Die Legende, die Politik und Medien in der Öffentlichkeit über das sogenannte Brüsseler „Verbrenner-Verbot ab 2035“ bis zum heutigen Tage vermitteln, ist schlichtweg irreführend, um nicht zu sagen falsch. Der Medien-Mainstream besagt: Die Europäische Union hat sich auf ein Gesetz geeinigt, das den Verkauf neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2035 verbietet. Damit soll der Umstieg auf Elektrofahrzeuge beschleunigt und die Klimakrise bekämpft werden. Beides stimmt so nicht.
In der öffentlichen Meinung hat sich festgesetzt, dass Autos mit Benzin- oder Dieselantrieb ab 2035 in der EU verboten sind und durch Elektroautos ersetzt werden sollen. Richtig ist: Unterhändler der EU-Länder und des Europäischen Parlaments sowie der EU-Kommission, die gemeinsam neuen EU-Gesetzen zustimmen müssen, haben sich am 27.10.2022 im sogenannten „Trilog-Verfahren“ – eine EU-spezifische Art von Vermittlungsausschuss – geeinigt, dass die Autohersteller die CO₂-Emissionen bis 2035 in der EU um 100 Prozent senken müssen. Damit würde der Verkauf neuer, mit fossilen Brennstoffen betriebener Fahrzeuge in der EU unmöglich gemacht. Ab dann dürften nur noch Neuwagen auf den Markt kommen, die im Fahrbetrieb keine sogenannten Treibhausgase, sprich CO₂, ausstoßen.
Um dem zu folgen, erarbeiteten die EU-Institutionen neue Rechtsvorschriften, um die EU bis 2050 klimaneutral, sprich treibhausgasneutral zu machen. Und fasste am 27.10.2022 unter der tschechischen Ratspräsidentschaft folgende Beschlüsse:
- Die EU einigte sich auf neue CO₂-Ziele für die Pkw-Flotte.
- Ab 2035 dürfen neue Pkw kein CO₂ mehr ausstoßen. Angepeilt werden Elektroautos.
- Gebrauchtfahrzeuge sind nicht betroffen, der Altbestand wird nicht tangiert.
- Ob eFuels für Neuwagen eine klimaneutrale Alternative sein können, wird 2026 überprüft.
EU-Kommissar Timmerman, begeisterter Radfahrer, kommentierte den Trilog-Beschluss euphorisch: “Diese Übereinkunft sendet ein starkes Signal an die Industrie und Verbraucher: Europa vollzieht den Übergang zu emissionsfreier Mobilität.“ Im Sinn hatte Timmerman dabei ausschließlich die Mobilität mit Elektroautos. Und erntete damit bei Energieexperten wie Ökonomen heftiges Kopfschütteln und Skepsis. Wie Holger Douglas bei TE schrieb: „Keiner lacht über die unsinnigen Worte von der »emissionsfreien Mobilität« – als ob es die gäbe.“
Vor allem die unterschiedliche Auslegung des Beschlusses, 2026 nochmal zu prüfen, ob alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff oder eFuels als Ersatz für die fossilen Benzin- und Diesel-Kraftstoffe eine klimaverträgliche Lösung seinen, wenn die Mobilität mit Elektroautos nicht sicherzustellen ist, führten zu heftigen Kontroversen in der Community. Die meisten endeten einprägsam in der griffigen Medien-Formel: Verbrenner-Aus ab 2035.
Und das ist falsch! Nicht das endgültige Verbrenner-Aus wurde im EU-Trilog beschlossen, sondern, dass ein Verbrennerverbot ab 2035 im Jahre 2026 nochmals auf den Tisch kommt und geprüft wird. Sollte diese Überprüfung einstimmig zu dem Schluss kommen, die rechtlichen und verkehrstechnischen Voraussetzungen für eine treibhausgasfreie Mobilität in Europa für alle ab 2035 seien nur mit E-Autos nicht oder auch mit eFuels in Verbrennern zu gewährleisten, sind zusätzlich zu Elektroautos auch der Betrieb von Verbrennerautos mit alternativen, klimaneutralen Treibstoffen möglich und zulässig.
Im Klartext: Nicht der Verbrennermotor als solcher wurde am 27.10.2022 verboten oder sollte verboten werden, sondern das Verbrennen klimaschädlicher fossiler Treibstoffe. Um im Bild zu bleiben: Nicht auf die Kaffeemühle zielt der Gesetzgeber, sondern auf den magenschädlichen Kaffee!
