Tichys Einblick
Schwacher Start ins vierte Quartal

Einzelhandel: Insolvenzwelle bedroht die Branche

Der deutsche Einzelhandel erfährt aktuell einen massiven Umsatzrückgang. Hohe Betriebskosten und anhaltende Kaufzurückhaltung belasten die Händler. Eine Insolvenzlawine droht die Branche zu überrollen.

Bis Ende 2024 wird Esprit alle seine 56 Filialen in Deutschland schließen

picture alliance / Snowfield Photography | D. Kerlekin/Snowfield Photograph

Der deutsche Einzelhandel startet mit einem deutlichen Umsatzrückgang ins vierte Quartal. Wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte, sank der Umsatz im November real um 1,5 Prozent im Vergleich zum Vormonat. Bereits im Oktober musste die Branche einen preisbereinigten Umsatzrückgang von 1,5 Prozent hinnehmen. Besonders stark betroffen war der Internet- und Versandhandel, der einen Rückgang von 2,4 Prozent verzeichnete.

In Reaktion auf diese Entwicklung hat der Handelsverband Deutschland (HDE) seine Prognose für 2024 nach unten korrigiert. Statt des ursprünglich erwarteten Umsatzwachstums von 3,5 Prozent wird nun nur noch ein nominales Plus von 1,3 Prozent prognostiziert. Bereinigt um die Inflation entspricht dies einem realen Nullwachstum.

Laut dem „State of Retail“-Report, den die Unternehmensberatung McKinsey in Zusammenarbeit mit dem Einzelhandelsverband EuroCommerce veröffentlicht hat, bleibt auch der Blick in die Zukunft verhalten. Für die nächsten fünf Jahre wird im europäischen Einzelhandel ein durchschnittliches jährliches Wachstum von lediglich 0,6 Prozent erwartet. Grundlage dieses Berichts sind die Auswertung von Marktdaten und eine Befragung von 15.000 Verbrauchern aus sechs europäischen Ländern: Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien, Polen und Großbritannien.

Kaufzurückhaltung und Konkurrenz durch Online-Shopping

Besonders alarmierend ist die anhaltende Kaufzurückhaltung der Verbraucher, die zunehmend durch Unsicherheiten über die wirtschaftliche Entwicklung geprägt ist. Zwar hat sich die Inflation im Euroraum abgeschwächt: Im November lag sie mit 2,3 Prozent deutlich unter den Spitzenwerten von über 10 Prozent im Jahr 2022. Doch bedeutet dies lediglich, dass die Preissteigerungen langsamer voranschreiten – nicht, dass die Preise sinken.

Die Belastung durch hohe Lebenshaltungskosten bleibt daher für viele Haushalte auch weiterhin eine Herausforderung. Entsprechend gedämpft wird daher vermutlich auch die Konsumstimmung in nächster Zukunft bleiben. Laut einer Umfrage des Handelsverbands Deutschland (HDE) gehen 80 Prozent der Händler davon aus, dass sich das zögerliche Kaufverhalten auch in den kommenden Monaten fortsetzen wird.

Ein weiterer Faktor, der den Einzelhandel vor immense Herausforderungen stellt, ist die zunehmende Verlagerung hin zum Online-Shopping und die damit verbundene wachsende Konkurrenz. Für viele Konsumenten ist Online-Shopping nicht nur bequemer, sondern sie erwarten dort auch niedrigere Preise. Eine aktuelle Studie der ING Bank unterstreicht diesen Trend. Laut der Befragung sehen Konsumenten vor allem folgende Vorteile im Online-Shopping: 83 Prozent schätzen, dass sie online Preise besser vergleichen können, 80 Prozent empfinden die Preise allgemein als günstiger, 79 Prozent heben die Zeitersparnis hervor, und ebenfalls 79 Prozent loben die größere Auswahl, die ihnen online geboten wird.

Grüne Transformation erschüttert Einzelhandel

Belastet sind die Einzelhändler neben dem rückläufigen Kaufverhalten auch durch die hohen Betriebskosten und Mieten für Geschäftsräume. Besonders spürbar sind die stark gestiegenen Preise für Strom und Gas, die in den vergangenen Jahren eine enorme Belastung darstellten.

