Wenn es ein Überraschungscoup gewesen sein sollte, war der nach hinten losgegangen. Kaum im Amt, flog EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nach Montevideo in Uruguay, wo sich die Mitglieder der Mercosur-Staaten turnusmäßig wieder trafen.
Dort hat sie mit ihren Amtskollegen aus vier Mercosur-Ländern – mit dem brasilianischen Präsidenten Lula, dem argentinischen Präsidenten Milei, dem paraguayischen Präsidenten Peña und dem uruguayischen Präsidenten Lacalle Pou – die Verhandlungen über ein „bahnbrechendes“ EU-Mercosur-Partnerschaftsabkommen abgeschlossen, so die Meldung.
Seit immerhin 25 Jahren verhandeln EU und die Mercosur-Staaten um eines der größten Freihandelsabkommen der Welt. Diese Wirtschaftsgemeinschaft umfasst immerhin 270 Millionen Menschen in den wichtigsten Ländern Südamerikas, in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Heftig bekämpft von europäischen Bauernverbänden, die eine Flut preiswerter Agrarprodukte, insbesondere Rindfleisch, befürchten, die ihnen das Leben schwer macht.
Die EU ist der wichtigste Handels- und Investitionspartner des Mercosur. Die EU-Exporte in den Mercosur beliefen sich 2023 auf 56 Milliarden Euro an Waren und 2022 auf 28 Milliarden Euro an Dienstleistungen. Die EU ist auch der größte ausländische Investor im Mercosur mit einer Investitionssumme von 340 Milliarden Euro im Jahr 2021. Allerdings gab es erhebliche Hindernisse auf den Märkten des Mercosur. So mussten bisher zum Beispiel deutsche Maschinenbauer sehr hohe Zölle beim Export in südamerikanische Staaten entrichten, sodass es günstiger wurde, Fabriken gleich in São Paulo zu errichten.
Immerhin schienen in letzter Zeit auch in Südamerika die Regierungschefs dem Mercosur-Vertrag zustimmen zu wollen. Vor allem dem argentinischen Präsidenten Javier Milei ist ein solches Freihandelsinstrument gerade recht, will er doch die Barrieren beseitigen, die gute Geschäfte verhindert haben. Er übernimmt übrigens von Uruguay den Vorsitz der Mercosur-Wirtschaftsgemeinschaft für die nächsten sechs Monate.
Jetzt also haben „die Europäische Union und vier Mercosur-Länder – Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay – (…) am 6. Dezember 2024 eine politische Einigung über ein bahnbrechendes Partnerschaftsabkommen erzielt“, jubelt die EU-Pressestelle. Das Ziel des neuen Handelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur ist demnach, „den bilateralen Handel und die Investitionen zu steigern und tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse abzubauen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen stabilere und vorhersehbarere Regeln für Handel und Investitionen durch bessere und strengere Vorschriften zu schaffen, z. B. im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums (einschließlich geografischer Angaben)“.
Diese explosive Nachricht von jenseits des Atlantiks kam kurz vor den Eröffnungsfeierlichkeiten der Kathedrale Notre-Dame in Paris und muss dem französischen Präsidenten Macron in seiner Vorfreude so auf den Magen geschlagen haben, dass er von der Leyen gleich wieder auslud. Sie wiederum ließ ausrichten, aus Zeitgründen müsse sie absagen – wenn sie denn überhaupt eingeladen gewesen war. So klar ist das nicht, wer wann wen ein- oder ausgeladen oder abgesagt hat. Früher hätte der französische Präsident selbstverständlich den Kommissionspräsidenten eingeladen, und ein Juncker wäre mit Freuden empfangen worden. Viel, sehr viel hätte von der Leyen für ein Bild zwischen Macron und dem designierten amerikanischen Präsidenten Donald Trump gegeben. Sogar Elon Musk war dabei.
So muss sie sich nach ihrer Rückkehr aus Südamerika auf heftige Kritik von EU-Ländern an ihrem Alleingang einrichten. Vor allem Macron dürfte heftig gegen sie schießen. Mit Hinweis auf die Notwendigkeit verbindlicher Zusagen zur Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards versuchte er, eine Sperrminorität im EU-Rat zu organisieren, um das Abkommen zu blockieren. Dieser Verweis auf Standards ist vorgeschoben, es geht um den Schutz der französischen Landwirtschaft.
Südamerikanische Farmer können um die Hälfte billiger produzieren als europäische Landwirte. Dies liegt allerdings vor allem an hoffnungslos überdrehten Vorschriften für europäische Bauern aus Brüssel und aus den einzelnen EU-Ländern. Statt hier den Regelwust auszumisten und damit auch den europäischen Bauern „nachhaltig“ zu helfen, schiebt Macron europäische Werte und Standards vor, die es mit Zöllen zu schützen gelte.
In Frankreich steht Präsident Macron unter dem Druck der Landwirte, die massiv gegen den Mercosur-Vertrag sind. Blockierte Verkehrsachsen, umzingelte Präfekturen, überklebte Ortsschilder – in ganz Frankreich protestieren Bauern gegen staatliche Auflagen und Belastungen, vor allem aber gegen das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Bis Mitte Dezember haben die Bauernverbände Protestaktionen angekündigt, sollte der Vertrag unterschrieben werden.
Von der Leyen lobt das Abkommen als „Win-Win“-Abkommen, das Verbrauchern und Unternehmen auf beiden Seiten bedeutende Vorteile bringen werde. Sie versucht, die Bedenken auszuräumen: „Wir haben uns die Sorgen unserer Landwirte angehört und entsprechend gehandelt. Dieses Abkommen enthält solide Schutzmaßnahmen, um Ihre Lebensgrundlagen zu schützen. EU-Mercosur ist das größte Abkommen, das es je gab, wenn es um den Schutz von Lebensmitteln und Getränken aus der EU geht. Mehr als 350 EU-Produkte sind jetzt durch eine geografische Angabe geschützt. Darüber hinaus bleiben unsere europäischen Gesundheits- und Lebensmittelstandards unantastbar. Mercosur-Exporteure müssen diese Standards strikt einhalten, um Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Dies ist die Realität eines Abkommens, das EU-Unternehmen jährlich 4 Milliarden Euro an Exportzöllen einsparen wird.“
Sie hat jetzt deutsche Interessen durchgesetzt. Aber auch dem freien Handel eine Tür geöffnet. Der hat bisher immer für Wettbewerb und niedrige Preise gesorgt. Jetzt muss nur die europäische Landwirtschaft von den Brüsseler Verordnungsfesseln befreit werden. Sie braucht den Vergleich nicht zu scheuen.