Tichys Einblick
„Hysterisierung der Politik“

Dieter Hundt: Energiewende gescheitert – zurück zur Kernenergie?

Dieter Hundt ist erfolgreicher Chef eines wichtigen Zulieferers für die Automobilindustrie und war von 1996 bis 2013 Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Er warnt vor einer einseitigen Ausrichtung seiner Branche auf E-Autos und fordert eine bessere Energiepolitik.

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Wir sprechen mit Dieter Hundt, einem Urgestein der sozialen Marktwirtschaft, lange Jahre Arbeitgeberpräsident, heute immer noch aktiv als Unternehmer für die Allgaier Werke. 2000 Mitarbeiter, weltweit tätig in der Automobilindustrie und für die Südwest-Metallarbeitgeber auch für die aktuelle Tarifrunde zuständig.

Roland Tichy: Herr Hundt, die Zukunft der Automobilindustrie – wie lautet Ihre Prognose?

Dieter Hundt: Die Automobilindustrie in Deutschland hat einen überragenden Stellenwert für die gesamte Deutsche Wirtschaft und unsere Gesellschaft. Jeder siebte Arbeitsplatz hat direkt oder indirekt mit ihr zu tun. Ich bin überzeugt, dass das auch in Zukunft ein ganz wesentlicher Zweig der deutschen Industrie sein wird. Die Automobilindustrie steckt derzeit in einer Umstrukturierung, die geradezu disruptiv ist, ausgelöst durch mehrere Faktoren. Dies ist zunächst einmal die Beendigung eines zehnjährigen ununterbrochenen Konjunkturaufschwungs.

Das wäre ja nicht so schlimm, was auf­wärts geht, geht auch wieder runter.

Es ist eine Entwicklung, die ganz normal ist und zu erwarten war. Bedauerlicherweise hat die Politik während dieser zehn Jahre wenig dazu beigetragen, sich auf den kommenden Konjunkturabschwung vorzubereiten. Da sind einige Dinge nachzuholen. Darüber hinaus ist insbesondere die Einführung der Elektromobilität ein ganz wesentlicher Faktor. Und störend beziehungsweise die Konjunktur belastend sind natürlich auch die Handelsstreitigkeiten zwischen China und den USA. Das war auch der Grund dafür, dass in Deutschland im letzten Jahr die Pkw-Produktion um über zehn Prozent zurückgegangen ist – wobei heute von drei deutschen Autos zwei im Ausland produziert werden.

Der Rückgang der Produktion um zehn Prozent, schlägt sich das auch bei den Arbeitsplätzen nieder?

Coronavirus
Auto-Verkauf in China bricht ein
Natürlich, insbesondere in der Zuliefer- industrie. Wir mussten in den letzten Wochen und Monaten zur Kenntnis nehmen, dass in beträchtlichem Umfang abgebaut wird, das wird sich fortsetzen. Wir werden in der Zukunft auch eine Veränderung der Anforderungen an die Arbeitskräfte haben. Einfache Tätigkeiten werden abnehmen, wir brauchen dann höher und hoch qualifizierte Mitarbeiter in großem Umfang.

Nun gibt es ja Prognosen bezüglich der Arbeitsplatzverluste wegen der Elektromobilität. Die gehen bei 100.000 los, andere Zahlen liegen wesentlich höher. Wo liegt Ihre Prognose?

Die Umstellung auf die Elektromobilität wird mit einem geringeren Bedarf an Arbeitsplätzen verbunden sein. Ich bin aber überzeugt, dass die klassischen Motoren auch in der Zukunft noch in großem Umfang gebaut werden und den Markt beherrschen. Ich glaube nicht, dass wir im Jahr 2030 mehr als 25 bis 30 Prozent unserer Fahrzeuge mit Elektromotoren ausstatten.

Aber 20 bis 25 Prozent wären auch eine ganze Menge – dank Subventionen?