Die sogenannte grüne Transformation hat zusätzlich den Strompreis stark nach oben getrieben und wird auch weiterhin für Preisanstiege sorgen. Laut einer Studie von KfW Research sind bis 2045 Investitionen von rund 5 Billionen Euro notwendig, um Klimaneutralität in Deutschland zu erreichen. Das entspricht im Durchschnitt 191 Milliarden Euro pro Jahr oder 5,2 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts.

Die Probleme werden durch Ineffizienz und Wetterabhängigkeit erneuerbarer Energien verschärft. Diese Abhängigkeit führt insbesondere bei Wetterphasen mit wenig Sonnenschein oder Wind, wie etwa Hochdruckgebieten oder sogenannten Dunkelflauten, zu Preissteigerungen. Ein prägnantes Beispiel hierfür ist der 6. November 2024. An diesem Tag stiegen die Strompreise an der Leipziger Strombörse EEX aufgrund einer Dunkelflaute zeitweise auf über 800 Euro pro Megawattstunde (MWh). Gegen 7 Uhr konnten die erneuerbaren Energien lediglich 12,4 Prozent zur Netzlast beitragen, während der Großteil durch fossile Energieträger oder importierte Atomenergie gedeckt werden musste.

Steigende CO2-Bepreisung lässt Energiekosten explodieren

Auch die gestiegene CO2-Bepreisung im Europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) trägt maßgeblich zu den steigenden Strompreisen bei – ein Trend, der sich in den kommenden Jahren fortsetzen wird. Seit der Einführung im Jahr 2021, als der Preis bei 25 Euro pro Tonne lag, ist dieser kontinuierlich gestiegen: 2022 auf 30 Euro und 2024 bereits auf 45 Euro. Prognosen von Agora Energiewende gehen davon aus, dass der Preis bis 2030 auf 200 Euro oder mehr ansteigen könnte. Diese Entwicklung belastet sowohl Verbraucher als auch Unternehmen, die auf fossile Energien angewiesen sind.

Doch warum führt eine steigende CO2-Bepreisung unmittelbar zu höheren Kosten für Endverbraucher und Wirtschaft? Die Erklärung liegt in der Funktionsweise des EU-ETS: Kraftwerksbetreiber müssen CO2-Zertifikate für die Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern erwerben. Diese zusätzlichen Betriebskosten geben sie in der Regel direkt an die Verbraucher weiter.

Ein weiterer Preistreiber ist die systematische Verknappung der CO2-Zertifikate durch die EU. Jährlich wird die Anzahl der verfügbaren Zertifikate reduziert, was den Preis auf dem freien Markt kontinuierlich ansteigen lässt. Zudem plant die EU, künftig einen Großteil der Zertifikate nur noch über Auktionen zu vergeben. Dies wird den Wettbewerb um die ohnehin knappen Zertifikate weiter verschärfen und die Preise zusätzlich in die Höhe treiben.

Das Ziel der EU ist klar: eine drastische, ja fast schon erzwungene Reduktion der CO2-Emissionen, auf Kosten der Bürger und Unternehmen. Gleiches sieht man angesichts des Verbrenner-Verbots.

Steigende Gaspreise belasten Händler

Auch die in den letzten Jahren stark gestiegenen Gaspreise stellen eine erhebliche Belastung für Einzelhändler dar. Dieser Anstieg ist maßgeblich auf den Wegfall der russischen Gaslieferungen zurückzuführen.

Im Zuge des Ukraine-Konflikts hat die Bundesregierung entschieden, russisches Gas im Rahmen von Sanktionen zu boykottieren. Doch diese Maßnahmen scheinen weniger Russland zu treffen als die eigene nationale Wirtschaft. Brisant ist, dass Deutschland jedoch teilweise weiterhin russisches Gas über Drittländer bezieht, vor allem über Länder wie Belgien, Spanien und Frankreich, die noch langfristige Verträge mit Russland haben. Die Sanktionen wirken daher nicht nur ineffektiv, sondern schaden vor allem Deutschland.

Die Kombination aus Konsumzurückhaltung, stark gestiegenen Energiepreisen und weiteren Herausforderungen des deutschen Standorts – wie überbordende Bürokratie und hohe Steuerlast – gefährdet den Einzelhandel. Eine drohende Insolvenzwelle zeichnet sich ab, die den Sektor erschüttern könnte.

