Tichys Einblick
Koalitionsvertrag der Ampel

Der Verbrenner darf überleben – Die Autoindustrie kommt mit einem grünen Auge davon

Der Koalitionsvertrag bekräftigt zwar die absolute Abkehr vom Einsatz fossiler Treibstoffe in Autos. Gleichzeitig wurde jedoch beim Erreichen der Klimaziele im Verkehr erstmals offiziell Technologieoffenheit einbezogen. Damit ist der Weg für Wasserstoff und synthetische Treibstoffe frei! 

Mobile Wasserstoff-Tankstelle vor dem Bayerischen Wirtschaftsministerium im Rahmen der IAA mobility am 08.09.2021 in München

IMAGO / Sven Simon

Vor der Veröffentlichung des Ampel-Koalitionsvertrages befürchtete die Autoindustrie, dass die einseitige ideologische Fixierung der alten Regierung in der Umwelt- und Mobilitätspolitik sich noch weiter zuspitzen würde: Zu befürchten war also von einer Ampel-Regierung die totale Verbannung des Verbrennerautos und eine ausschließliche Konzentration auf rein batteriebetriebene Elektroautos mitsamt dem betreffenden Ausbau einer elektrischen Ladeinfrastruktur.

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Diese Sorge erweist sich jetzt nach dem Inhalt des Koalitionsvertrags als unbegründet. Im Gegenteil: Die absolute Abkehr vom Einsatz fossiler Treibstoffe in den Verbrennermotoren wurde zwar bekräftigt. Gleichzeitig wurde jedoch beim Erreichen der Klimaziele im Verkehr erstmals offiziell Technologieoffenheit einbezogen: Eine klimaneutrale Verbrennung in Verbrennungsmotoren wird als gleichwertig bewertet zur Elektromobilität. Damit ist der Weg für Wasserstoff und synthetische Treibstoffe frei!  Die neue Koalition verschont also das Herzstück der deutschen Automobilindustrie und gibt dem Verbrennermotor letztlich sogar eine Überlebensgarantie.

Die wesentlichen Aussagen im Koalitionsvertrag in Bezug auf die Automobilindustrie beinhalten Folgendes (wörtlich zitiert, Hervorhebung durch den Autor):

„Wir wollen die 2020er Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen (S. 48)…  Die erforderlichen Entscheidungen zur Erreichung unserer Klimaschutzziele für 2030 und 2045 mit dem Ziel der Dekarbonisierung des Mobilitätsbereiches werden wir treffen und die praktische Umsetzung deutlich beschleunigen. 

Mobilität ist für uns ein zentraler Baustein der Daseinsvorsorge, Voraussetzung für gleichwertige Lebensverhältnisse und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Logistikstandorts Deutschland mit zukunftsfesten Arbeitsplätzen. Dafür werden wir Infrastruktur ausbauen und modernisieren sowie Rahmenbedingungen für vielfältige Mobilitätsangebote in Stadt und Land weiterentwickeln.“ 

Wir unterstützen die Transformation des Automobilsektors, um die Klimaziele im Verkehrsbereich zu erreichen, Arbeitsplätze sowie Wertschöpfung hierzulande zu erhalten. Wir machen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität, zum Innovationsstandort für autonomes Fahren und beschleunigen massiv den Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur. Unser Ziel sind mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw bis 2030. Für die Wertschöpfung dieser deutschen Schlüsselindustrie ist die regionale Transformation der KMU ebenso von zentraler Bedeutung. Wir werden daher den Wandel in den Automobilregionen hin zu Elektromobilität durch gezielte Clusterförderung unterstützen. 

Die Fortführung und Weiterentwicklung der Europäischen Batterieprojekte (IPCEI) sowie die Ansiedelung weiterer Zellproduktionsstandorte einschließlich Recycling in Deutschland sind von zentraler Bedeutung. Dazu ist die Stärkung der Forschung an neuen nachhaltigen Batterie-Generationen entscheidend.“

„Wir werden den Transformationsprozess der deutschen Automobilindustrie vor dem Hintergrund von Digitalisierung und Dekarbonisierung unterstützen. Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen werden wir darauf ausrichten, dass Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität mit mindestens15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030 ist. 

Gemäß den Vorschlägen der Europäischen Kommission werden im Verkehrsbereich in Europa 2035 nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen – entsprechend früher wirkt sich dies in Deutschland aus. Außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte setzen wir uns dafür ein, dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.  

Wir setzen uns für die Verabschiedung einer ambitionierten und umsetzbaren Schadstoffnorm EURO 7 ein und werden dabei Wertschöpfung und Arbeitsplätze berücksichtigen. 

