Tichys Einblick
2026 wird entschieden

Die Legende vom Verbrenner-Aus 2035

In der öffentlichen Meinung hat sich festgesetzt, dass Autos mit Benzin- oder Dieselantrieb ab 2035 in der EU verboten sind und durch Elektroautos ersetzt werden sollen. Das stimmt aber nicht. Das erklärt die unaufgeregte Reaktion der Auto-Konzerne.

Symbolbild

IMAGO / Steinach

Die Legende, die Politik und Medien in der Öffentlichkeit über das sogenannte Brüsseler „Verbrenner-Verbot ab 2035“ bis zum heutigen Tage vermitteln, ist schlichtweg irreführend, um nicht zu sagen falsch. Der Medien-Mainstream besagt: Die Europäische Union hat sich auf ein Gesetz geeinigt, das den Verkauf neuer Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2035 verbietet. Damit soll der Umstieg auf Elektrofahrzeuge beschleunigt und die Klimakrise bekämpft werden. Beides stimmt so nicht.

In der öffentlichen Meinung hat sich festgesetzt, dass Autos mit Benzin- oder Dieselantrieb ab 2035 in der EU verboten sind und durch Elektroautos ersetzt werden sollen. Richtig ist: Unterhändler der EU-Länder und des Europäischen Parlaments sowie der EU-Kommission, die gemeinsam neuen EU-Gesetzen zustimmen müssen, haben sich am 27.10.2022 im sogenannten „Trilog-Verfahren“ – eine EU-spezifische Art von Vermittlungsausschuss – geeinigt, dass die Autohersteller die CO₂-Emissionen bis 2035 in der EU um 100 Prozent senken müssen. Damit würde der Verkauf neuer, mit fossilen Brennstoffen betriebener Fahrzeuge in der EU unmöglich gemacht. Ab dann dürften nur noch Neuwagen auf den Markt kommen, die im Fahrbetrieb keine sogenannten Treibhausgase, sprich CO₂, ausstoßen. 

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Mit diesem Trilog-Beschluss will die EU-Spitze für den Verkehrssektor ihr „Fit for 55“-Programm durchsetzen, welches sie am 14. Juli 2021 vorgestellt hat. Fit for 55 ist ein Paket reformierter und neuer Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Kommission zur Klimapolitik der Europäischen Union. Das europäische Klimagesetz macht im Rahmen des „Green Deal“ die Verwirklichung des Klimaziels der EU, die Emissionen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken, zu einer rechtlichen Verpflichtung. 

Um dem zu folgen, erarbeiteten die EU-Institutionen neue Rechtsvorschriften, um die EU bis 2050 klimaneutral, sprich treibhausgasneutral zu machen. Und fasste am 27.10.2022 unter der tschechischen Ratspräsidentschaft folgende Beschlüsse:

EU-Kommissar Timmerman, begeisterter Radfahrer, kommentierte den Trilog-Beschluss euphorisch: “Diese Übereinkunft sendet ein starkes Signal an die Industrie und Verbraucher: Europa vollzieht den Übergang zu emissionsfreier Mobilität.“ Im Sinn hatte Timmerman dabei ausschließlich die Mobilität mit Elektroautos. Und erntete damit bei Energieexperten wie Ökonomen heftiges Kopfschütteln und Skepsis. Wie Holger Douglas bei TE schrieb: „Keiner lacht über die unsinnigen Worte von der »emissionsfreien Mobilität« – als ob es die gäbe.“

Vor allem die unterschiedliche Auslegung des Beschlusses, 2026 nochmal zu prüfen, ob alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff oder eFuels als Ersatz für die fossilen Benzin- und Diesel-Kraftstoffe eine klimaverträgliche Lösung seinen, wenn die Mobilität mit Elektroautos nicht sicherzustellen ist, führten zu heftigen Kontroversen in der Community. Die meisten endeten einprägsam in der griffigen Medien-Formel: Verbrenner-Aus ab 2035. 

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Und das ist falsch! Nicht das endgültige Verbrenner-Aus wurde im EU-Trilog beschlossen, sondern, dass ein Verbrennerverbot ab 2035 im Jahre 2026 nochmals auf den Tisch kommt und geprüft wird. Sollte diese Überprüfung einstimmig zu dem Schluss kommen, die rechtlichen und verkehrstechnischen Voraussetzungen für eine treibhausgasfreie Mobilität in Europa für alle ab 2035 seien nur mit E-Autos nicht oder auch mit eFuels in Verbrennern zu gewährleisten, sind zusätzlich zu Elektroautos auch der Betrieb von Verbrennerautos mit alternativen, klimaneutralen Treibstoffen möglich und zulässig.

Im Klartext: Nicht der Verbrennermotor als solcher wurde am 27.10.2022 verboten oder sollte verboten werden, sondern das Verbrennen klimaschädlicher fossiler Treibstoffe. Um im Bild zu bleiben: Nicht auf die Kaffeemühle zielt der Gesetzgeber, sondern auf den magenschädlichen Kaffee! 

Und weil man den riesigen Altbestand von heute 360 Millionen EU-Verbrennerautos auch 2035 nicht per ordre de mufti stilllegen kann, bleiben diese Gebrauchtfahrzeuge von der Regelung frei. Obwohl gerade hier die Klimanot am größten ist, nicht bei den mickrigen 15 Millionen Neufahrzeugen. Stattdessen werden die Emmissionsgrenzwerte bei neuen Verbrennerfahrzeugen ab 2035 so verschärft, dass sie nicht mehr betrieben werden können.

