Tichys Einblick
Abpfiff

Ein führender Schlichter in Schiedsverfahren plaudert aus dem Nähkästchen

Schiedsverfahren im internationalen Recht: „Es sieht vordergründig so aus wie ein Rechtssystem, aber es sieht nur so aus. Es gibt keine harten, verlässlichen Regeln. ..", so George Kahale III, Schlichter mit sehr viel Erfahrung.

Die EU hat im üblichen Geheimverfahren ein Freihandelsabkommen mit Japan geschlossen. Das Kapitel über Schiedsgerichte für Investoren wurde weggelassen, kann aber jederzeit nachgereicht werden. Selbst ein TTIP-Abkommen mit den USA ist wieder in der Diskussion, wahrscheinlich mit einem unwesentlich verbesserten Schiedsgerichtsverfahren im Schlepp. Ein führender Schlichter in solchen Verfahren aus den USA hat nun ganz offen aufgeschrieben, wie kaputt und gefährlich dieses System ist.

George Kahale III ist Chairman der auf internationale Fälle spezialisierten Großkanzlei Curtis und ein führender Schlichter mit sehr viel Erfahrung. Sein Universitätsvortrag mit dem (übersetzten) Titel „Der wilde wilde Westen des internationalen Rechts und der Schlichtung“ erscheint im Brooklyn Journal of International Law.

Eine kleine übersetzte Leseprobe:

„Es sieht vordergründig so aus wie ein Rechtssystem, aber es sieht nur so aus. Es gibt keine harten, verlässlichen Regeln. Eingaben, Anträge, mündliche Vorträge, Beweisaufnahme und Verfahren haben kaum etwas mit dem gemein, was man in einem normalen Gerichtsverfahren sieht. Eingaben in Schlichtungsverfahren können Hunderte Seiten lang sein und gleichzeitig die ganze Bandbreite von rechtlichen, faktischen, technischen und wirtschaftlichen Problemen betreffen, sodass sie die Aufnahmekapazität auch des klügsten und kompetentesten Schlichters weit überfordern. Spekulation und schlampige Zeitungartikel gehen als Evidenz durch. Falschdarstellungen der Fakten und grobe Falschzitation von Autoritäten sind Legion. Wenn sie entdeckt werden, gibt es normalerweise keine Strafe.“

Kahale gibt eine Reihe von Beispielen. In einem Verfahren, in dem über eine Milliarde Dollar gefordert wurden, hätten sich Schlüsseldokumente des Klägers als Fälschungen herausgestellt. Trotzdem konnte der Kläger vier Jahre lang die Abweisung der Klage verhindern und problemlos seine schließliche Niederlage anfechten. In einem anderen Verfahren bekam der Kläger trotz der aufgeflogenen Fälschung von Dokumenten einen kleinen Schadensersatz zugesprochen.

Kahale nennt das System gefährlich, weil in diesen Verfahren absurd hohe Entschädigungsforderungen eher die Regel als die Ausnahme geworden seien. Das Gericht halbiert die Forderung dann vielleicht, aber oft ist sie dann immer noch weit jenseits des tatsächlichen Vermögensschadens für den Investor und hoch genug, um einem ganzen Land schwersten finanziellen Schaden zuzufügen.

Ich hatte auf diesem Blog über eine mehr als erfolgreiche Klage gegen Libyen berichtet. Ein Hotelinvestor hatte 20 Millionen Dollar investiert und bekam schließlich mit Zinsen und Entschädigung für entgangene Gewinne, Reputationsschäden und ähnlichen Unsinn, knapp eine Milliarde zugesprochen. Russland soll aufgrund eines Schiedsgerichtsbeschlusses 50 Mrd. Dollar bezahlen. Dagegen klagt das Land derzeit noch in den Niederlanden, weil es das Schiedsgericht für unzuständig hält, mit offenem Ausgang.

Es gebe keine sinnvollen Regeln für die Qualifikation der Schlichter und auch nicht für ihre Disqualifikation bei Interessenkonflikten oder groben Verstößen gegen Rechtsgrundsätze, so Kahale. Interpretationen von Grundsätzen des internationalen Rechts durch Schiedsgerichte seien oft absurd. All das werde dadurch erheblich verschlimmert, dass Berufungen wie in normalen Gerichtsverfahren nicht vorgesehen sind. Es gibt nur Annullierung in Fällen rechtsmissbräuchlicher Urteile.

Die oft extrem hohen und willkürlich begründeten Multi-Milliarden-Schadenersatzurteile seien nicht nur skandalös und schockierend, schreibt Kahale, er nennt sie eine „reale Bedrohung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit“. Zu Recht. Stellen sie sich vor, was es bedeutet, wenn Russland schließlich tatsächlich zu der abseitigen 50-Milliarden-Strafe verdonnert wird und Washington versucht, das Eintreiben dieses Geldes durch Einfrieren von internationalen russischen Vermögenswerten durchzusetzen. Das tut der internationalen Verständigung nicht gut. Oder stellen sie sich vor, ein Schiedsgericht verurteilt die US-Regierung mit zweifelhafter Begründung aber unanfechtbar zu einer zweistelligen Milliardenstrafe. Zugegeben, das ist eher unwahrscheinlich, denn die Schlichter aus den internationalen Anwaltskanzleien zeigen verständlicherweise wenig Neigung, die Hand zu beißen, die sie füttert.

Auf einige weitere Probleme, die Kahale gut analysiert, will ich hier nicht eingehen. Dazu gehört die Rolle von Prozessfinanzierern.

Die United Nations Commission on International Trade Law, UNCITRAL, die maßgeblich für das derzeitige dysfunktionale System verantwortlich ist, hat den Auftrag, über eine Reform zu beraten. Kahale hat geringe Hoffnung, dass das Ergebnis etwas verbessern wird. Seine Schlussworte:

„Ich frage mich, ob die Therapie nicht schlimmer werden könnte als die Krankheit, insbesondere, wenn, wie es den Anschein hat, die Reformanstrengungen sich nicht auf Sachfragen richten, sondern vor allem auf die Schaffung von Institutionen, wie ständige Investitionsgerichte und Berufungstribunale, von denen man erwarten muss, dass sie auf den schweren Mängeln des existierenden Systems aufbauen und diese institutionalisieren werden.“

Dossier mit Beiträgen zum Investorenschutz,TTIP und Ceta


Der Beitrag von Norbert Häring ist zuerst hier erschienen

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