Tichys Einblick
Automobil-Report Deutschland Nr. 12/2021

Deutsche Auto-Industrie fährt in die Rezession 

Aus der Wachstumsdelle der Autoindustrie wird eine echte Krise. Die fortschreitende Verunsicherung am Automarkt in der gesamten Breite und Tiefe ist daran erkennbar, dass auch der Gebrauchtwagenmarkt gegen Jahresende 2021 auf einen historischen Tiefstand schrumpfte. 

IMAGO / Future Image

Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass aus der zunächst nur vorrübergehend angesehen Wachstumsdelle bei Produktion und Absatz aufgrund des anhaltenden Versorgungskrise bei Speicherchips peu à peu eine echte krisenhafte Entwicklung werden könnte. Zwar lag die Nachfrage nach Neuwagen im November weiter und wieder deutlich höher als vor einem Jahr. Maßgebend dafür waren neben Basiseffekten sicherlich auch vorgezogene Bestellungen aus Angst der Käufer vor dem Kappen der Kaufprämien für E-Autos durch die neue Bundesregierung. Für die Zahlung der Prämie ist das Bestelldatum ausschlaggebend, nicht die Auslieferung. 

Unverändert belastet ist der Markt  durch die immer wieder aufs Neue anrollenden Corona–Pandemiewellen sowie durch die Unsicherheit in der Wahl der Antriebstechnik –Verbrenner oder Elektro – beim Kauf eines neuen Fahrzeugs. 

Eine fortschreitende Verunsicherung am Automarkt in der gesamten Breite und Tiefe ist die Folge, deutlich daran erkennbar, dass auch der Gebrauchtwagenmarkt gegen Jahresende 2021 auf einen historischen Tiefstand schrumpfte. 

Unverkennbar: Die Nervosität im Markt wie bei der Branche selber wächst! Hinzu kommt, dass die wichtigsten beiden Leuchttürme der deutschen Automobilindustrie zudem dabei sind, sich selber zu zerlegen: 

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Lediglich BMW ist weiter auf Kurs und erscheint nicht in den Schlagzeilen, sieht man davon ab, dass der langjährige Betriebsratsvorsitzende Manfred Schoch  (seit 1987) in branchenunüblicher Art die Gedankenspiele des VW – Chefs Herbert Diess über den möglichen Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen als Miss-Management herb kritisiert („Note 6“). 

Auf Wunsch der Leser der Reports nachfolgend einige ausgewählte Schlagzeilen, die die Gemütslage der Branche und die Dramatik der Geschäftslage widerspiegeln (Quelle: Automobilwoche):

Clepa fürchtet Verlust von 500.000 Jobs bei Zulieferern (Clepa= Europäischer Zulieferer-Verband)

Wegen der Bedeutung von Volkswagen für die gesamte deutsche Wirtschaft als Ergänzung zur letzten Meldung die FAZ im Wortlaut:

„Nach langem Streit um Konzernchef Diess …. darf (er) wohl bleiben, gibt aber Verantwortung ab. Es geht um einen der wichtigsten Märkte…, wer in Zukunft das Chinageschäft verantwortet.

(Denn)… das Land ist für VW extrem wichtig, aber seit einigen Monaten kämpft der Konzern dort mit Schwierigkeiten. Die Chipkrise und andere Einschläge haben dafür gesorgt, dass der Absatz aller in China aktiven Konzernmarken bis Ende Oktober um mehr als 8 Prozent auf 2,8 Millionen Fahrzeuge gefallen ist. Für besonders viel Aufsehen hatte gesorgt, dass auch der Verkauf neuer Elektromodelle schwächer anlief als zunächst erhofft und im laufenden Jahr die ursprünglichen Verkaufsziele der Kernmarke VW verfehlt werden. Diese Schwierigkeiten lastet der Betriebsrat Konzernchef Diess persönlich an, der im Vorstand für die Steuerung des Chinageschäfts zuständig ist. Nun will VW die Verantwortlichkeit neu ordnen, ….Im Sommer (2022)…soll Brandstätter die Führung des Chinageschäfts von Konzernchef Diess übernehmen. Die Führung der Marke VW wird er dann an einen Nachfolger abgeben. Wenn es so kommt, wird das Chinageschäft im VW-Konzern in der neuen Konstellation wieder mit einem eigenen Vorstandsressort bearbeitet.“

Markt- und Branchensituation zum Jahresende 2021 

Der deutsche Automarkt stand im November 2021 im Zeichen eines regelrechten Einbruchs. Positive Marktdaten (Quellen: VDA, KBA, Automobilwoche) lieferten nur das strukturell wachsende Segment der reinen Elektroautos (BEV), unter denen Tesla besonders herausragte. Alle übrigen Antriebsformen, vor allem Dieselfahrzeuge, verloren weiter erheblich an Boden.