Handelsriesen in der Krise: Schließungen und Insolvenzen als Folge

In diesem Jahr hat die Insolvenz mehrerer bekannter Handelsketten den deutschen Einzelhandel hart getroffen. Unternehmen wie Kodi und Esprit kämpfen mit gravierenden Problemen, die ihre Zukunft bedrohen. Der einst beliebte Deko-Händler Depot steht vor drastischen Einschnitten. Bis Ende des Jahres werden mindestens 27 Filialen in Deutschland geschlossen, wie Geschäftsführer Christian Gries bekannt gab. Bereits 17 Standorte haben ihre Türen für immer geschlossen, was das Filialnetz erheblich dezimiert.

Auch der Videospiele-Händler GameStop setzt seine Rückzugsstrategie fort. Nach einer Reihe früherer Schließungen sollen nun alle verbliebenen rund 70 Filialen dichtmachen, wie Insider gegenüber Focus Online bestätigten.

Kodi, der Non-Food-Discounter, hat beim Amtsgericht Duisburg ein Schutzschirmverfahren beantragt, um sich vor der drohenden Insolvenz zu schützen. Verantwortlich seien laut Unternehmensführung vor allem Umsatzeinbußen durch die Kaufzurückhaltung der Verbraucher und die steigenden Energiekosten.

Auch der Bio-Händler Tegut bleibt von der Krise nicht verschont. Der Schweizer Mutterkonzern Migros gab bekannt, dass angesichts enttäuschender Ergebnisse Filialschließungen unausweichlich seien. Für etwa zehn Prozent der Standorte wird zudem aktiv nach neuen Eigentümern gesucht.

Am härtesten trifft es jedoch den Modekonzern Esprit. Bis Ende 2024 wird das Unternehmen alle seine 56 Filialen in Deutschland schließen. Diese Maßnahme führt zum Verlust von rund 1.300 Arbeitsplätzen.

Eine Studie von Allianz Trade zeigt, dass dies vermutlich nur die Spitze des Eisbergs und somit erst der Beginn einer noch größeren Welle von Schließungen und Arbeitsplatzverlusten im Einzelhandel sein könnte. Der Kreditversicherer prognostiziert für 2024 einen Anstieg der Firmeninsolvenzen um 21 Prozent. Das entspricht deutschlandweit etwa 21.500 Insolvenzen. Besonders betroffen sind laut der Untersuchung Branchen wie das Baugewerbe und der Einzelhandel. Alarmierend ist zudem die steigende Zahl an Großinsolvenzen: Im ersten Halbjahr 2024 meldeten bereits 40 Unternehmen mit einem Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro Insolvenz an – der höchste Wert seit 2015.

Wie schafft es der Einzelhandel aus der Krise?

Die zentrale Frage lautet, wie der Einzelhandel aus der Krise geführt werden kann und welche Maßnahmen notwendig sind, um die drohende Insolvenzwelle zu stoppen. Ein entscheidender Schritt ist die Senkung der Energiekosten, die aktuell einen der größten Belastungsfaktoren für Unternehmen darstellen. Ohne bezahlbare Energiepreise wird es kaum gelingen, die Wettbewerbsfähigkeit des Handels zu sichern.

Ebenso erforderlich ist ein umfassender Bürokratieabbau. Viele Unternehmen klagen über die komplexen und zeitaufwendigen Verwaltungsprozesse, die nicht nur Ressourcen binden, sondern auch Innovationen hemmen. Hier muss die Politik ansetzen: Verwaltungsprozesse sollten durch konsequente Digitalisierung vereinfacht und unnötige Vorschriften abgeschafft werden. Effiziente Genehmigungsverfahren und weniger Papierkram können dazu beitragen, Unternehmen spürbar zu entlasten.

Darüber hinaus können zinsgünstige Kredite und gezielte staatliche Förderprogramme insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu unterstützen. Diese Betriebe, die das Rückgrat des Einzelhandels bilden, benötigen finanzielle Hilfen, um die aktuelle Durststrecke zu überstehen.

Schließlich ist ein wettbewerbsfähiges Steuersystem von Bedeutung. Steuererhöhungen sollten um jeden Preis vermieden werden. Stattdessen gilt es, steuerliche Anreize zu schaffen, die Investitionen und Unternehmenswachstum fördern. Dies könnte durch eine Senkung der Unternehmenssteuerbelastung oder durch gezielte Steuererleichterungen für Innovationsprojekte geschehen.

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