Tichys Einblick
Hochmut vor dem Fall

Deutschland ignoriert den internationalen Steuerwettbewerb

Aktuelle Zahlen aus dem Bundesfinanzministerium zeigen, dass die meisten konkurrierenden Wirtschaftsnationen die Belastungen für Unternehmen senken. In Deutschland ignoriert man dies mit Wir-schaffen-das-Überheblichkeit.

imago Images/Ralph Peters

Die Sorge um sinkende Steuereinnahmen scheint in Deutschland nicht nur bei Politikern, sondern auch bei Journalisten meist größer als die Sorge um die sinkende Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen durch eine im internationalen Vergleich hohe Steuerbelastung – von der Belastung der Bürger ganz zu schweigen. 

So klagt die Bild-Zeitung über einen „Steuerschock“. Der Einbruch der Steuereinnahmen durch die Corona-Krise ist wenig überraschend und unvermeidlich, wenn eine Volkswirtschaft durch eine Pandemie beziehungsweise die Bekämpfungsmaßnahmen zeitweilig abgeschnürt wird. Sinkende Steuereinnahmen sind für Politiker und all jene ein Problem, die von anderer Leute Steuerzahlungen leben. Steuerzahler sollte das wenig erschüttern. Aber die deutsche Medien-Öffentlichkeit identifiziert sich seltsamerweise mehr mit dem Steuereintreiber als den Geschröpften. Als ob der Erfolg eines Landes sich an der Höhe seiner Steuereinnahmen bemesse.

Für Deutschland als Wirtschaftsstandort und damit für die mittel- und langfristige Wohlstandssicherung der Bürger ist die Nachricht von den Steuerausfällen weniger bedeutsam als der schleichende Rückfall Deutschlands im internationalen Steuerwettbewerb. Darauf hat lobenswerterweise der niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers hingewiesen.

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Das Bundesfinanzministerium beziffert die Gesamtbelastung für Unternehmen aus Körperschafts- und Gewerbesteuer auf 29,9 Prozent fürs Jahr 2019. Noch liegen Länder wie Frankreich (32,0) und Japan (31,5) leicht darüber. Aber der Schnitt aller OECD_Staaten liegt bei rund 24 Prozent – Tendenz weiter abnehmend. Gerade EU-Länder, die jetzt von dem gigantischen Corona-Hilfsfonds der EU im Gegensatz zu Deutschland profitieren werden, haben ihre Unternehmenssteuern deutlich gesenkt oder werden es in den nächsten Jahren tun. Frankreich etwa wird bis 2022 die Besteuerung auf 26,1 Prozent runterfahren, Belgien noch in diesem Jahr auf 25,0 Prozent. Die traditionell niedrig besteuernden englischsprachigen Länder verlangen ihren Unternehmen nur 12,5 Prozent (Irland) und 19 Prozent (Großbritannien, wird in diesem Jahr auf 17,0 gesenkt). 

Die Beamten im Bundesfinanzministerium haben natürlich recht, wenn sie im jüngsten „BMF-Monatsbericht“  wie um Entschuldigung bittend schreiben: „Den Steuern und Abgaben stehen in Deutschland umfangreiche öffentliche Leistungen und gut ausgebaute soziale Sicherungssysteme gegenüber. Gerade in der aktuellen Corona-Krise zeigt sich die Leistungsfähigkeit Deutschlands an einem gut ausgestatteten Gesundheitswesen, einem verlässlichen Sozialstaat und umfassenden Unterstützungsmaßnahmen für Beschäftigte, Selbstständige und Unternehmen.“

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Aber zur traurigen Wahrheit gehören vor allem die Zukunftsaussichten: Die beschäftigungsintensiven Automobil- und Zulieferbetriebe, die jetzt unter dem Druck der Corona-Krise (die eine ohnehin anstehende Krise nur stark verschärft hat) Arbeitsplätze und ganze Werke in Deutschland streichen,  werden künftig, wenn es vielleicht darum geht, wieder Werke zu eröffnen und Leute einzustellen, genau überlegen, ob sie dies ausgerechnet im Hochsteuerland Deutschland tun. Einem Land, dessen Politik und Öffentlichkeit sich offenbar seit Jahren in einer „Wir schaffen das“-Mentalität eingerichtet haben und klaglos zigmilliardenschwere neue Belastungen des Staatshaushaltes nicht nur für die eigenen Opfer der Corona-Krise, sondern auch für ihre europäischen Nachbarn und für Zuwanderer schultern. Der Hochmut der gegenwärtigen deutschen Regierungspolitik und der ihr ehrfürchtig applaudierenden Öffentlichkeit ist der traurigste Indikator für den Niedergang.

Dass in fast allen wichtigen Industrie- und Wirtschaftsländern die Wirtschaftspolitik und die Debatten darüber sich um Steuersenkungen drehen, scheint hierzulande noch nicht einmal wirklich wahrgenommen zu werden. Hilbers hat recht: „Vielfach ist der Eindruck so, als wenn der Staat alles richten kann, dass er alle vor sämtlichen Verlusten und Risiken beschirmen kann. Dieser Geist muss jetzt in die Flasche zurück.“ 

Wenn Macron seine Steuersenkungspläne umsetzt – die jüngsten Brüsseler Beschlüsse zum Corona-Fonds geben ihm dazu den finanziellen Spielraum – wird Deutschland innerhalb der EU das Land mit (fast) den höchsten Belastungen für Unternehmen sein. Nur Malta besteuert noch mehr. Aber dahin dürfte sich ohnehin kein personalintensives Unternehmen aufmachen. 

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