Der Ausbau der Ladeinfrastruktur muss dem Bedarf vorausgehen. Wir werden deshalb den vorauslaufenden Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur mit dem Ziel von einer Million öffentlich und diskriminierungsfrei zugänglichen Ladepunkten bis 2030 mit Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur ressortübergreifend beschleunigen, auf Effizienz überprüfen und entbürokratisieren. Wir setzen auf die Mobilisierung privater Investitionen. Wo wettbewerbliche Lösungen nicht greifen, werden wir mit Versorgungsauflagen, wo baulich möglich, die verlässliche Erreichbarkeit von Ladepunkten herstellen. Wir werden die Förderung für den Ausbau der Ladeinfrastruktur effektiver und effizienter ausgestalten. Wir werden Hemmnisse in Genehmigungsprozessen, bei der Netzinfrastruktur und den Netzanschlussbedingungen abbauen und die Kommunen bei einer vorausschauenden Planung der Ladeinfrastruktur unterstützen. Wir werden bidirektionales Laden ermöglichen, wir sorgen für transparente Strompreise und einen öffentlich einsehbaren Belegungsstatus. Wir werden den Aufbau eines flächendeckenden Netzes an Schnellade-Hubs beschleunigen und die Anzahl der ausgeschriebenen Hubs erhöhen. Wir werden den Masterplan Ladeinfrastruktur zügig überarbeiten und darin notwendige Maßnahmen aus den Bereichen Bau, Energie und Verkehr bündeln sowie einen Schwerpunkt auf kommunale Vernetzung der Lösungen legen. Wir setzen uns für ambitionierte Ausbauziele auf europäischer Ebene ein.

Wir setzen uns für eine Weiterentwicklung der CO2-Flottengrenzwerte für Nutzfahrzeuge ein und unterstützen die Vorschläge der Europäischen Kommission für den Aufbau von Tank- und Ladeinfrastruktur für Lkw.“

Soweit die Umgestaltung- und Ausbaupläne der kommenden Bundesregierung bezüglich Mobilitätspolitik und Automobilindustrie.

Dazu im einzelnen folgende Bewertung aus (makro-)ökonomischer wie Automobilindustrie spezifischer Sicht:

  1. Innerhalb des Verkehr Sektors erhalten Schiene, Rad und ÖPNV Vorrang vor der Straße (Ausnahme: Brückenerneuerung).
  1. Dekarbonisierung des Verkehr Sektors sowie massiver Um- und Ausbau der Elektromobilität generell, vor allem aber des Autoverkehrs und der Pkw- und Lkw-Flotten bleiben oberstes Ziel der neuen Regierung. Alle Anstrengungen dazu werden dazu in allen Ausprägungen (Ausbau Lade-Infrastruktur, Mobilisierung privater Investitionen, Leitungsnetzausbau, Bereitstellung grüner Energie etc.) verstärkt, Masterpläne neu gefasst. 
  1. Höchste Priorität der Ampelkoalitionäre beim Autoverkehr haben weiterhin Elektroautos auf Batteriebasis.

Das angestrebte Ziel von 15 Millionen Voll-Elektroautos in Deutschland bis zum Jahre 2035 ist allerdings mehr als ambitioniert. Das bedeutet, 

  1. Absolut neu und quasi revolutionär im Programm der neuen Bundesregierung ist die Aussage, dass in Zukunft auch Verbrennerautos weiter oder neu betrieben werden dürfen, wenn ihre Betankung ausschließlich mit e-Fuels sichergestellt ist. Damit erhält der Verbrennermotor eine Überlebensgarantie, bleibt das Herzstück der deutschen Automobilindustrie erhalten. Verstärkte wird das Ganze noch durch den Hinweis auf eine Weiterentwicklung der Euro-7-Emissionsgrenzwerte.  

Das ist der Durchbruch für Wasserstoff und synthetische Treibstoffe auch in der Automobiltechnik – zumindest politisch. 

Branchenreport Nr. 06: E-Automarkt
Die Elektromobilität ist auf dem Vormarsch – der Gesamtmarkt stagniert
Um es noch einmal zu betonen: Das vorgelegte Zukunftsprogramm der Ampler für die Dekarbonisierung des Verkehrsektors ist sehr ambitioniert, und wird sich so in Gänze aus physikalischen Gründen nicht voll durchsetzen lassen. Aber es verrät eine kluge Kombination von durchgängig und kräftiger grüner Tinte mit einem klaren Menschenverstand und der Beschränkung auf das Machbare, nicht auf ideologische Wünsche. 

Die deutsche Autoindustrie kann also aufatmen. Sie wird nicht vor unerfüllbare Aufgaben gestellt. Im Gegenteil: Sie darf sich in ihrem bisher eingeschlagenen Weg der Technologieoffenheit, das heißt kalkulierten Öffnung und Ausrichtung auf Elektromobilität bei gleichzeitig kluger Beibehaltung des Verbrennungsmotors als bewährtem Antriebsmittel – auch für 70 Prozent des Weltmarktes – bestätigt fühlen. Ein Bestand von 47 Millionen Autos mit Verbrennungsmotor in Deutschland (global: 1,6 Milliarden) muss nicht vorzeitig unter hohen volkswirtschaftlichen Kosten vorzeitig verschrottet werden. 

Der Weg der dualen Antriebstechnik führt in die Zukunft. Immerhin zu dieser Erkenntnis kann man der zukünftigen Bundesregierung nur gratulieren. 

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