Und weil man den riesigen Altbestand von heute 360 Millionen EU-Verbrennerautos auch 2035 nicht per ordre de mufti stilllegen kann, bleiben diese Gebrauchtfahrzeuge von der Regelung frei. Obwohl gerade hier die Klimanot am größten ist, nicht bei den mickrigen 15 Millionen Neufahrzeugen. Stattdessen werden die Emmissionsgrenzwerte bei neuen Verbrennerfahrzeugen ab 2035 so verschärft, dass sie nicht mehr betrieben werden können.
Diese Auslegung der E- Beschlüsse wird von Umweltaktivisten und E-Auto-Fans heftig bestritten. Weil das so ist, soll die EU-Regelung (auszugsweise und ausnahmsweise) nachfolgend im offiziellen Publikationstext zitiert werden. Der Leser möge sich selber ein Bild machen:
“The Council and the European Parliament reached a provisional political agreement on stricter CO2 emission performance standards for new cars and vans. The purpose is to move towards a zero-emission mobility.
Pending a formal adoption, the co-legislators agreed to a:
- 55% CO2 emission reduction target for new cars and 50% for new vans by 2030 compared to 2021 levels
- 100% CO2 emission reduction target for both new cars and vans by 2035.
The agreement includes wording on CO2 neutral fuels whereby following consultation with stakeholders, the Commission will make a proposal for registering vehicles running exclusively on CO2-neutral fuels after 2035 in conformity with EU law, outside the scope of the fleet standards, and in conformity with the EU’s climate neutrality objective.
The agreement includes a review clause that will ensure that in 2026, the Commission thoroughly assess the progress made towards achieving the 100% emission reduction targets and the need to review these targets taking into account technological developments, including with regard to plug-in hybrid technologies and the importance of a viable and socially equitable transition towards zero emissions.
Background and next steps
The proposal revises existing rules, last amended in 2019. The provisional political agreement reached in trilogue negotiations will now have to be formally adopted by the Council and the Parliament.
Aus diesem Text lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
- Das Gesetz ist beschlossen im Triolog!!! Parlament und Ministerrat müssen nur noch förmlich zustimmen, d.h. mit einfacher Mehrheit, nichts Kompliziertes…
- Alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff und eFuels sind dennoch nicht vom Tisch; ob sie nach 2035 zum Betanken von Verbrennerautos zulässig sind, wird 2026 von der Kommission gemeinsam mit der Industrie geprüft, hängt also auch ab von den Vorschlägen der Autohersteller zum klimakonformen Handling der Fahrzeuge.
Das heißt im Einzelnen:
- alternative Kraftstoffe (eFuels, Wasserstoff, Bio-Sprit) müssen ab 2035 flächendeckend verfügbar sein;
- die technischen Voraussetzungen für den gesetzlichen Nachweis müssen vorliegen, dass Verbrenner (alt wie neu) tatsächlich nur mit alternativen Kraftstoffen gefahren werden können. Das impliziert spezielle eFuel Zapfsäulen, spezielle Tankverschlüsse am Auto nur für eFuels etc.
Diese Voraussetzungen durch Auto- und Minerölindustrie zu schaffen, ist nach Meinung von Experten einfach, da große Teile der bisherigen Tankinfrastruktur genutzt werden können. Und ist gleichzeitig umweltpolitisch überzeugend, da die Altflotte plötzlich ebenfalls klimaneutral betrieben werden kann. Wichtigste Voraussetzung sind eine klimunschädliche Produktion von eFuel und Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Produktionskosten und Tankstellenpreisen.
Internen Informationen zu Folge, wird bei den Herstellern schon mit Hochdruck an der Schaffung der fahrzeugtechnischen Voraussetzungen zur gesetzeskonformen Betankung der regulären Verbrenner mit Öko-Sprit gearbeitet. Auch der Ausbau großer Industriekapazitäten zur Produktion von grünem Wasserstoff im Morgenland macht rasche Fortschritte.
Bestärkt wurden die Hersteller durch jüngste Aussagen von EU-Industriekommissar Thierry Breton!
Breton bekannte sich in einem Gespräch mit Europe.Table offen zur Verbrennertechnologie auch über das Jahr 2035 hinaus. Er behält sich Korrekturen vor, sollten die Ziele der Transformation zur Elektromobilität verfehlt werden. Breton machte sich stark für die Technologie des Verbrennungsmotors über das Jahr 2035 hinaus.
