Tichys Einblick
Liegt Detroit am Rhein und an der Isar?

Deutsche Bank Studie: Politik gefährdet den Auto-Standort Deutschland

Eine Studie der Deutschen Bank vergleicht die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland mit dem Niedergang Detroits. Zutreffend? Nicht wirklich. Aber ein guter Anlass, über Stärken und Schwächen des Automobilstandorts nachzudenken. Und über die fatale Rolle der deutschen Wirtschaftspolitik.

Aufgegebene Fabrikhalle in Detroit

„Kalkutta liegt am Ganges, Paris liegt an der Seine“, das wissen zumindest die Älteren unter uns aus Bill Ramseys Schlager. Aber wie ist das mit Detroit? Liegt Detroit am Rhein, Main, Neckar, Donau oder Isar? Für die Analysten der Deutschen Bank offenbar schon. Zumindest in automobilwirtschaftlicher Hinsicht. Denn dem Automobilstandort Deutschland – und damit unausgesprochen auch der deutschen Autoindustrie – drohe womöglich der gleiche Niedergang wie der ehemaligen amerikanischen Automobilmetropole Detroit im US-Bundesstaat Michigan am Eriesee, der „Mutter aller Straßenkreuzer“.

Diesen Vergleich zieht jedenfalls eine Studie der Deutschen Bank über den Automobilstandort Deutschland in Anlehnung an den Niedergang der einst großen Autostadt im „Rust Belt“ Amerikas. Seinen Wohlstand verdankte Detroit über Jahrzehnte fast ausschließlich der Autoindustrie, seit Henry Ford 1903 dort sein erstes Automobilwerk gründete und 1908 die Fließbandfertigung einführte. Als die US-Autoindustrie, der permanenten Arbeitskämpfe überdrüssig, ab den 70er Jahren abzuwandern begann, kam es zum Dominoeffekt. Nicht nur die Autowerke, auch andere Fabriken schlossen ihre Tore, unzählige Menschen verloren ihre Jobs. Binnen 60 Jahren schrumpfte die Bevölkerung Detroits von rund 1,8 Millionen Einwohnern im Jahr 1950 auf unter 700.000.

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Der Titel der DB Research-Studie lautet: Zukunft des Automobilstandorts Deutschland: Detroit lässt grüßen.“ Punkt. Das ist eindeutig, lässt vordergründig wenig Zweifel und verheißt nichts Gutes. Lässt aber auch Raum für Korrekturen. Und die sind absolut notwendig. Denn hier werden – genau genommen – Äpfel mit Birnen verglichen (= Kompott). Der Vergleich von „Motor City“ Detroit mit dem Automobilstandort Deutschland hinkt gewaltig, und zwar aus zwei Gründen:

Auch darauf weisen die DB-Analysten mit Vehemenz hin, wenn auch „hintergründig“. Ihnen ist so mit Bravour der Spagat gelungen, trotz berechtigter Standortkritik quasi nebenbei vor allem die Stärken der deutschen Automobilindustrie darzulegen – und damit viele öffentliche Vorurteile gegenüber der deutschen Autoindustrie zu widerlegen. So soll die Studie kein „Abgesang auf die deutsche Automobilindustrie..“ sein, wie er…“von manchen Marktbeobachtern schon seit vielen Jahrzehnten angestimmt..“ wird (O-Ton DB-Studie)  

Das ändert nichts an der Kritik am „Kompott-Vergleich“. Warum eignen sich weder Automobilstandort USA noch Deutschland und deutsche Autoindustrie zum Vergleich mit dem Niedergang Detroits? Die Antwort ist einfach: Weil der Niedergang Detroits ein epochales aber singuläres US-Ereignis ist, das

  1. mit der Qualität des Automobilstandorts USA als Ganzes nichts zu tun hat,
  2. ganz spezifische Ursachen hat, die in der amerikanischen Autoindustrie selbst verwurzelt sind, nicht am Automobilstandort USA generell,
  3. mitnichten als Maßstab für den Automobil- wie Industriestandort Deutschland herangezogen werden darf. 

Die Konzentration der amerikanischen Automobilindustrie in Detroit hatte historische Wurzeln und geht auf Henry Ford und die Ansiedlung seiner Fabriken im Bundesstaat Michigan zu Beginn des letzten Jahrhunderts zurück. Später schlossen sich General Motors und Chrysler sowie eine Fülle von Zulieferern an. Was Chicago für die Schlachthöfe, wurde Detroit für die US-Automobilindustrie. – Lange ist es her!

