Vor wenigen Wochen behauptete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der „Turnaround“ der Wirtschaft sei da. In seiner Regierungserklärung Ende Juni legte er nach. Mit Blick auf die „Wachstumsinitiative“, die er gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Rahmen des Haushaltsentwurfs für 2025 ausgehandelt hatte, versprach er einen „Wachstumsturbo“.
Doch der versprochene Turbo zündet nicht. Denn die Wachstumsinitiative – ein bunter Blumenstrauß von insgesamt 49 hauptsächlich angebotsorientierten Maßnahmen – generiert nicht einmal ein laues Konjunkturlüftchen. Die Bundesregierung hofft, vor allem mit steuerlichen Entlastungen von Unternehmen und Bürgern einen einmaligen Wachstumsimpuls von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im nächsten Jahr zu generieren.
Aber auch der vermeintlich anziehende private Konsum – der einzig verbleibende Strohhalm, an den sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Konjunkturforscher seit mehr als einem Jahr klammern – dürfte sich auf absehbare Zeit als Fata Morgana erweisen. Denn Erwerbstätigen und Rentnern ist wegen der im Zeitraum von 2019 bis 2023 erlittenen Realeinkommensverluste von mehr als fünf Prozent – die die Kaufkraft seit 2023 um etwa 100 Milliarden Euro jährlich mindern – die Konsumlaune gründlich vergangen. Als ebenfalls nicht konsumförderlich erweisen sich die zurecht große Unsicherheit der Bürger über die weitere Kaufkraftentwicklung, denn die EZB hat die Inflation noch immer nicht unter Kontrolle gebracht, sowie die heranrollende Entlassungswelle in der Industrie.
Explodierende Energiekosten
Die Wirtschaft steht jedoch auch – ganz im Gegensatz zu Scholz Behauptung – nicht etwa vor einem Aufschwung, denn die wirtschaftliche Talfahrt, die bereits mit der Industrierezession 2018 begann und inzwischen durch die in Gang gekommene Deindustrialisierung beschleunigt wird, ist längst nicht zu Ende. Mittlerweile ist die Industrieproduktion etwa 15 Prozent unter das Niveau von 2018 gesunken. Seit Anfang 2023, als die im Zug der Coronakrise und des Ukrainekriegs temporär hohen Energiepreise bereits wieder sanken, hat sich der Produktionsrückgang sogar beschleunigt. Und so geht es weiter, denn seit fünf Monaten in Folge sinken die Bestellungen im Verarbeitenden Gewerbe.
Nach nunmehr drei Jahren mit rückläufigem Auftragseingang liegen sie um 15 Prozent niedriger als 2018. Der industrielle Schrumpfungsprozess hat inzwischen so viel Schwung, dass er die konjunkturelle Entwicklung prägt. So wird es mit dem BIP – ganz im Gegensatz zu den Nebelkerzen, die Bundesregierung und viele Konjunkturforscher seit mehr als einem Jahr werfen – auf viele Jahre nicht etwa aufwärts gehen, sondern im Trend weiter abwärts. Bereits seit 2018 kommt das BIP nicht mehr über das damalige Niveau hinaus und seit mehr als einem Jahr schrumpft oder stagniert es im Wechsel von Quartal zu Quartal.
Diese Klimapolitik macht die Energienutzung sehr teuer, denn sie setzt einseitig auf die Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis hin zur Klimaneutralität, anstatt primär auf wesentlich kostengünstigere Möglichkeiten zur Anpassung an den menschengemachten wie auch natürlichen Klimawandel zu setzen. Um das Klimaneutralitätsziel zu erreichen, soll der Energieverbrauch zudem drastisch gesenkt werden. Der verbleibende Energiebedarf soll dann ausschließlich durch den nur begrenzt verfügbaren erneuerbaren Wind- und Solarstrom gedeckt werden.
Sowohl die Reduzierung des Energieverbrauchs als auch die Umstellung auf ausschließlich nicht bedarfsgerecht fließenden erneuerbaren Strom sind extrem kostspielig. Denn die Minderung des Energieverbrauchs zieht teure Energieeffizienzmaßnahmen nach sich und die Umstellung auf erneuerbaren Wind- und Solarstrom führt zur Verdrängung vergleichsweise günstiger fossiler und atomarer Brennstoffe. Hinzu kommt, dass die immer stärkere Abhängigkeit der Stromversorgung von volatiler Wind- und Sonnenenergie ein zweites komplementäres Energiesystem erfordert, um Dunkelflauten vollständig ausgleichen zu können. Dies ist seit Jahrzehnten evident, denn seit den Anfängen der ökologischen Klimapolitik vor mehr als zwei Jahrzehnten und den dadurch steigenden Anteil der Erneuerbaren hatten sich die realen Strompreise für die privaten Haushalte – die die Hauptlast der Umstellung auf die Erneuerbaren tragen – bis 2018 in etwa verdoppelt.
