Tichys Einblick
Die Ernte-Aussichten

Zum Erntedankfest etwas zur Landwirtschaft, was viele nicht wissen

Mehr als acht Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde; knapp zehn Milliarden sollen es laut UN-Prognose bis 2050 werden. Sie alle wollen essen und trinken. Das ist nur möglich, wenn die Landwirtschaft mehr produziert. Nur fachlich gute und ideologiefreie Wissenschaft und Technik helfen dabei.

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Die Zuckerrüben stehen noch auf dem Feld. Die Erträge werden gut sein, sagt Landwirt Anthony Lee im TE-Wecker, bisher jedoch weisen die Zuckerrüben noch wenig Zucker auf. Das meiste Wachstum ist in die Blattmasse übergegangen. Er hofft, dass der Oktober noch ein paar sonnige warme Tage bringt, damit die Pflanze über die Photosynthese noch mehr Zucker bilden kann. Weltweit ist in diesem Jahr der Zucker knapp, und dementsprechend sind die Preise hoch.

Seit ein paar Jahren ist auf Betreiben von Grünen und NGOs das Beizen von Saatgut verboten. Das Saatgut ist in einer Flüssigkeit mit speziellen Insektenbekämpfungsmitteln gewissermaßen gebadet worden. Wenn ein Schädling die wachsende Zuckerrübenpflanze angestochen hat, hat er das Gift aufgenommen, ist abgestorben und konnte gefährliche Pflanzenviren nicht weiter übertragen. Eine sehr wirkungsvolle Methode, die gezielt nur die junge Zuckerrübenpflanze schützte.

Folge des Verbots: Landwirt Lee muss jetzt im Frühjahr zwei bis dreimal über seinen Rübenacker fahren und die gesamte Fläche mit einem Insektizid besprühen. Denn ohne geht es nicht. Was dann passiert, zeigen jüngste massive Ernteausfälle. Denn Blattläuse und Zikaden tun sich an den Zuckerrüben gütlich und saugen an deren Blättern und Stengeln und übertragen dabei Viren; im Augenblick verursachen verschiedene Virusarten eine sogenannte »viröse Vergilbung« und führen zu Ertragsverlusten bis zu 50 Prozent. Die Blätter bleiben gelb, das grüne Chlorophyll wird behindert, die Photosynthese funktioniert nicht mehr, die Pflanze kann nicht richtig wachsen.

Diese Viren konnten sehr viele Jahre sehr gut kontrolliert werden, indem das Saatgut mit sogenannten Neonicotinoiden gebeizt wurde, einer Abwandlung des Nikotins, das bekanntlich eines der stärksten Pflanzengifte ist. Das produzieren Pflanzen zur Abwehr von Schädlingen übrigens selbst. Doch diese Neonicotinoide sind ebenfalls auf Druck von Grünen und NGOs von der EU verboten worden. Dies führt zu erheblichen Ertragsverlusten.

Bei Kartoffeln, so berichtet Anthony Lee weiter, schlug in diesem Jahr aufgrund der Nässe die Kartoffelfäule extrem stark zu. Das ist eine gefürchtete Pflanzenkrankheit, die weltweit etwa 20 Prozent der Ernte vernichtete. Sie löste Mitte des 19. Jahrhunderts auch die »Große Hungersnot« in Irland aus, als nahezu die gesamte Kartoffelernte vernichtet wurde, übrigens auch in großen Teilen Europas. Auf rund eine Million Menschen wird die Zahl geschätzt, die verhungerten.

Phytophthora infestans heißt in diesem Fall der gefährliche Pilz, der vom Boden aus die Knollen infiziert, sie ungenießbar macht und die Pflanze absterben lässt. Besonders bei Nässe breitet der Pilz sich rasch aus.

Der kam vor 150 Jahren vermutlich aus Südamerika nach Irland und löste 1845 die Kartoffelfäule aus. Zunächst glaubte man, dass es sich beim ersten Ernteausfall um ein einmaliges und übliches Ereignis handele. Doch auch in den folgenden vier Jahren zerstörte der Pilz die komplette Kartoffelernte, das Hauptnahrungsmittel der Iren. Über eine Million in Irland verhungerten, zwei Millionen wanderten nach Amerika aus.

Ein großer Erfolg war es, dass Wissenschaftler Fungizide entwickelten, mit denen der Bauer die Kartoffelfäule bekämpfen und für eine gute Ernte sorgen kann. Das geht mit einer geschickten Kombination der Auswahl von Kartoffelsorten, Fungiziden und Fruchtwechseln auf dem Acker, um diese gefährlichen Erreger in Schach zu halten.

So werden fast sämtliche Nutzpflanzen von einer regelrechten Armee von Schädlingen bedroht; nur Wissenschaft und Technik sowie fachlich guter Landwirtschaft ist es zu verdanken, dass die Regale in den Supermärkten gefüllt sind und im Augenblick keine Hungersnot in Europa herrscht. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern harter Arbeit zu verdanken.