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Permanente Arbeitskämpfe mit der 1935 gründeten militanten Automobilgewerkschaft (UAW) sowie in den 90er Jahren zunehmend drückender werdende Pensions-Altlasten führten zum schleichenden Rückzug aller „Big Three“ aus Detroit und dem Norden der USA und Verlagerung der Automobilproduktion in die südlicheren Bundesstaaten bis nach Mexiko. Hier gab es kaum oder wesentlich konziliantere Gewerkschaften. Von daher wundert es nicht, dass alle ausländischen Automobil-Investoren wie Toyota, Hyundai, VW, BMW, Daimler etc. zuletzt auch US-Elektroautobauer Tesla, ohne Zögern diesem Beispiel folgten. Der Süden der USA war fast gewerkschaftsfrei. – Wobei man der Wahrheit zuliebe hinzufügen muss, dass die amerikanische Automobilgewerkschaft mit einer deutschen Metall-Gewerkschaft so viel gemeinsam hat, wie ein US-Football-Team mit einer deutschen E-Jugend-Mannschaft. 

Mit einer generellen Verschlechterung der USA-Standortqualität hat das nichts zu tun, sondern nur mit den schlechteren Produktionsbedingungen in Michigan und Detroit. Heute wie vor dreißig Jahren werden in den USA rund 12 Millionen Automobile (Pkw, Lkw, Busse) gebaut – aber nur nicht mehr in Massenproduktion in und um Detroit, sondern im sonnigen Süden der USA oder Mexiko. Und eben nicht mehr von den Big Three – GM, Ford, Chrysler – sondern von ausländischen Herstellern aus Japan, Deutschland und Südkorea.

Und die Produktion von amerikanischen Pkw, die das klassische Standbein von Detroit war, ging von rund 6,5 Millionen 1970 auf weniger als 3 Millionen 2020 zurück. Im Gegenzug stieg die Produktion der margenträchtigen „light Vehicles“, die von den US-Herstellern im „sun belt“ im Süden der USA und nicht mehr im „rust belt“ im Norden hochgezogen wurde, von 1,7 Millionen 1970 auf fast 8 Millionen 2020. Trotzdem ging der Gesamtmarktanteil der Big Three von fast 80 Prozent in den 70ern auf weniger als die Hälfte 2020 zurück. Und Chrysler wurde von Fiat übernommen, und nun mit Peugeot zum Stellantis-Konzern vereinigt – Hauptsitz Amsterdam.

Alles zu Lasten von Detroit! Und alles zugunsten des Südens, wo auch die früheren Pkw-Importeure aus Europa und Asien ihre Fabriken bauten, mit reger asiatischer und deutscher Beteiligung. Allein Toyota betreibt in den USA fünf Werke – Die größten Autoexporteure der USA heißen heute BMW und Daimler mit ihren SUVs –und die sitzen in South Carolina und Alabama – nicht in Detroit.

Hinter dieser Strukturverschiebung verbirgt sich,  dass die „Big Three“ nicht nur die Produktion aus Detroit verlagert haben, sondern gleichzeitig auch erheblich geschrumpft sind. Ursächlich dafür war

Ein vergleichbarer regionaler wie struktureller Strukturbruch hat sich in der deutschen Autoindustrie in den letzten 70 Jahren nicht abgespielt, weder geographisch an einem bestimmten Ort, wie Wolfsburg, Sindelfingen, Ingolstadt oder München/Dingolfing, noch strukturell. Im Gegenteil: Die deutschen Hersteller und ihre Zulieferer haben Wachstum und regionalen Strukturwandel in Deutschland als Ganzes wie auch in der Weltautomobilindustrie nach dem Kriege entscheidend mitgeprägt – so Opel in Bochum oder in Eisennach, VW in Zwickau und BMW und Porsche in Leipzig! Dabei haben die Hersteller, teils auch aus „vaterländischer Gesinnung“, stets Wertschöpfung zugebaut, nie verlagert! Strukturwandel in der deutschen Automobilindustrie ja, Strukturbruch nein!

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Wehklagen über die Zukunft der deutschen Autoindustrie ist fehl am Platz. Die Branche ist in Summe national wie international voll wettbewerbsfähig und baut heute global rund 16 Millionen Automobile, davon allerdings Jahr für Jahr nur 5 Millionen am Standort Deutschland, den Rest in ausländischen Fabriken, vor allem in China und den USA. Jedes fünfte neu zugelassene Automobil auf der Welt trug 2020 ein deutsches Markenzeichen, soviel wie nie zuvor in der deutschen Automobilgeschichte – sieht man einmal von den Gründerjahren um 1900 ab. Dieses Wachstum wurde im Ausland oder in den Neuen Bundesländern „zu-gebaut“, in „Alt-Deutschland“ nicht „ab-gebaut“ oder verlagert – völlig anders als in Detroit.