Ökologische Preisspirale
Seit 2018 hat sich der von dieser Klimapolitik ausgehende Energiekostenanstieg – überlagert und begünstigt von Coronakrise und Ukrainekrieg – sogar enorm beschleunigt. Daher kehren die Energie- und insbesondere die Strompreise nicht wieder auf das Vorkrisenniveau zurück. Dies resultiert einerseits aus der seit einigen Jahren stark zunehmenden Belastung fossiler Brennstoffe mit immer höheren Emissionsabgaben. Denn die fossilen Brennstoffe sollen unattraktiver werden, um Unternehmen und private Haushalte zur Umstellung auf sehr viel teureren Strom zu bewegen. Im vergangenen Jahr mussten deutsche Industrieanlagenbetreiber, Kraftwerke und Fluggesellschaften allein über das europäische Emissionshandelssystem bereits 18 Milliarden Euro für Emissionszertifikate aufwenden. Andererseits wird Strom immer teurer, weil vom steigenden Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch eine preistreibende Wirkung ausgeht.
Im gleichen Zeitraum stieg dieser von weniger als 40 Prozent auf 51,8 Prozent und damit in sehr kurzer Zeit viel stärker, als dies in den vergangenen Jahrzehnten durch die Errichtung neuer Windkraft- und Solaranlagen möglich war. Da inzwischen die Deindustrialisierung mit Betriebsaufgaben und Produktionsstillegungen seit 2018 einen Produktionseinbruch von gut 30 Prozent in den energieintensiven Branchen bewirkt hat – auf die alleine etwa 20 Prozent des Endenergieverbrauchs in Deutschland entfallen –, dreht sich diese Spirale aus sinkendem Stromverbrauch und steigendem Anteil der Erneuerbaren immer schneller. Im ersten Halbjahr 2024 haben die Erneuerbaren bereits einen Anteil von 57 am Bruttostromverbrauch erreicht.
Dadurch hat sich auch der Strompreisanstieg beschleunigt. So sind die durchschnittlichen Strompreise für private Haushalte von 29,47 Cent pro kWh 2018 im Verlauf von Coronakrise und Ukrainekrieg übergangsweise bis auf 45,73 Cent pro kWh im vergangenen Jahr nach oben geschossen. Freilich wurde dieser Preisanstieg durch die zwischenzeitlich extrem teuren fossilen Brennstoffe deutlich verschärft. Denn sie spielen bei der Stromproduktion mit einem Anteil von gut 40 Prozent eine immer noch bedeutende Rolle.
Zwar werden sie immer weniger zur Grundlastversorgung eingesetzt, jedoch wird vor allem Erdgas in steigendem Umfang benötigt, um den steigenden Anteil des volatilen Wind- und Solarstrom bedarfsgerecht auszugleichen. Als Folge von Coronakrise und Ukrainekrieg werden nur die gegenüber russischem Pipelinegas höheren Bezugskosten für LNG-Gas als spürbare Bürde auf den Strompreisen lasten. Da jedoch der Erdgasanteil an der Stromerzeugung nur etwa 15 Prozent ausmacht, spielen die Erdgaspreise bei der Strompreisentwicklung eine nur untergeordnete Rolle. Der Haupttreiber steigender Strompreise ist der steigende Anteil der Erneuerbaren.
Die Umstellung auf erneuerbare Energien werde in den nächsten Jahren und Jahrzehnten im Vergleich zu den Vorkrisenzeiten zu einer Vervielfachung der Energiepreise führen, so Martin Brudermüller, bis vor kurzem noch BASF-Chef. Sofern man an der gegenwärtigen Klima- und Energiepolitik nichts Grundsätzliches ändere, werde „die Industrie künftig von einem mittleren einstelligen Centbetrag je Kilowattstunde auf fast 20 Cent“ pro kWh für Strom kommen. Das sind Strompreise mit denen Teile der Industrie bereits jetzt konfrontiert sind. Bei diesem Strompreis erübrigen sich jedoch Investitionen der Unternehmen zur Umstellung der Prozesse von fossilen Brennstoffen auf Strom und zur Energieeffizienzverbesserung, denn dann, so Brudermüller „braucht sich die deutsche Industrie zur Dekarbonisierung gar nicht mehr aufzumachen. Da ist sie mausetot, bevor sie damit begonnen hat.“
Industrie am Kipppunkt
Durch den bis 2018 vergleichsweise moderaten Energiekostenanstieg hat die ökologische Klimapolitik eine bis dahin nur schleichende Deindustrialisierung ausgelöst. Vor allem energieintensive Unternehmen gehen längst nicht mehr davon aus, dass sie unter den Prämissen der ökologischen Klimapolitik wettbewerbsfähig bleiben und die immer rasanter steigenden Energiekosten kompensieren können. Daher desinvestieren vor allem energieintensive Unternehmen seit den 2000er Jahren in Deutschland, so dass viele Anlagen längst abgeschrieben sind.