Thierry Bretons wesentlichen Aussagen waren:
- Die Hersteller sollten auch nach dem Verbot in der EU, das 2035 greifen soll, Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor in Europa produzieren und auf andere Märkte exportieren. „Nach dem Verbrenner-Aus im Jahr 2035 muss die europäische Autoindustrie in der Lage sein, technisch hochwertige und saubere Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf die Märkte in Asien, insbesondere nach China, aber auch nach Lateinamerika und Afrika zu verkaufen“, sagte Breton im Gespräch mit Europe.Table und einigen anderen Medien. „Europa ist keine Insel, die Hersteller haben allen Grund, weiter zu investieren in die Forschung und Verbesserung der bewährten Technologie des internen Verbrennungsmotors.“
- Breton hob hervor, dass dabei für das Jahr 2026 eine Überprüfung des Verbots vereinbart wurde: „Das ist ein sehr wichtiges Datum. Es gilt dann zu überprüfen, ob die Ziele der Transformation hin zum Elektroauto machbar sind.“ Und unausgesprochen: Und wenn nicht, bleibt es beim Verbrenner, grün betankt. Bis zum Jahr 2030 solle es EU-weit 30 Millionen batterieelektrische Fahrzeuge und 6,8 Millionen Ladepunkte geben. Derzeit gibt es nur 350.000 Ladepunkte. Der Ausbau reicht an die Billionen-Euro-Grenze heran. Sollte eine Verfehlung der Ziele hinsichtlich der Zahl der E-Autos, der Bezahlbarkeit der Technologie sowie einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur erkennbar sein, müsse laut Breton dringend gegengesteuert werden. „Wir werden nicht bis zum Jahr 2026 warten, sondern Korrekturen vorschlagen, sobald sie nötig sind.“ E-Autos dürften kein Privileg für Besserverdienende bleiben: „Derzeit ist ein Auto mit Batterieantrieb in etwa 30 Prozent teurer als ein vergleichbares Modell mit Verbrennungsmotor. Dieser Preisunterschied muss sich einebnen.“ – Die anhaltende Verteuerung von Batterierohstoffen dürfte dies kaum zulassen.
- Im Gesetz steht die Überprüfungsklausel 2026. Dabei sollen nicht nur die Transformationsfortschritte hin zur Elektromobiliät geprüft werden, sondern es soll auch darum gehen, ob ein nahezu CO₂-frei hergestellte synthetische Kraftstoffe nach dem Aus der Verbrennertechnologie 2035 doch noch zum Zuge kommen kann.
- Breton geht davon aus, dass die geplante Abkehr vom Verbrennungsmotor bis zu 600.000 Jobs in der EU Automobilindustrie kostet. Derzeit arbeiteten 13 Millionen Menschen in der Branche. Breton erinnerte daran, dass die Co-Gesetzgeber in dem EU-Rechtstext keine finanziellen Mittel zur Abfederung der Folgen auf dem Arbeitsmarkt vorgesehen haben. Es werde aber Regionen geben, die besonders betroffen sind, etwa der Stuttgarter Raum in Deutschland sowie die Region um Turin in Italien.
- Breton wird eine Arbeitsgruppe ins Leben rufen, mit Vertretern von Herstellern, mittelständischen Zulieferern, Gewerkschaften und Stromproduzenten. Diese solle alle drei Monate zusammenkommen, um die Fortschritte bei der Transformation zu bewerten. Breton deutete an, dass bei einem Verfehlen der Ziele auch eine Abkehr von der Ausrichtung auf E-Autos denkbar sei: „Falls notwendig, werden wir unsere Pläne ändern und andere technische Lösungen in Erwägung ziehen.“
Zusätzlich traf Breton wichtige Aussagen mit großer Reichweite für die europäische Automobilindustrie hinsichtlich der verkappten Reindustrialisierungspolitik der USA (vergleiche hier), die ihrer Bedeutung wegen hier kurz erwähnt werden sollen.
- Breton kritisiert den Inflation-Reduction-Act (IRA) der US-Regierung, mit dem hohe staatliche Zuschüsse für in den USA produzierte E-Autos ausgelobt werden: „Es ist sehr bedauerlich, dass unsere gleichgesinnten Partner nicht nur einen Wettlauf um Subventionen gestartet haben, sondern auch noch diskriminierende Maßnahmen gegen Hersteller aus der EU ergreifen.“
- China hat sich laut Breton zu einem ernsthaften Konkurrenten für die Auto-Hersteller aus Europa entwickelt. Breton mahnte die chinesischen Hersteller von E-Autos: „Wir werden sehr darauf achten, dass der Wettbewerb fair bleibt. Sollten E-Autos aus China nicht den regulatorischen Ansprüchen der EU genügen, etwa bei der EU-Batterien-Richtlinie, werden sie keinen Marktzugang bekommen.“
Fazit: Sollte die Überprüfung des Transformationsprozesses hin zu Elektromobilität in 2026 negativ ausfallen, steht die Tür für alternative Kraftstoffe offen.
Damit liegt der Ball im Garten der Autohersteller. Sie sind gefordert, jene fahrzeug-technischen Voraussetzungen zu schaffen, welche den gesetzlichen Anforderungen Genüge tun.
Das sollte machbar sein!