Herr Mayer, Sie sind einer der Initiatoren des aktuellen Aufrufs von 154 Wirtschaftsprofessoren mit dem Titel „Der Euro darf nicht in die Haftungsunion führen!“. Was bezwecken die Unterzeichner mit dieser Philippika?
Thomas Mayer: Der Aufruf ist eine Reaktion auf die Entwicklung, die Frankreichs Präsident Macron im letzten Jahr angestoßen hat. Er plädierte dafür, die Währungsunion (EWU) zu vertiefen, weil sie – womit er recht hat – nicht ordentlich funktioniert. Zur Vertiefung hat er aber Vorschläge gemacht, die direkt und indirekt zu einer weiteren Vergemeinschaftung der Risiken und auch der Schulden führen. Daraufhin hat die EU-Kommission in einer „Roadmap“ Anfang dieses Jahres konkrete Vorschläge gemacht, wie man die Ideen von Macron umsetzen kann. Die Vorschläge von Macron und der Kommission haben dann über den gescheiterten Spitzenkandidaten der SPD, Martin Schulz, Eingang in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung gefunden. Diese Vertiefungskonzepte sollen Ende Juni bei einem Gipfel der EU-Regierungschefs in Sofia diskutiert werden. Vor diesem Hintergrund haben wir einen Kreis von Wirtschaftsprofessoren angesprochen und gewinnen können, diesen Appell gegen die Übernahme weiterer Haftungsrisiken zu unterzeichnen. Und das hat ein überraschend großes Echo gefunden.
Das Timing für diesen Appell war natürlich auch geradezu ideal, weil die Wahlsieger in Italien genau zu diesem Zeitpunkt mit abenteuerlichen Vorschlägen in einem Koalitionspapier an die Öffentlichkeit gingen: Neuverhandlung der europäischen Verträge, Schluss mit der im Fiskalpakt vereinbarten Konsolidierung der Staatsfinanzen, sündhaft teure Wohlfahrtsversprechen – von der Senkung des Renteneintrittsalters bis zu einem Grundeinkommen von knapp 800 Euro und gleichzeitig einer massiven Steuersenkung!
Das hat mit Sicherheit die Aufmerksamkeit in Deutschland, aber auch im Ausland massiv befördert. Denn die Risiken einer weiteren Vergemeinschaftung von Haftung für nationale Maßnahmen werden ja ganz aktuell und sehr anschaulich durch diese Absichten illustriert. Vor allem im Eurowährungsraum schrillen in manchen Hauptstädten die Alarmglocken. Denn die Vorhaben einer solchen italienischen Regierung würden, sollten sie tatsächlich umgesetzt werden, zu einer gigantischen weiteren Erhöhung der Staatsschuld führen. Dabei ist Italien in absoluten Zahlen bereits das höchstverschuldete Land in Europa. In Relation zu seiner volkswirtschaftlichen Leistung belegt es mit einer Verschuldungsquote von 132 Prozent nach Griechenland den vorletzten Platz. Diese riesige italienische Staatsschuld lastet natürlich auch auf dem Euro. Italien ist darauf angewiesen, dass seine Schuldentragfähigkeit von der Europäischen Zentralbank (EZB) gestützt wird. Die Intention der EU-Kommission in ihrer erwähnten Roadmap besteht darin, die EZB in dieser Stützfunktion dadurch zu entlasten, dass die Haftung für diese Schulden hin zu den Staaten verschoben wird. Das macht es aber nicht besser, sondern schlechter, weil dann die Vergemeinschaftung der Haftung, die bisher in der EZB-Bilanz stattgefunden hat, irreversibel wird.
