an Wert. Damit wächst die Gefahr einer importierten Inflation. Auch die Preise von Edelmetall reagieren.

IMAGO / Science Photo Library

Isabel Schnabel, deutsches Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank (EZB), gehört zu den entschiedenen Verfechtern des Zentralbank-Kurses unter Christine Lagarde. Lange bemühte sich Schnabel ebenso wie Lagarde, die anziehende Inflation in der Eurozone herunterzureden: Die Geldentwertung sei nur ein vorübergehendes Phänomen, im kommenden Jahr werde sie weitgehend verschwinden. Das glauben weder Marktteilnehmer noch Bürger. Im Oktober lag die Inflationsrate im Euroraum bei 3,4 Prozent, in Deutschland sogar bei 4,5 Prozent.

Am 9. November hielt Schnabel einen Vortrag auf der virtuellen EZB-Konferenz über „Diversität und Inklusion in Ökonomie, Finanzen und Zentralbankpolitik (“Diversity and Inclusion in Economics, Finance, and Central Banking”), in dem sie sich einem von der EZB und der Politik gern ausgesparten Thema widmete: „Geldpolitik und Ungleichheit“. Genauer: Wie die Geldpolitik unter Lagarde die Gesellschaft in Gewinner und Verlierer teilt.

In ihrem auf der EZB-Webseite nur in Englisch veröffentlichtem Vortrag stellte Schnabel das ohnehin Offensichtliche fest: Der Frankfurter Kurs mit seiner extremen Geldmengenausweitung und Nullzinsen begünstigt alle Vermögenden, die in Aktien, Immobilien und andere Sachwerte investiert haben. In einem gewissem Maß würden auch untere Einkommensschichten profitieren, argumentierte Schnabel, weil ohne die ultralockere Geldpolitik die Arbeitslosigkeit in der Eurozone höher wäre. Eindeutiger Verlierer der Geldpolitik sei der gesellschaftliche Bereich dazwischen. Die Effekte, so Schnabel, seien “U-förmig”, wenn Kapitaleinkommen einbezogen würden: „Das heißt, sowohl die Bezieher niedriger als auch hoher Einkommen profitieren überproportional von niedrigen Zinsen – auf Kosten der Mittelklasse“.

Neue Normalität: Inflation und Schulden
Der EZB-Chefvolkswirt meint: „Die Inflation ist noch zu niedrig“
Für diese banale Erkenntnis bräuchte es eigentlich nicht die Expertise eines EZB-Direktoriumsmitglieds. Schnabel stellte nur fest, was viele Zentralbanker und Politiker gern beseiteschieben: Die EZB-Politik wirkt – indem sie die wirtschaftliche Ungleichheit vergrößert. Auf zwei Feldern zeigt sich gerade der Effekt des EZB-Kurses besonders deutlich: am Gold- und auf dem Devisenmarkt. Am Montag vergangener Woche hatte EZB-Chefvolkswirt Philip Lane in einem Interview mit „El Pais“ bekräftigt, die Euro-Hüter würden den Kauf von Anleihen weiter fortsetzen und überhaupt nicht an die Möglichkeit einer Zinserhöhung denken. Denn langfristig, so Lane, sei die Euro-Inflationsrate „immer noch zu niedrig“.

Kurz zuvor hatte Fed-Chef Jerome Powell erklärt, die US-Notenbank werde ihr Ankaufprogramm ab sofort jeden Monat um 15 Milliarden Dollar reduzieren und bis zum Sommer 2022 ganz einstellen. Für eine Zinserhöhung bat Powell zwar noch um „Geduld“, machte aber auch klar, dass sie früher oder später kommt. Die beginnende Straffung in den USA und die Betonung des ultralockeren Kurses in Europa macht sich im Euro-Dollar-Kurs mittlerweile deutlich bemerkbar. Kostete ein Euro im Mai 2021 noch 1,22 Dollar, sorgte schon die Hoffnung auf einen Zinsanstieg in den USA für einen langsamen Wertverlust der Gemeinschaftswährung. Lange bildete 1,15 Dollar eine Auffanglinie. Kurz nach der Fed-Entscheidung und Lanes Wortmeldung fiel der Euro auf 1,14, am Montag erreichte er sogar mit 1,13 Dollar den vorläufigen Jahrestiefststand.

Gegenüber dem britischen Pfund verlor der Euro im Jahresverlauf ebenfalls leicht an Wert, ziemlich deutlich ging es gegenüber der chinesischen Währung abwärts: Anfang 2021 gab es für einen Euro noch 8 Yuan, am 16. November nur noch 7,26. Auch hier beschleunigte sich der Trend ähnlich wie gegenüber dem Dollar im November deutlich.

Zinsentscheid der US-Notenbank
Die Normalisierung der US-Geldpolitik dürfte die Inflation in Europa noch antreiben
Das bedeutet für die kommenden Monate: Importe aus dem Dollarraum und China verteuern sich und heizten damit die Inflation im Euro-Raum weiter an. Die Energiepreise, die bis jetzt zu etwa 50 Prozent den Preisauftrieb in der Eurozone verursacht hatten, ermäßigen sich 2022 möglicherweise – aber an deren Stelle treten neue Treiber wie die importierte Inflation. Während Verbraucher dafür den Preis bezahlen, gibt es auch hier Profiteure: Für stark exportorientierte Großunternehmen der Eurozone wirkt sich die Euro-Abwertung förderlich aus.

Zu den Gewinnern der Politik aus Geldflut und Nullzins gehören klassischerweise Immobilienbesitzer und Aktionäre – die Indizes in der Euro- und auch der Dollarzone stiegen noch einmal deutlich an. Seit einigen Monaten hebt sich aber auch die Stimmung bei allen, die sich rechtzeitig Gold ins Depot legten. Im März 2021 kostete die Feinunze nur knapp über 1.400 Euro – am 16. November kletterte sie auf die Jahresrekordmarke von 1.645 Euro.

Normalerweise steht der Goldpreis bei einem starken Dollar tief und umgekehrt. Allerdings liegt die Inflation in den USA mittlerweile sogar über sechs Prozent, und nach der Ankündigung Powells, die Zinsen anzuheben, sich aber dabei nicht zu beeilen, wissen Anleger: Die Geldentwertung dürfte auch im Dollargebiet noch eine ganze Weile laufen, wenn höchstwahrscheinlich auch nicht so lang wie im Euro-Raum. Außerdem verspüren Investoren angesichts der in die Höhe geschossenen Aktienkurse auch ein gestiegenes Bedürfnis, sich gegen einen plötzlichen Kurseinbruch abzusichern. Die Befürchtung ist real, etwa für den Fall, dass es zu einem heißen militärischen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine kommen sollte.

Alles in allem erleben Investoren in Aktien, Immobilien und Gold gerade hervorragende Zeiten – während klassische Sparer, immer noch typisch für Deutschland, immer stärker leiden. Sie können entweder nur zusehen, wie ihr Vermögen beschleunigt schmilzt, oder zu mittlerweile hohen Einstiegspreisen wenigstens ein Teil ihres Geldes in Sachwerte stecken – und sei es nur, um es aus dem Feuer der Geldentwertung zu holen.

In ihrem Vortrag brachte Schnabel auch einen bemerkenswerten programmatischen Satz unter: „Es ist die Verantwortung der gewählten Regierungen, die strukturellen Trends der Ungleichheit zu mildern.“ („Mitigating the effects of these structural trends on inequality is the responsibility of elected governments.”) Also ihrer Ansicht nach nicht der Zentralbank, deren einziger gesetzlicher Auftrag eigentlich lautet: den Geldwert stabil halten.

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