Dass Detroit nicht mit Deutschland als Autostandort verglichen werden kann, ist den Analysten der DB natürlich nicht verborgen geblieben, im Gegenteil, sie weisen explizit und sehr fundiert auf die Stärken der deutschen Autohersteller und damit indirekt auch des Standorts hin. Und bringen auf diese Weise ganz nebenbei faktisch den „Buhmann Detroit“ als Blaupause für das Schicksal des Autostandorts Deutschland analytisch sauber „zur Strecke“. 

Explizit führt die DB-Studie folgende hausgemachte Stärken der deutschen Autoindustrie auf – wegen der präzisen und klaren Formulierungen teilweise hier wörtlich wiedergegeben:

Im Ergebnis kommen die DB-Analysten zu dem Urteil, dass die deutsche Automobilindustrie besser für die elektronische Zukunft und andere strukturelle Herausforderungen gerüstet sei als der Automobilstandort Deutschland.

Die Politik gefährdet den Standort

Ein schwacher Trost. Denn eine Schlüsselbranche wie die arbeitsteilige Autoindustrie kann auf Dauer nur so zukunftsfest sein, wie der Standort, an dem sie angesiedelt ist. Kurz: Stärken des Automobilstandorts Deutschland sind eine notwendige – aber keine hinreichende – Bedingung für die Stärke der deutschen Automobilindustrie, das eine ist ohne das andere à la longue nicht denkbar. Ohne starken Standort wird auch die Autoindustrie schwach!

Und der Automobilstandort Deutschland ist bedroht, da haben die Autoren der DB Studie völlig recht. Aber das hat nicht wie in Detroit die Branche selber zu verantworten, sondern in Deutschland die europäische wie nationale Umwelt- und Verkehrspolitik, vor allem partikuläre ideologische Interessen in verantwortlichen Ministerien.

Grundsätzlich muss man zwei Standort-Gefährdungstatbestände unterscheiden:

Nicht unerwähnt bleiben sollen aber auch die übrigen negativen wirtschaftspolitischen Standortfaktoren für die Autoindustrie in Deutschland. Als da sind: 

Die Studie der Deutschen Bank stellt zu Recht vor allem auf die externen, regulatorischen und damit quasi politischen Gefährdungstatbestände der Zukunft des Automobilstandort Deutschland ab. Existenziell sind die regulatorischen Gefahren von außen aus Brüssel und Berlin, die alle einen umweltpolitischen Hintergrund haben. Die über die CO2-Gesetzgebung erzwungene strukturelle Herausforderung einer staatlich forcierten, nicht marktgetriebenen Wende zur Elektromobilität könnten nach Ansicht der DB Analysten eine Abwärtsspirale in Gang setzen, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. 

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In Ergänzung zur DB-Analyse sei hier auf eine soziale Komponente hingewiesen, die bislang der Öffentlichkeit verborgen blieb. Bereits die jetzigen Emissionsgesetze führen dazu, dass in den unteren Fahrzeugklassen, die überwiegend von einkommensschwächeren Schichten gefahren werden, das Angebot vom Markt verschwindet. Nach Daimler mit Smart, VW mit Up und Polo hat jetzt auch Ford die Einstellung des Fiesta-Verbrenners ab 2024 angekündigt. Andere Hersteller wie Fiat und Dacia werden folgen. Neuwagen der unteren Klasse werden nur noch als Elektroautos konzipiert. Dies trifft mangels preislich erschwinglicher und vor allem gleich reichweitenstarker Alternativen gerade die unteren Bevölkerungsschichten hart – es sei denn, die Politik will dauerhaft die Anschaffung von E-Autos hoch subventionieren. 

Im Ergebnis kommt die DB-Studie zu dem Ergebnis, dass die deutsche Autoindustrie sowohl für die elektromobile Zukunft und andere strukturelle Herausforderungen der Branche besser gerüstet ist als der Automobilstandort Deutschland. Dem muss allerdings widersprochen werden: 

Das gilt aber nur eingeschränkt bis 2025, spätestens ab 2030 steht die Existenz der Branche auf dem Spiel, weil dann die fossilen Verbrennermotoren aus Umweltgründen final ersetzt werden müssen und damit faktisch verboten sind.  Elektroautos können diesen Ausfall nach Expertenschätzungen selbst aus Herstellerkreisen nur bis maximal 20 Prozent auffangen, mehr nicht. Ersatz von fossilem Treibstoff einseitig durch den Elektromotor ist nicht möglich, wohl aber durch synthetische E-Fuels auf Bio-oder CO2- Basis, in jedem Fall aber klimaneutral. E-Fuels sind CO2-neutral und erlauben jedermann – auch in Taiga und Tundra – einen umweltfreundlichen Weiterbetrieb seines „alten“ Verbrennerautos, Auf diese Weise können nicht nur Neuwagen sondern vor allem auch dem Altbestand von 1,6 Milliarden Pkws ohne zusätzliche Klimabeeinträchtigung gefahren werden. 

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