Die politischen Reaktionen in Deutschland auf Ihren Vernunftappell waren ebenso wie in der Wissenschaft gespalten. Die Union reagierte überwiegend positiv, ebenso die FDP. Die AfD frohlockte, was so manche Kritiker aus SPD, Grünen und Linken als Beleg dafür nahmen, dass hier eine fünfte Professoren-Kolonne der Rechtspopulisten am Werk sei. Ich hoffe allerdings, dass Ihr Appell zumindest die Kräfte in der Unionsfraktion stärkt, die sich angesichts der Erfahrungen mit der Kanzlerin bei der Griechenland-Rettung vor deren Beweglichkeit fürchten.
Aus den Reaktionen auf unseren Aufruf schließe ich, parteienübergreifend übrigens, dass sich diejenigen argumentativ unterstützt fühlen, die schon immer im Sinn der ursprünglichen Verträge über die Währungsunion darauf hingewiesen haben, dass deren Gründung keine Haftungsgemeinschaft zum Ziel hatte. Dass wir auch keine Fiskalunion gründen konnten, weil auch – ganz wesentlich – unsere Partner keine politische Union wollten. Deshalb wurde die Währungsunion auf der Grundlage nationaler Souveränität und Haftung gegründet. Deshalb haben wir versucht, mit dem Euro ein unpolitisches Geld einzuführen, das die EZB ohne Berücksichtigung fiskalischer oder finanzieller Notwendigkeiten allein als Mittel für den Tausch und die Wertaufbewahrung der Bürger emittieren sollte. Alle diese ursprünglichen Überlegungen, die noch immer in den Verträgen stehen, über die in Deutschland ein weitreichender sozialer Konsens bestand, wurden in der Eurokrise stillschweigend geschleift.
Ja, die Stützpfeiler der EWU wurden stillschweigend abgebaut. Wenn ich stillschweigend sage, dann meine ich, dass die verantwortlichen Politiker sie auf intransparente Weise in eine Haftungsgemeinschaft umgewandelt haben, die in krassem Gegensatz zur ursprünglichen Intention und den heiligen Anfangsschwüren steht. In unserem Aufruf sehe ich eine Trennlinie. Da gibt es die einen, auch aus der Zunft der Ökonomen, die unseren Appell für destruktiv halten. Er enthalte keine konstruktiven Elemente, weshalb er abzulehnen sei. Wer so argumentiert, spricht sich dagegen aus, dass ein Land, das in der EWU nicht funktionsfähig ist, jemals wieder rausgeht.
Der Versuch einer Fehlerkorrektur mit Hilfestellung wurde in Griechenland durch die Staats- und Regierungschefs vereitelt
Die Kritiker monieren, dass man nicht permanent an die anfängliche „No bail-out“-Klausel erinnern sollte, mit der die Haftung für die jeweils eigenen fiskalpolitischen Entscheidungen festgeschrieben wurde. Nein, man habe im Gegenteil eine Bringschuld, um die jetzige Währungsunion zu stabilisieren. Diese Leute akzeptieren, was in der Politik entschieden wurde, dass die EWU eine Einbahnstraße ist. Sie müssen sich zwangsläufig dagegen wehren, dass jemand die Vergemeinschaftung der Haftung kritisiert. Denn sie müssen auf der Vergemeinschaftung der Haftung insistieren, weil bei einer Rückkehr zu den noch immer gültigen Verträgen nicht jedes Land in der Währungsunion bleiben kann. Deshalb gibt es da auch diese Bruchlinie zu den Aufrufunterzeichnern. Denn wir wollen ja zulassen, dass ein Land, das fehlerhaft in die EWU eintrat, diesen Fehler korrigieren kann. Wenn man aber sagt, die EWU ist eine Einbahnstraße, wer drin ist, ist drin und kommt nie wieder raus, dann unterdrückt man die Fehlerkorrektur. Dann müssen Länder, die fehlerhaft in der Währungsunion sind, von der Gemeinschaft mitgeschleppt werden. Dann muss es zwangsläufig zur Vergemeinschaftung der Haftung und der Schulden kommen.
