Die öffentliche Debatte wird demnächst um ein Wort reicher: die Billion. Über Steuerverschwendungen im Millionenbereich regt sich schon längst keiner mehr auf – ein Effekt der Gewöhnung. Die Milliarde ist längst die gängige Einheit, wenn es darum geht, mit der Ausgabewut des Staates sprachlich mithalten zu wollen. Doch allmählich meldet sich die Billion auf diesem Sportplatz an: 2,32 Billionen Euro betrug im ersten Vierteljahr die Verschuldung der öffentlichen Hand in Deutschland gegenüber privaten Banken und Unternehmen. Das hat das Statistische Bundesamt mitgeteilt.
Wobei das Amt in jüngster Zeit versucht, seine Zahlen positiv zu verkaufen. Soweit das möglich ist: „Öffentliche Schulden im 1. Quartal 2022 um 992 Millionen gesunken“, heißt die Überschrift der Mitteilung zu dem Thema. Damit betont das Amt den Unterschied vom Jahresende zum Jahresanfang – also von dem Quartal, nach dem die Firmen Weihnachtsgeld ausgezahlt haben, zu dem Quartal, bevor die Firmen Weihnachtsgeld ausgezahlt haben. Der Jahresvergleich fällt deutlich schlechter aus: Im Vergleich zu Anfang 2021 sind die öffentlichen Schulden um 113,4 Milliarden Euro gestiegen – ein Zuwachs von 5,1 Prozent. Zur Einordnung: Gesamtverschuldung wird in Billionen erfasst. Jährliche Neuverschuldung in Milliarden. Und der positiver Effekt, den das Amt nach vorne stellt, in Millionen.
Die Wertigkeit ist abnehmend.
So haben die Städte und Kreise längst viele ihrer Aufgaben an stadtnahe Gesellschaften ausgelagert. Formal sind das private Unternehmen, faktisch sind sie aber komplett in öffentlicher Hand. Das bringt der Politik mehrere Vorteile. So werden Entscheidungen, die für böses Blut sorgen, entpolitisiert: Nicht die Stadt erhöht jedes Jahr den Fahrpreis für den Bus, sondern die Verkehrsgesellschaft tut das. Außerdem können verschuldete Kommunen an ihren offiziellen Haushalten vorbei investieren. Kauft die Verkehrsgesellschaft einen neuen Bus, wird der Verkehrsdezernent zwar auf dem Bild in der Lokalzeitung vorne stehen. Mit der dafür notwendigen Neuverschuldung hat er aber nichts zu tun. Sie taucht halt auch nicht in der Statistik der Kommune auf.
Oder Krankenkassen. Nehmen sie einen Kredit auf, geht die Summe in die Statistik des Bundesamtes ein. Doch Kassen können sich Kredite nehmen, die nicht als solche auftauchen. Durch Rechnungen. Kassen haben durchlaufende Posten an immer wieder kehrenden Rechnungen: für die Betreuung der Versicherten in Krankenhäusern, für Notfalleinsätze, für Taxifahrten zur Dialyse, für medizinische Produkte und so weiter. Selbst bei kleinen Kassen geht das schnell in den Millionenbereich – bei größeren in den Milliardenbereich. Besetzt die Kasse etwa ihre „Rechnungsprüfung“ personell zu knapp, sorgt sie dafür, dass diese Abteilung einen Arbeitsrückstand entwickelt – und verschafft sich durch dieses Defizit einen Kredit. Zinslos. Und in der Statistik taucht er auch nicht auf.
Doch auch so sind die offiziellen Zahlen schon eindrucksvoll: So hatte der Bund allein im ersten Quartal 1,5 Billionen Euro Schulden. Bye bye Milliarden. Wir können anfangen, uns an die Billion zu gewöhnen. Die Länder zusammen waren im ersten Quartal mit 637 Milliarden Euro verschuldet. Wobei die Unterschiede groß sind: So ist Bayern mit 19,7 Milliarden Euro verschuldet – Nordrhein-Westfalen mit 188,2 Milliarden Euro. Auf Platz zwei und drei der Schuldentabelle folgen Niedersachsen und Berlin mit 65,7 Milliarden beziehungsweise 62,8 Milliarden Euro Schulden. Während Bayern also auf rund 1500 Euro Schulden pro Kopf kommt, sind es in der Bundeshauptstadt 16 500 Euro und in Nordrhein-Westfalen 10 500 Euro.
Wohlgemerkt. Das sind nur die Landesschulden, die ein Bürger pro Kopf hat. Die des Bundes, der jeweiligen Kommunen und Sozialkassen kommen noch oben drauf.
Die Kommunen konnten dem Bundesamt noch nicht mal den Gefallen tun, einen Anlass zum Hochjubeln zu geben: Bei ihnen steigen die Schulden auch vom Jahresende zum Jahresanfang – und zwar um 2,2 Milliarden Euro auf mittlerweile 135,3 Milliarden Euro. Dieser Teil-Anstieg lässt sich auf einen internen Effekt zurückführen: Zu Beginn der Pandemie betrieb der Bund eine „Corona kostet nichts“-Politik und übernahm Ausgaben der Städte und Gemeinden. Diese weicht nun immer mehr zugunsten einer „Wir müssen unseren eigenen Haushalt schön rechnen“-Politik. Doch das sind interne Gefechte. In letzter Konsequenz ist es für den Steuerzahler gleich, wer in seinem Namen Schulden macht. Angesichts der aktuellen Politik, Staatsausgaben zu erhöhen und Unternehmen finanziell, durch Auflagen und durch Dokumentationspflichten zu belasten, dürfte sich die Billion als Begriff allmählich in der Debatte etablieren.