Es wäre eine außerordentlich hohe Zahl. Die Politik und die deutschen Automobilfirmen haben vor wenigen Wochen auch beschlossen, dass Subventionen die Einführung der Elektromobilität beschleunigen sollen. Das ist unter Berücksichtigung der Prinzipien der freien Marktwirtschaft fragwürdig, aber vielleicht mit Blick auf die Gesamtsituation eine lässliche Sünde.

Die Autoindustrie war immer der Mo­tor der Wirtschaft: hohe Löhne, hohe Steuern – und jetzt wird sie zur Subven­tionswirtschaft. Kann das gut gehen?

Das ist eine Sünde.

Sünde ja, aber was kostet die Sünde?

Wie haben einen Rückstand aufzuholen, und dazu sind derartige Maßnahmen vielleicht unumgänglich.

Gibt es Zahlen? Wie viele Arbeitsplätze fallen weg?

Ich traue mich nicht, eine Zahl zu sagen.

Sechsstellig?

Nein, das glaube ich nicht.

Es sind aber sehr gut bezahlte Arbeitsplätze. Die Autoindustrie war immer diejenige, die am höchsten bezahlt hat.

Die Metall- und Elektroindustrie hat mit die höchsten Entgelte in der gesamten deutschen Wirtschaft.

Das ist ein bedenklicher Trend.

Es ist vor allem eine Belastung, auch im internationalen Wettbewerb und unter anderem auch ein Grund dafür, dass eben die Mehrzahl der deutschen Pkw bereits im Ausland gebaut wird. Es ist natürlich auch eine Frage des Marktes. Die Lieferanten müssen eben auch immer zu den Märkten gehen.

Das heißt, Sie rechnen mit weiteren Verlagerungen ins Ausland?

Ich rechne weiterhin mit starker Produktionsausweitung deutscher Fahrzeuge in anderen Ländern. Nicht zuletzt aufgrund der Kostensituation. Wir haben vor allen Dingen enorm hohe Energiekosten.

Wegen der Energiewende?

Die Energiewende war aus Sicht der Entwicklung der deutschen Industrie mit Sicherheit falsch. Ein praktisches Beispiel: Wir haben ein Werk in Uhingen bei Stuttgart und eine identische Fertigung 200 Kilometer von hier in Lothringen. Wir sind ein sehr energieintensiver Produzent. In Frankreich zahlen wir exakt 50 Prozent weniger für die Kilowattstunde Strom im Vergleich zum Preis in Baden-Württemberg.

Ist das für Sie standortentscheidend?

Natürlich. Wir fragen bei jeder neuen Investition in unsere Presswerke, ob die wirklich in Deutschland erfolgen muss, wenn ganz in der Nähe die Produktionskosten nur die Hälfte betragen.

Nun wissen wir seit Neuestem aus Untersuchungen der Bundesregierung, dass die Stromkosten gerade in diesem Jahr sehr schnell steigen werden.

Das ist eine bedrohliche und sehr besorgniserregende Entwicklung.

Ist die Energiewende gescheitert?

Die Energiewende war nicht zu Ende gedacht. Sie ist zu abrupt erfolgt, ohne dass die Konsequenzen berücksichtigt wurden. Das zeichnet bedauerlicherweise die deutsche Wirtschaftspolitik ein Stück weit aus. Wir sind zwar dabei, Kern- und Kohlekraftwerke abzuschalten, wir wissen aber nicht, wie eine entsprechende Kompensation des Energiebedarfs möglich ist, und auch nicht, wie sich die gesamte Entwicklung E-Mobilität, Energiewende und so weiter auf die Arbeitsplatzsituation auswirkt. Das sollte in einem ausgewogenen Verhältnis berücksichtigt werden.

Lassen Sie uns noch einmal auf die Elektromobilität zurückkommen. Sie sagten vorhin sinngemäß, die deutsche Industrie habe die Elektromobilität verschlafen. Hat sie verschlafen, oder ist es so, dass die Konsumenten noch die Entscheidung treffen?

Wir haben Rückstand in der technologischen Entwicklung der E-Mobilität gegenüber anderen Ländern. Die Chinesen waren sehr viel früher dran und sind jetzt auch weiter in der Entwicklung. In Japan haben sie bereits die nächsten Schritte in Richtung der Brennstoffzelle praktisch umgesetzt.