Was mir bei der Reaktion der Finanzmärkte auf die Regierungsbildung in Italien auffiel: Die Risikoaufschläge für italienische Staatspapiere sind viel geringer als zu Zeiten der Griechenland-Krise auf die dortigen Bonds. Kalkulieren die Märkte also bereits aufgrund der gemachten Erfahrungen mit Griechenland, dass Italien mit allen Mitteln von der EZB gestützt wird? Wie sagte die deutsche Kanzlerin einst im Bundestag: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“ Für dieses teure Junktim haftet Deutschland inzwischen mit riesigen Milliardenbeträgen.
Genau das zeigt das Beispiel Griechenland. Hier ist ein Land der EWU beigetreten, das mit den Regeln der Währungsunion nicht fertig wird. Im Jahr 2015 war man nahe dran, Griechenland aus der EWU herauszulassen. Es gab sogar einen entsprechenden Beschluss in der Ecofin-Finanzministerrunde, den Wolfgang Schäuble herbeigeführt hatte. Griechenland wurde sogar signalisiert: Wenn ihr austretet, lassen wir euch aber nicht einfach fallen, wir stehen euch bei. Obwohl sich Griechenland einst mit gefälschten Zahlen in den Euro hineingemogelt hat. Dieser Versuch einer Fehlerkorrektur mit Hilfestellung wurde durch die Staats- und Regierungschefs vereitelt. Der damalige französische Präsident François Hollande hat sich später in einem Buch dafür rühmen lassen, Angela Merkel umgedreht zu haben, die damit Wolfgang Schäuble im Regen stehen ließ.
Jetzt haben wir mit Italien ein Problem, das um ein Vielfaches die Griechenland-Problematik übertrifft. Weil wir noch nie die Möglichkeit getestet haben, ein Land aus dem Euro zu entlassen, macht es viele ratlos, dass jetzt ein derartiges Schwergewicht wie Italien in solchen Schwierigkeiten steckt. Vermutlich wird man alles tun, um Italien im Euro zu halten. Die EU-Kommission wird beide Augen zudrücken, wenn die neue Regierungskoalition in Rom tatsächlich beieinanderbleibt und ihren Koalitionsvertrag umzusetzen versucht. Die EZB wird mit einer Verlängerung des QE-Programms bereitstehen. Sie wird weiterhin italienische Staatsanleihen stützen, weil das Land ohne EZB-Hilfe Gefahr liefe, keine Anschlussfinanzierung für auslaufende Bonds zu finden. Wenn man tatsächlich die Regeln und die Verträge respektieren würde, besteht das Problem ja darin, das sich die Euroländer praktisch in einer Fremdwährung verschuldet haben. In einer Währung, die sie selbst nicht schaffen können. Da ist eine Staatsschuldenquote von 132 Prozent des BIP absolut untragbar. Das geht niemals. Italien kann nur mithilfe der anderen Euroländer im Euro überleben. Wenn die Unterstützung nicht über die Staaten kommt, weil es keine politische Mehrheit für die Vergemeinschaftung der Staatsschulden gibt, muss die EZB ran. Damit kommt es zur „Liraisierung“ des Euro. Italien wird aufgrund seines Gewichts, insbesondere seines Gewichts bei der Verschuldung, den Euro einfach übernehmen. Die EZB wird dann die Funktion erfüllen, die früher einmal die Banca d’Italia erfüllt hat: Sie wird dafür sorgen, dass der italienische Staat solvent bleibt.
Der französische EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici hat gleich zu Beginn der italienischen Regierungsbildung warme und freundliche Worte in Richtung Rom gefunden. Damit dürfte eine wie immer verständnisvolle Linie der EU-Kommission vorgezeichnet sein. Ganz nebenbei bemerkt: Nach neun Jahren ist jetzt das Defizitverfahren gegen Frankreich eingestellt worden. Konsequenzen gab es für die permanenten Verstöße der Franzosen aber nie.