Diese Auslegung der E- Beschlüsse wird von Umweltaktivisten und E-Auto-Fans heftig bestritten. Weil das so ist, soll die EU-Regelung (auszugsweise und ausnahmsweise) nachfolgend im offiziellen Publikationstext zitiert werden. Der Leser möge sich selber ein Bild machen:

“The Council and the European Parliament reached a provisional political agreement on stricter CO2 emission performance standards for new cars and vans. The purpose is to move towards a zero-emission mobility.

Pending a formal adoption, the co-legislators agreed to a:

The agreement includes wording on CO2 neutral fuels whereby following consultation with stakeholders, the Commission will make a proposal for registering vehicles running exclusively on CO2-neutral fuels after 2035 in conformity with EU law, outside the scope of the fleet standards, and in conformity with the EU’s climate neutrality objective.

The agreement includes a review clause that will ensure that in 2026, the Commission thoroughly assess the progress made towards achieving the 100% emission reduction targets and the need to review these targets taking into account technological developments, including with regard to plug-in hybrid technologies and the importance of a viable and socially equitable transition towards zero emissions.

Background and next steps

The proposal revises existing rules, last amended in 2019. The provisional political agreement reached in trilogue negotiations will now have to be formally adopted by the Council and the Parliament.

Aus diesem Text lassen sich folgende Schlüsse ziehen:

  1. Das Gesetz ist beschlossen im Triolog!!! Parlament und Ministerrat müssen nur noch förmlich zustimmen, d.h. mit einfacher Mehrheit, nichts Kompliziertes…
  2. Alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff und eFuels sind dennoch nicht vom Tisch; ob sie nach 2035 zum Betanken von Verbrennerautos zulässig sind, wird 2026 von der Kommission gemeinsam mit der Industrie geprüft, hängt also auch ab von den Vorschlägen der Autohersteller zum klimakonformen Handling der Fahrzeuge. 

Das heißt im Einzelnen:

  1. alternative Kraftstoffe (eFuels, Wasserstoff, Bio-Sprit) müssen ab 2035 flächendeckend verfügbar sein; 
  2. die technischen Voraussetzungen für den gesetzlichen Nachweis müssen vorliegen, dass Verbrenner (alt wie neu) tatsächlich nur mit alternativen Kraftstoffen gefahren werden können. Das impliziert spezielle eFuel Zapfsäulen, spezielle Tankverschlüsse am Auto nur für eFuels etc.

Diese Voraussetzungen durch Auto- und Minerölindustrie zu schaffen, ist nach Meinung von Experten einfach, da große Teile der bisherigen Tankinfrastruktur genutzt werden können. Und ist gleichzeitig umweltpolitisch überzeugend, da die Altflotte plötzlich ebenfalls klimaneutral betrieben werden kann. Wichtigste Voraussetzung sind eine klimunschädliche Produktion von eFuel und Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Produktionskosten und Tankstellenpreisen. 

DER PODCAST AM MORGEN
Aus für Autos mit Verbrennerantrieb ab 2035? - TE Wecker am 13. November 2022
Der Aufschrei bei Wissenschaftlern und Verbänden gegen die Verbrenner-Beschlüsse war groß. Nur die betroffene deutsche Autoindustrie blieb weitgehend stumm. Und das hatte einen guten Grund: Hier wurde in den Vorstandsetagen die Brüsseler Entscheidung als nur vorläufig bewertet, weil sie gleichzeitig die Tür für alternative klimafreundliche Kraftstoffe nicht zugeschlagen hat. Und gleichzeitig wurde mit allen Mitteln ostentativ daran gearbeitet, auf breiter Front möglichst viele Elektroautos zu hohen Preisen auf den Markt zu bringen. Schließlich sollte 2026 deutlich erkennbar werden, dass die Transformation nicht an der Industrie, sondern an den Kunden und an Mängeln im Angebot von Grün-Strom und im E-Tankstellennetz scheitert. 

Internen Informationen zu Folge, wird bei den Herstellern schon mit Hochdruck an der Schaffung der fahrzeugtechnischen Voraussetzungen zur gesetzeskonformen Betankung der regulären Verbrenner mit Öko-Sprit gearbeitet. Auch der Ausbau großer Industriekapazitäten zur Produktion von grünem Wasserstoff im Morgenland macht rasche Fortschritte.  

Bestärkt wurden die Hersteller durch jüngste Aussagen von EU-Industriekommissar Thierry Breton!

Breton bekannte sich in einem Gespräch mit Europe.Table offen zur Verbrennertechnologie auch über das Jahr 2035 hinaus. Er behält sich Korrekturen vor, sollten die Ziele der Transformation zur Elektromobilität verfehlt werden. Breton machte sich stark für die Technologie des Verbrennungsmotors über das Jahr 2035 hinaus.

Thierry Bretons wesentlichen Aussagen waren:

Zusätzlich traf Breton wichtige Aussagen mit großer Reichweite für die europäische Automobilindustrie hinsichtlich der verkappten Reindustrialisierungspolitik der USA (vergleiche hier), die ihrer Bedeutung wegen hier kurz erwähnt werden sollen.

Fazit: Sollte die Überprüfung des Transformationsprozesses hin zu Elektromobilität in 2026 negativ ausfallen, steht die Tür für alternative Kraftstoffe offen.

Damit liegt der Ball im Garten der Autohersteller. Sie sind gefordert, jene fahrzeug-technischen Voraussetzungen zu schaffen, welche den gesetzlichen Anforderungen Genüge tun.

Das sollte machbar sein! 


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