Aber ich höre immer, dass Daimler und BMW seit 20 Jahren unglaubliche Summen in die Brennstoffzelle investiert haben. War das nicht entschieden oder nicht schnell genug?

Wir haben die Entwicklung sicherlich nicht nachdrücklich vorangetrieben.

Es heißt oft, die Brennstoffzelle sei dem Batterieantrieb in jeder Hinsicht überlegen. Und trotzdem muss man jetzt viel in Batterien investieren?

Wir müssen viel in Elektrofahrzeuge investieren. Die Brennstoffzelle setzt eine andere Energiepolitik voraus, denn Wasserstoffproduktion ist sehr energieintensiv. Da müssen wir uns vom derzeitigen Energiemix weiterentwickeln.

Was heißt entwickeln? Wo soll der Energiemix hingehen?

Wenn wir die Klimapolitik tatsächlich erfolgreich umsetzen wollen, sollten wir erstens den Diesel als Pkw-Antrieb nicht länger verdammen. Und zum Zweiten sollten wir unsere ideologische Einstellung hinsichtlich der Kernenergie überdenken.

Sie glauben nicht, dass wir mit mehr Windrädern das Problem lösen?

Wir werden unsere Energiesituation in Deutschland allein mit Wind- und Solarenergie nicht ausreichend erfolgreich bewerkstelligen können.

Mir fällt auf, dass ich über das Auto rede und Sie mit der Energie antworten. Ist die Energieversorgung so entscheidend?

Ja, ist sie. Wir haben beispielsweise das Problem, dass Energie von Windkraftanlagen aus dem windigen Norden in den industrialisierten Süden transportiert werden muss. Das ist auch mit zusätzlich Problemen, Schwierigkeiten und Kosten verbunden.

Oder Sie bauen Ihre Werke zukünftig in Niedersachsen an der Küste.

Das wäre eine Möglichkeit, die andere wäre, dass man das Meer in den Süden verlagert.

Passt, wir fluten Baden-Würtemberg. Sie sprachen von einer Verdammung des Diesels. Nun gibt es gerade hier in der Autometropole Stuttgart Dieselfahrverbote. Wie passt das zusammen?

Das sind rein ideologisch begründete Vorgehens- und Verhaltensweisen. Es ist nicht gutzuheißen, was die Automobilindustrie mit dem Diesel angestellt hat. In der Zwischenzeit gibt es aber Möglichkeiten, Dieselfahrzeuge mit extrem niedrigen Feinstaubabgaben herzustellen. Bosch etwa hat Aggregate, die nahezu am Nullwert liegen.

In Baden-Württemberg gibt es den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Was halten Sie von ihm?

Strassenverkehrsordnung
Verkehrsminister Scheuer für Fahrrad als Verkehrsmittel Nummer eins
Ministerpräsident Kretschmann hat höchste Sympathie- und Umfragewerte und ist auch wirklich Landesvater. Was ich bemängle, ist, dass unter ihm jeder Minister relativ selbstständig seine Politik festlegen darf. Die ist dann eben nicht immer ausgewogen und teilweise zu stark in Richtung Umwelt orientiert. Das geschieht auch auf Bundesebene. Auch da bemängle ich, dass die Belange der Wirtschaft deutlich zu wenig berücksichtigt worden sind und die Politik sehr stark durch Vergabe von Sozialleistungen geprägt war, wobei Deutschland da ohnehin schon weltweit führend ist.

Wir haben Rekordsteuereinnahmen, wir haben Rekordbeschäftigung. Wo ist das Problem?

Wir haben im Moment eine sehr gespaltene konjunkturelle Situation. Wir hatten im letzten Jahr mit 0,6 Prozent voraussichtlich das geringste Wirtschaftswachstum seit vielen Jahren. Das stellt aber die Situation etwas verzerrt dar, weil der Einbruch in der Metall- und Elektroindustrie, teilweise auch der Chemie, gewaltig ist. Auf der anderen Seite läuft der Bausektor unverändert gut, ebenso der Dienstleistungssektor und vor allem auch der private Konsum aufgrund der gemessen an der wirtschaftlichen Entwicklung zu hohen Lohnabschlüsse.