Die EU-Kommission wird alles tun, um einen Konflikt mit Italien zu vermeiden. Denn angenommen, sie würde auf Konfliktkurs mit der italienischen Regierung gehen und auf die Einhaltung der geltenden Verträge pochen, dann dürfte letztendlich auch die EZB keine weiteren italienischen Staatsanleihen aufkaufen. Italien würde sich ja dann nicht regelkonform verhalten, sodass die EZB die italienischen Bonds aus ihrem QE-Programm rausnehmen müsste, um nicht die Politik der Kommission zu torpedieren.
Darauf würden die Anleger reagieren. Denn ohne die Unterstützung der EZB bekäme Italien Schwierigkeiten mit der Anschlussfinanzierung auslaufender Bonds. Sie würden Italien-Papiere verkaufen, buchstäblich aus italienischen Anleihen fliehen. Die italienischen Haushalte würden versuchen, ihre Euros ins Ausland zu schaffen, um sie dort in Sicherheit zu bringen. Italien müsste Kapitalverkehrskontrollen einführen, müsste an den Grenzen wieder die Geldbörsen der Bürger kontrollieren, damit Bargeld nicht außer Landes geschafft wird. Damit wäre Italien de facto aus dem Euro raus. Weil die Kommission in Brüssel wie die EZB diesen Crash Italiens kommen sieht, falls sie auf Konfrontationskurs zur neuen Regierung in Rom geht, wird sie diesen Konflikt um jeden Preis vermeiden. Man wird eher darauf spekulieren, dass sich diese Regierung selbst zerlegt und danach wieder eine blasse Technokratenregierung ans Ruder kommt, die das Brüsseler Lied singt, aber völlig machtlos ist, die italienische Wirtschaft auf einen gesunden Kurs zu bringen. Dann wird die Sache schließlich eben nicht mit Absicht, sondern unabsichtlich aus dem Ruder laufen.
Gold ist für uns eine Art Versicherung für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass die Sache mit dem Euro aus dem Ruder läuft
Was bedeutet das für die Sparer, vor allem für die private Altersvorsorge, die im Zeichen des demografischen Wandels notwendiger ist denn je? Schließlich entspart die Nullzinspolitik der EZB die in Deutschland beliebten klassischen Anlageformen – Staatspapiere und Lebensversicherungen –, erspart aber gleichzeitig dem Staat gigantische Summen an Zinsen. Ohne die EZB hätte auch Wolfgang Schäuble keinen ausgeglichenen Haushalt geschafft. Welchen Rat gibt der Volkswirt Mayer deutschen Sparern angesichts der „Liraisierung“ des Euro?
Ich arbeite in einer Vermögensverwaltung. Deshalb bin ich mit diesen Fragen laufend konfrontiert. Wir versuchen für unsere Kunden Antworten zu finden. Das ist nicht einfach, und schon gar nicht gibt es die Patentantwort. Wir versuchen unsere Kundenportfolios so gut wie möglich dadurch zu schützen, dass wir in globale Aktien investieren, in Unternehmen, die global tätig sind, die vermutlich auch noch existieren, wenn es den Euro nicht mehr gibt. Die weiterhin Gewinne außerhalb von Europa machen können, auch wenn es Europa schlecht geht. Das ist das Rückgrat unserer Anlagephilosophie: gut aufgestellte und international tätige Unternehmen in einem gut diversifizierten Portfolio zu versammeln. Dazu kommt, dass wir im größten Fonds unseres Hauses einen Goldanteil von zehn Prozent des Fondsvolumens halten. Gold ist für uns eine Art Versicherung für den von uns nicht für unwahrscheinlich gehaltenen Fall, dass die Sache mit dem Euro aus dem Ruder läuft. Dann werden die Leute wieder in ein ihnen bekanntes archaisches Geld fliehen: Gold. Andere Leute glauben, dass die Leute die neuen Kryptowährungen entdecken. Das ist auch möglich. Ich würde es jedenfalls nicht ausschließen. Schließlich wurde Bitcoin ja als Kind der Krise geboren, nachdem das Geldwesen nach der Lehman-Pleite in einer tiefen Krise steckte. Allerdings präferiere ich persönlich doch die Goldvariante, da es eine lange Tradition als Hartwährung hat. Das sind Versuche, die nicht perfekt sind, aber zumindest mal Versuche, sich etwas gegen die Wirkungen einer großen Eurokrise zu wappnen.