Lee: »Wenn man uns immer mehr Pflanzenschutzmittel nimmt, um unsere Pflanzen zu schützen, dann haben wir irgendwann Verhältnisse wie vor 100 Jahren. Nicht umsonst sind ja so viele Iren aus Irland nach Amerika ausgewandert, weil Millionen Menschen gestorben sind aufgrund der Krautfäule.«

Weitgehend unbemerkt haben Anthony Lee und seine Kollegen auf den rund 250.000 landwirtschaftlichen Betrieben in den vergangenen Wochen einer der größten Produktionsprozesse in Deutschland abgewickelt und die Ernte eingebracht, ein sorgfältig geplantes und sehr flexibles Großunternehmen.

In Tag- und Nachtschichten fahren dabei Hightech-Mähdrescher über die Äcker, mähen das Getreide, dreschen im selben Arbeitsgang die Körner aus den Ähren und legen das Stroh auf dem Boden ab. Teilweise während des Fahrens über den Acker entladen die gigantischen Ungetüme die Körner aus ihren Tanks in Anhänger, Traktoren fahren sie in Getreidelager, während andere mit Ballenpressen das Stroh aufnehmen und in Ballen formen, fest verbinden und auswerfen. Schließlich müssen die Strohballen auf dem Feld eingesammelt, auf große Anhänger verladen und in die Scheunen gefahren werden.

Ein immenser Aufwand, vor allem, da die vielen Arbeiten wie Dreschen, Pressen, Schwaden nahezu gleichzeitig ablaufen. Es sind viele Lohn- und Fuhrunternehmer mit ihren teilweise sündhaft teuren Maschinen beteiligt. Es ist ein beeindruckendes Unternehmen, das zeitlich präzise abgesprochen abläuft. Ohne Flexibilität würde es scheitern, der alles bestimmende Faktor ist das Wetter. Vor dem nächsten Regen muss die Ernte eingebracht werden, das setzt hohe Schlagkraft voraus, dass viele Geräte und Maschinen gleichzeitig zur Verfügung stehen.

Bei einem geplatzten Reifen eines Mähdreschers muss sofort der Landmaschinenmechaniker mit einem Reservereifen zur Stelle sein. Die 500 kg schweren Räder sind empfindlicher, als es ihre Größe vermuten lässt.
Ohne Mobiltelefone und die schnelle Kommunikation wäre ein solcher Ernteprozess nicht möglich. Dies vermag nur ein marktwirtschaftliches System; der Sozialismus mit seinen geplanten Ernteeinsätzen, bei denen sich das Wetter dem Politkommissar unterzuordnen hatte, scheiterte regelmäßig. Es reicht nicht, dass die Plankommission neue Geräte, die benötigt werden, in den nächsten Fünfjahresplan aufnehmen. Die müssen im Winter für die Ernte des kommenden Sommers bestellt werden. Doch erst diese Arbeiten sorgen dafür, dass wir bis in den kommenden Sommer Lebensmittel in einer herausragenden Qualität und günstigen Preisen haben.

Die ersten Abschätzungen über die Ernten sind verhalten. Erträge von Getreide und Raps liegen laut Landesamt für Statistik in Niedersachsen unter dem Niveau des Vorjahres, die Kartoffelernte verspricht ähnlich auszufallen wie 2022. Zu den Gewinnern erklärt das Amt aufgrund erster Schätzungen der Landwirte den Mais. Der Raps erfreut Landwirte mit über 45 Prozent Ölgehalt, das wird auf einen schnellen Züchtungsfortschritt und die sehr intensive Sonnenstrahlung im Sommer zurückgeführt. Mitbeteiligt übrigens an einer Steigerung ist das CO2, dessen Gehalt in der Atmosphäre leicht angestiegen ist. Das sorgt für mehr Pflanzenwachstum und bessere Ernten.

Mehr als acht Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde; knapp zehn Milliarden sollen es laut UN-Prognose bis 2050 werden. Sie alle wollen essen und trinken. Das ist nur möglich, wenn die Landwirtschaft mehr produziert. Nur fachlich gute und ideologiefreie Wissenschaft und Technik helfen dabei. Sie sind auch vorhanden.

Beeindruckend ist bereits die Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft. Ernährte ein Landwirt um 1900 nur etwa vier Menschen, so werden heute 139 genannt.
Die Landwirtschaftstechnik ist deutlich leistungsfähiger als früher geworden. Es haben hier ähnliche technische Revolutionen stattgefunden wie in anderen Technik- und Wissenschaftsbereichen und für immense Fortschritte in der Produktion gesorgt. Traktoren, Sämaschinen und Mähdrescher sind zu richtigen Hightech-Monstern geworden, die mit Hunderten von PS Satelliten-gesteuert präzise über die Äcker fahren und überdies sehr effektiv mit Energie umgehen. Diese rollenden Fabriken haben die Arbeit in der Landwirtschaft geradezu revolutioniert und im Vergleich zur mühsamen körperlichen Landarbeit nur mit Muskelkraft in erheblichem Maß vereinfacht.