Also erleben wir ein Stück weit eine Deindustrialisierung?

Das sollten wir dringend verhindern, denn gerade die Situation 2008 bis 2010 hat gezeigt, dass wir aufgrund unseres hohen Industrieanteils relativ schnell und gut aus der Weltwirtschaftskrise herausgekommen sind.

Wird der Umbau eigentlich von den Konsumenten betrieben, die E-Autos wollen, oder vom Staat, der Prämien für deren Anschaffung bezahlt?

Die Umstellung wird relativ stark wegen der öffentlichen Meinung betrieben. Es ist sicher richtig und notwendig, dass die Bedeutung einer sauberen Umwelt zunimmt, mehr im Fokus steht, nur warne ich vor einer Hysterisierung dieser Politik. Wir sollten ausgewogen das eine wollen und die Auswirkungen auf andere Sektoren berücksichtigen.

Aber wenn man die Debatte verfolgt, bekommt man das Gefühl, dass es Wachstum nicht mehr braucht.

Ich bin ein Verfechter, dass wir weiterhin Wachstum benötigen. Dazu gibt es ausreichend Möglichkeiten. Gerade für uns als exportorientierte Deutsche ohne eigene Rohstoffe sind dies gewaltige Chancen für die Zukunft hinsichtlich Beschäftigung und erfolgreichem Wirtschaften.

Nun sagt man heute bei Fridays For Future: Alles Käse, Klima ist jetzt alles, unbedingt emissionsfrei werden. Glauben Sie daran?

So geht es mit Sicherheit nicht. Wenn wir in einigen Jahren in der Tat emissionsfrei sind und wieder eine Arbeitslosigkeit wie vor 15 Jahren haben, gibt das einem schon zu denken.

Aber der Trend geht in die Richtung. So deutlich wie Sie spricht kaum jemand. Haben Manager und Unternehmer heute Angst vor der Öffentlichkeit?

Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin kein Politiker und kein Diplomat. Deswegen rede ich so, wie ich es meine, wie die Situation tatsächlich ist.

Vor zwei Jahren gab es einen Tarifabschluss für die Metallindustrie von 4,3 Prozent. Wiederholt sich das jetzt im März, wenn der Vertrag ausläuft?

Der Abschluss vor zwei Jahren war überhöht und der Situation nicht angemessen. Das hat auch innerhalb der Verbände zu hoher Frustration, zu Kritik und Austritten geführt.

Bedeutet das zukünftig, dass die Tarifzuwächse wieder abflachen?

Wir sollten eine Umstellung in der Grundkonzeption erreichen. Da ist in der Vergangenheit schon einiges getan worden, beispielsweise der Pforzheimer Abschluss. Dass wir innerhalb von Rahmenregelungen, die die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften vereinbaren, mehr Entscheidungskompetenz auf die betriebliche Ebene heben. Unsere Form der Mitbestimmung ist ja auch eine zweistufige: zum einen auf der betrieblichen Ebene, zum andern auf der Verbandsebene. Das muss in Zukunft besser und nicht verändert werden.

Wird Ihr Blick auf die Wirtschaft hinsichtlich der bestimmenden Themen wie Elektromobilität oder Klimaschutz von den Gewerkschaften geteilt, oder sind diese grün geworden?

Ich meine ja, ich erkenne aus Ausführungen der führenden Gewerkschafter, dass erkannt wird, dass sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert und günstigstenfalls stagniert und dass daraus auch die entsprechende Konsequenz gezogen werden muss.

Und die Bundespolitik, insbesondere die Bundeskanzlerin?

Da würde ich mir ein bisschen mehr Blick auf die Situation der deutschen Wirtschaft dringend wünschen.

Die Beschäftigung sehen Sie in der Klimadebatte vernachlässigt?

Die Beschäftigung sehe ich im Moment eindeutig vernachlässigt.

Herr Hundt, vielen Dank für das gute Gespräch.

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