Ja, das ist etwas, was auch die Griechen versucht haben. Der damalige Finanzminister Yanis Varoufakis wollte so eine Fiskalwährung auflegen, um sich etwas finanziellen Spielraum zu verschaffen und damit den Auflagen der europäischen Troika zu entkommen. Allerdings war Griechenland zur Bezahlung seiner Schulden zu der Zeit absolut auf frisches Geld angewiesen. Die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission hat eine solche Parallelwährung mit allen Mitteln verhindert. Vor allem deshalb hat Regierungschef Alexis Tsipras seinen Finanzminister entlassen. Ultimativ hatte die Troika darauf bestanden, weil sie sonst den Geldhahn zugedreht hätte. Tsipras entschied sich dann, lieber mit der Troika zu taktieren, als an Varoufakis festzuhalten.
Und die italienische Variante?
Die Koalition hat sich ein ähnliches Schema in ihren Vertrag reingeschrieben, um sich mehr Ellbogenfreiheit zu verschaffen. Der Vertrag spricht von „Fiskalinstrumenten“. Das Wort Parallelwährung taucht nicht auf. Die Passage ist relativ kurz und nimmt Bezug auf die fiskalischen Aspekte. Die mutmaßliche Regierung will für den Fall ein Instrument haben, dass ihr der Finanzmarkt durch die Ausgabe neuer Euroanleihen versperrt ist. Wenn ihr der Finanzmarkt verschlossen bleibt, sie Anleihen nicht platzieren kann oder die Gläubiger zu hohe Zinsen verlangen, dann gibt sie sogenannte Mini-Bots aus. „Bots“ ist in Italien der Begriff für Schatzwechsel. Mini-Bots deshalb, weil es sich um kleine Stückelungen handeln soll: von zehn bis 100 Euro.
Der Durchschnittsitaliener soll wohl diese Mini-Bots nutzen?
Ja, diese Mini-Bots werden an die Empfänger staatlicher Transferleistungen ausgegeben. Gleichzeitig lässt der Staat zu, dass Bürger mit den Mini-Bots ihre Steuerschulden begleichen. Weil die Mini-Bots auf Euro denominiert sind, sehen sie auf den ersten Blick nicht anders aus als normale Staatsanleihen. Nur ist die Stückelung klein, und die Ausgabe erfolgt nicht über den Markt, sondern direkt durch den Staat.
Die mutmaßliche Reaktion, wenn das so umgesetzt würde: Steuerpflichtige Italiener würden diese Mini-Bots mit einem Abschlag von den Transferleistungsempfängern abkaufen, um damit ihre Steuerschulden zu bezahlen. Wer 10 000 Euro Steuerschulden hat, würde dann Mini-Bots aufkaufen und dafür, sagen wir mal, nur 9000 Euro bezahlen. Der Nominalwert zur Begleichung der Steuerschuld beträgt aber 10.000 Euro. Damit kann man einen Kreislauf initiieren, eigentlich einen separaten Geldkreislauf, obwohl der nirgends so genannt wird, der dann die heimische Wirtschaft speist. Solange das auf kleiner Flamme gefahren wird und vor allem die EZB die italienische Staatsschuld weiter stützt, könnte sich Italien am Markt vorbei größere fiskalische Freiheit erkaufen. Die Regierung müsste ihre Defizite nicht über den Markt finanzieren, der diese neuen Anleihen nicht aufnehmen möchte. Das ist die Idee, die hinter diesem Mini-Bots-Vorhaben steckt. Allerdings beschwört Italien damit die Gefahr herauf, dass die Finanzmärkte sagen: Italien ist jetzt raus aus dem Euro, deshalb kaufen wir überhaupt keine neuen italienischen Staatsanleihen mehr. Wenn dann auch noch die EZB streikt, gerät Italien in die damalige griechische Situation. Läuft eine Anleihe aus und ist fällig, dann ist kein Geld mehr in der Kasse, um die Anleger der alten Staatsanleihe auszuzahlen. Dann kommt es natürlich zur Zahlungskrise. Die Italiener dürften aber darauf spekulieren, dass es die Europäer im eigenen Interesse gar nicht so weit kommen lassen, weil ihnen ansonsten mit der drittgrößten europäischen Volkswirtschaft ein Riesenbrocken auf die Füße fällt.
