Aus dem kurzfristigen ökonomischen Schock durch den russischen Angriff auf die Ukraine droht eine lange anhaltende, strukturelle Wirtschaftskrise in Deutschland zu werden. Die Geschäftserwartungen verschlechtern sich jedenfalls massiv, wie eine Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unter 25.000 Unternehmen zeigt, die dem Handelsblatt vorliegt. Ein Drittel der Betriebe rechnet demnach in den nächsten zwölf Monaten mit schlechteren Geschäften als ohnehin schon. Nur noch 19 Prozent erwarten eine Besserung.
„Einen solchen Stimmungseinbruch haben wir in der Industrie bislang nur während der Finanzkrise und beim ersten Lockdown 2020 erlebt“, zitiert das Handelsblatt den Hauptgeschäftsführer des DIHK Martin Wansleben. Der Verband erwartet daher nur noch ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von einem bis 1,5 Prozent im laufenden Jahr. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung prognostizierte am 30. März noch 1,8 Prozent.
Es geht dabei um die Industrie am Beginn der Wertschöpfungskette, die Agrarprodukte, Erdgas, Öl, Erze und Metalle, Kohle und Holz unmittelbar verarbeitet. 93 Prozent dieser Betriebe sehen laut DIHK-Umfrage in den gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen das größte Risiko für ihr Geschäft. Durchschlagen werden die Preise erst in den kommenden Monaten, weil die meisten mit langfristigen Kontrakten operieren.
Der Krieg in der Ukraine ist dabei nur ein Verstärker der hohen Energiepreise. Die Klimaschutzpolitik. Der Energie-Ökonom Andreas Löschel von der Ruhr-Universität Bochum sagt gegenüber dem Handelsblatt: „Bis es genügend Erneuerbare gibt, könnte es noch dauern. Das könnte Teile der Grundstoffindustrie aus Deutschland herausdrängen.“ Wie real solche Befürchtungen sind, zeigte erst am Mittwoch die Ankündigung des französischen Stahlrohrkonzerns Vallourec, seine beiden Werke in Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr zu schließen.
Der mögliche Ausfall von Gaslieferungen spielt laut der Ifo-Analyse offenbar keine Rolle bei der Beurteilung der Umsatzsituation: Würden die Gaslieferungen an die Unternehmen durch ein Embargo der EU oder durch einen Lieferstopp Russlands um 10 Prozent verringert, schätzen die Befragten den Produktionsausfall im Schnitt auf 7 Prozent. „Möglicherweise schauen die Unternehmen derzeit eher auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und halten einen Ausfall der Gaslieferungen derzeit für unwahrscheinlich“, sagt Rüdiger Bachmann von der University of Notre Dame, USA, ebenfalls Mitautor des Beitrags.
Die Ergebnisse beruhen auf Angaben der Unternehmen zu einer mittleren Umsatzprognose und zu Umsatzerwartungen für das zweite Quartal 2022 im besten und schlechtesten Fall. Darüber hinaus wurden Unternehmen im April 2022 gefragt, welche Produktionsminderungen sie bei einem Gasausfall von 10 Prozent bzw. 50 Prozent erwarten, sowie welchen Anteil Gas an ihren Energiekosten hat.