Mit Hilfe des Satelliten-Systems kann der Rechner die Position des Traktors auf dem Acker bis auf wenige Zentimeter genau errechnen. Bodenproben zeigen, wie hoch die Nährstoffwerte an den einzelnen Stellen im Boden sind.

Auf diese Weise entsteht ein differenziertes Abbild der Verhältnisse auf dem Acker. Diese sogenannte Ertragskarte ist Grundlage für die weitere Planung. Die Daten speichert der Rechner auf eine Chipkarte, die dann den Computer auf dem Traktor mit Informationen speist. Der steuert jetzt beispielsweise die Mengen von Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln – abhängig von den vorher errechneten Werten.
Das Prinzip: so wenig wie möglich und soviel wie nötig. Denn sowohl Dünge- als auch Pflanzenschutzmittel sind teuer und belasten sowohl die Umwelt als auch die Kassen des Landwirtes. Weitere Vorteile des Systems: Es entsteht eine lückenlose Dokumentation aller Produktionsschritte.

Die präzisen Satellitensignale aus dem All können auf dem Acker auch noch für das sogenannte Paralleltracking verwendet werden. Der Traktorfahrer muss möglichst parallel seine Spuren ziehen; andererseits dürfen aber auch keine zu großen Lücken zwischen den Spuren entstehen. Hier hilft der Satellitenempfänger, der mehrmals in der Sekunde die genaue Traktorposition berechnet und auf einem Anzeigegerät dem Fahrer sagt, ob er sich weiter rechts oder mehr links halten soll. Das System kann sich auch eine Stelle im Feld merken, an der Traktorfahrer seine Arbeit unterbrechen muss, um beispielsweise das Güllefass oder den Saattank nachzufüllen. Es führt ihn genau an die Stelle zurück, an der er aufgehört hatte. Vor allem bei großen Ackerflächen eine wertvolle Hilfe, die doppelt bearbeitete oder unbearbeitete Flächen vermeidet. Technik, die allerdings teuer ist und die sich vor allem große Betriebe leisten können.

Mit Hilfe von Satellitennavigation werden Felder kartiert und analysiert. Präzise soll so ermittelt werden, welche Nährstoffe und Pflanzenschutzmittel wo im Feld benötigt werden. Mit der Orientierungshilfe per Satellit können die Mittel punktgenau ausgebracht werden.

Früher musste der Landwirt mehr mit durchschnittlichen Werten für größere Flächen Vorlieb nehmen, heute lässt sich das wesentlich exakter steuern. Damit spart der Landwirt teure Düngemittel. In den Boden kommen keine überflüssigen Düngemittel.
Eine großartige Technik verhilft zu guten Ernten.

Die geht auch schonend mit dem Boden um. Denn das Bodengefüge besteht aus einem System von Poren und Hohlräumen, die mit Wasser und Luft gefüllt sind. Verändert sich das Gefüge aufgrund von Verdichtung, hat dies Auswirkungen: auf den Ertrag, auf Wasser- und Lufthaushalt und Lebensraum für Bodenorganismen. Beim Befahren mit schweren Maschinen werden Druck- und Schubspannungen in den Boden geleitet. Die Hohlräume können verkleinert werden und die Bodendichte größer. Die riesigen Maschinen rollen auf Reifen mit einem sehr geringen Luftdruck unter 1,5 bar – ungefähr halb so viel wie bei einem PKW, dadurch drückt ein geringerer Druck den Boden zusammen.

So werden wir erst seit wenigen Jahrzehnten satt. Dem Stadtmenschen erscheint die Ernte sicher; Kartoffeln gibt es im Laden ohne Einschränkung zu kaufen; noch sind die Brotregale gefüllt. Niemand in der Stadt ahnt etwas vom immerwährenden Kampf der Forscher gegen Erreger, die die Nutzpflanzen bedrohen und sich vor allem in ihrer Erbsubstanz wandeln können. Und hier treten ähnlich wie bei Antibiotika auch immer häufiger Resistenzen der Pilze gegen einzelne Fungizidwirkstoffe auf.
Das bedeutet: eine Ernte, die alle sattmacht, ist also keinesfalls ein Geschenk des Himmels, sondern hart erarbeitet und erkämpft. Es ist ein fortwährender Kampf gegen Pflanzenschädlinge und Krankheiten und für mehr Produktivität auf dem Acker.

Bei dem Anblick voller Supermarktregale ist es allerdings tatsächlich schwer, dies vor Augen zu haben. Das zeigt nur die enorme Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft – die allerdings von grünen Ideologen nach Kräften bekämpft wird. Aber das lassen wir an dieser Stelle besser, dies würde heute die Laune verderben. Außerdem wird die Landwirtschaft die grüne Ideologen überleben.


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