Niemals wird Deutschland den Euro verlassen. Wir sind die Allerletzten, die da rausgehen
In einer Debatte über die Sprengkraft des Euro hielt mir Oskar Lafontaines ehemaliger Kurzzeit-Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck, der das ökonomische Heil Italiens in neuen Schulden, nicht in einer Konsolidierung sieht, entgegen: „Wenn Deutschland der italienische Weg nicht passt, dann soll es doch bitte selbst aus dem Euro raus, die D-Mark wieder ein- führen, eine 30-prozentige Aufwertung in Kauf nehmen und mehr als drei Millionen Arbeitslose ernten.“ Hat er damit am Ende sogar recht?
Letztendlich wäre es die Lösung, wenn Deutschland über eine Parallelwährung rausgeht und den Euro den Schwachwährungsländern überlässt, die ihn ja ohnehin mehr oder weniger okkupiert haben. Dann hätte Deutschland die Chance, sich davon abzukoppeln. Für die deutsche Industrie würde das bedeuten, dass sie sich wieder mehr anstrengen müsste.
Weil die Produktivitätskeule einer starken Währung wieder Wirkung entfalten würde?
Ja, weil die deutsche Wirtschaft wieder eher über die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen Verkaufserlöse erzielen würde und nicht mithilfe einer Leichtwährung, die vordergründig die Exportgeschäfte beflügelt, aber Innovation bremst und träge macht. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn Deutschland den Währungsraum verlässt und den Euro einfach so stehen lässt. Wenn das passiert, dann hätten wir eine vielleicht 30-prozentige Aufwertung der deutschen Parallelwährung. Spiegelbildlich zu den italienischen Vorschlägen könnte dann der deutsche Staat verlangen, dass ihm etwa Steuern in dieser neuen Währung bezahlt werden. Auch Unternehmen müssten Einnahmen in dieser neuen Währung erzielen, die Bürger natürlich ebenso, wenn sie das Wechselkursrisiko der Weichwährung Euro nicht länger übernehmen möchten. So könnte dann neben dem Euro mit der Zeit ein zweiter Kreislauf entstehen, der es Deutschland erlaubt, ohne Totalverlust davonzukommen. Die Target- Forderungen der Bundesbank an das Eurosystem wären dann in neuer D-Mark gerechnet, betrügen aber immer noch 70 Prozent des bestehenden Betrags. Das wäre ein ziemlicher Verlust, beinahe 300 Milliarden Euro.
Im Augenblick belaufen sich die Target- Forderungen der Bundesbank auf knapp über 900 Milliarden Euro.
Würde Deutschland 300 Milliarden verlieren, wäre das bitter. Aber immer noch besser als ein Totalverlust! Doch selbst wenn man wohlmeinende Leute in Berlin fragt, dann kommt unisono die Antwort: „Niemals im Leben wird Deutschland das machen! Wir sind die Allerletzten, die da rausgehen.“
Herzlichen Dank für das spannende Gespräch, Herr Mayer.
Thomas Mayer, Die Ordnung der Freiheit und ihre Feinde. Vom Aufstand der Verlassenen gegen die Herrschaft der Eliten.
FinanzBuch Verlag, 240 Seiten, 17,99 €.