Durch rückläufige Investitionen sinkt zwar die Wettbewerbsfähigkeit immer weiter und das wirtschaftliche Aus rückt näher, dennoch können die Unternehmen auf diesem Weg sogar vorübergehend ihre Profitabilität erhöhen und das unvermeidliche Ende weiter hinausschieben. Denn die reduzierten Investitionen senken die Betriebskosten, so dass die hohen Energiekosten bis zu einem gewissen Punkt ausgeglichen werden können. Das funktioniert so lange, bis die eingesparten Investitionskosten nicht mehr ausreichen, um die höheren Energiekosten zu kompensieren.
Jetzt geht es weiter abwärts. Denn nachdem Geschäftslage und -erwartungen der energieintensiven Branchen seit Anfang des Jahres auf eine Stabilisierung hindeuten, ist das Geschäftsklima in der chemischen Industrie – ein Frühindikator für die Industriekonjunktur – im Juni erneut in den negativen Bereich gerutscht. Das ifo-Institut führt dies darauf zurück, dass „die Nachfrage nach Chemikalien […] wieder zurückgegangen [ist] und der Auftragsbestand […] im Juni von einem ohnehin sehr niedrigen Niveau regelrecht eingebrochen [war]“. Die Unternehmen hätten „ihre Produktion verringert und planen für die nächsten Monate mit weniger Personal“.
Die in Gang gekommene Deindustrialisierung hat inzwischen auch andere Branchen erreicht, in denen die Unternehmen einem scharfen internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Denn auch für weniger energieintensive Unternehmen werden die steigenden Energiekosten zu einer sogar existenziellen Belastung, da sie einen erheblichen Anteil an der Wertschöpfung ausmachen. Während bei der energieintensiven Metallerzeugung- und -bearbeitung, in der Papierindustrie und bei chemischen Grundstoffen die Energiekosten mit einem Anteil von mehr als 20 Prozent der Wertschöpfung Spitzenwerte erreichen, liegt der Anteil zum Beispiel in der Nahrungsmittelindustrie bei etwa 10 Prozent und selbst in Automobilindustrie und Maschinenbau mit etwa 3 Prozent so hoch, dass ein hohes inländisches Preisniveau die Wettbewerbsfähigkeit erheblich beinträchtigen kann.
Das zeigt sich am Produktionsindex der nicht-energieintensiven Industrie. Denn der ist seit Frühjahr 2023, als sich die Energiepreise trotz der schwindenden Belastungen aus Coronakrise und Ukrainekrieg nicht wieder auf das Vorkrisenniveau erholten, um mittlerweile gut 10 Prozent eingebrochen und seit einigen Monaten geht es bei weiter sinkendem Auftragseingang sogar noch schneller abwärts.
Die in den letzten Jahren in Gang gekommene Deindustrialisierung erhält nun immer neue Nahrung. Denn inzwischen ist ein Teufelskreis entstanden, in dem der durch die Deindustrialisierung zügig sinkende Stromverbrauch den Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch immer schneller nach oben treibt. Und da dies zu weiter steigenden Strompreisen führt, wird die Deindustrialisierung aufs Neue angetrieben.
„Grundfalsche“ Politik
Zwar hatte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Rainer Dulger, vor einigen Monaten erklärt, dass es „jedenfalls für grundfalsch“ sei, „eine absterbende Wirtschaft als Kollateralschaden billigend in Kauf zu nehmen, um Klimaziele zu erreichen“. Dennoch ist offensichtlich, dass die meinungsführenden Kreise in Politik, Wirtschaft, Staat und Medien genau diesen Weg gehen, indem sie die Deindustrialisierung in Deutschland befürworten oder zumindest billigend in Kauf nehmen, um die Klimaziele zu erreichen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich in einer jahrzehntelangen Konsensfindung über den Atomausstieg, den Kohleausstieg, die zunächst bis 2050 und dann auf 2045 vorgezogene Klimaneutralität sowie viele andere Wegmarken auf diese ökologische Klimapolitik eingeschworen haben.
Für die erwerbstätigen Massen ist diese Klimapolitik jedoch nicht nur mit dem Verlust vieler vergleichsweise gut entlohnter Industriejobs verbunden, sondern sie führt zu ganz erheblichen Realeinkommensverlusten und dem damit verbundenen Verlust materieller Freiheiten. Denn nur diejenigen Unternehmen werden die Deindustrialisierung überleben, denen es – wie während der vergangenen Jahre – gelingt, die steigenden Energiekosten auf die Erwerbstätigen abzuwälzen. Schaffen sie das nicht, sinkt ihre Profitabilität und sie werden selbst als Opfer der Deindustrialisierung untergehen.
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.