Bei den Neuzulassungen führten fehlende Halbleiter im November 2021 abermals zu einem Negativrekord, nämlich zum niedrigsten Zulassungsergebnis in diesem Monat seit der Wiedervereinigung. Neu zugelassen wurden 198.258 Pkw, minus 31,7 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Nach elf Monaten beträgt der Vorjahresabstand –  8,1 Prozent. Verglichen mit den mittleren Neuzulassungen der ersten elf Monate in den Jahren 2015 bis 2019 ergibt das ein Minus von fast 25 Prozent.Der Grund für diese äußerst schwache Entwicklung liegt – wie bereits in den Vormonaten – in der mangelnden Verfügbarkeit vieler Modelle aufgrund fehlender Halbleiter. An Nachfrage mangels es jedenfalls aktuell nicht.

Ausblick

Zusätzlich zu der Chipkrise werden gerade neue Lockdown-Beschränkungen im Zuge der Pandemiebekämpfung eingeführt. Inwieweit sich dies auf die Kaufbereitschaft von Neuwagenkäufern auswirken wird, hängt natürlich auch vom kurzfristigen Erfolg der Maßnahmen ab. Zurzeit können noch stärkere Beschränkungen und damit verbundene negativen Effekte auf das Nachfrageverhalten nicht ausgeschlossen werden. In Prognosen können diese Faktoren nur qualitativ einfließen.

Psychologische Hemmschwellen bleiben, zumal die neue „grüne“ Verkehrspolitik mit der erstmaligen Billigung auch von synthetischen Treibstoffen für die herkömmlichen Verbrenner Kaufentscheidungen für die privaten Käufer nicht leichter macht.

Sicher ist nur, dass aufgrund der aktuellen Halbleiterproblematik die Produktionsausfälle bis ins kommenden Jahr hinein andauern. Für das Gesamtjahr 2021 erwartet die Automobilwoche 2,59 Millionen Neuzulassungen, ein Minus von 11,2 Prozent gegenüber vergangenem Jahr; das mittlere Ergebnis der Jahre 2015 bis 2019 würde damit um fast 25 Prozent verfehlt. Es wäre das niedrigste Zulassungsvolumen seit der Wiedervereinigung.

Obwohl bis November waren bereits 2.394.500 Neuzulassungen registriert sind, erscheint diese Prognose etwas zu optimistisch, da der sonst übliche Lager-Kehraus bei Herstellern und Handel am Jahresende mangels Masse ausbleiben dürfte. Aus IWK Sicht sind 2,5 Millionen Jahresergebnis schon ambitioniert.

Für das kommende Jahr bleibt die Unsicherheit, wie lange die Halbleiterproblematik andauert und wann wieder auf Normalniveau produziert werden kann. Darüber hinaus müssten zusätzliche Kapazitäten von Halbleiter zur Verfügung stehen, um den hohen Auftragsbestand abzubauen. 

Da die Entwicklung auf dem Halbleitermarkt im Moment noch unbekannt ist, geht die Automobilwoche für 2022 zurzeit von folgendem Szenario aus: Die zur Verfügung stehenden Halbleiterkapazitäten werden sich insoweit erholen, dass die monatlichen Neuzulassungen Ende 2022 wieder das Niveau von Ende 2019 erreichen können. Daraus würde sich für das Gesamtjahr 2022 ein Neuzulassungsergebnis von drei Millionen Pkw ergeben. Dies wäre ein Plus von fast 16 Prozent gegenüber diesem Jahr, aber immer noch 13 Prozent weniger als im Mittel der Jahre 2015 bis 2019.

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