Tichys Einblick
Deutscher Klima- und Energie-Nationalismus

Der Tragödie zweiter Teil

Weitgehend unbemerkt ging am 30. September ein weiterer 500-Megawatt-Block im Lausitzer Kraftwerk Jänschwalde politisch verordnet in die „Sicherheitsbereitschaft“. Wie am Wochenende davor der Neurather 300-Megawatt-Block C im Rheinischen Revier, während im Baden-Württembergischen Philippsburg der Block 2 des Kernkraftwerks seine 1.400 Megawatt Leistung langsam einsenkt, um Ende des Jahres den Betrieb ganz einzustellen. Inbetriebnahmen von Anlagen adäquater Leistung sind nicht bekannt.

Insgesamt acht Kraftwerksblöcke sind nunmehr gemäß Energiewirtschaftsgesetz Paragraf 13g in die zwangsweise „Sicherheitsbereitschaft“ versetzt worden. Am 30. September um 16 Uhr 59 Uhr trennte sich der Jänschwalder Braunkohle-Kraftwerksblock E vom Netz. Seinen Nachbarn, Block F, ereilte dieses Schicksal vor genau einem Jahr. Ernsthaft geht niemand davon aus, dass diese Blöcke wie auch die betroffenen sechs anderen in Deutschland wieder ans Netz gehen werden.
Der damalige Wirtschaftsminister Gabriel sprach von dem „Hosenträger zum Gürtel“ und beendete mit der Konstruktion der „Sicherheitsbereitschaft“ den Konflikt mit Betreibern und der Gewerkschaft IG BCE, mit der eine extra CO2-Bepreisung von Kohlekraftwerken zusätzlich zum Emissionshandel nicht zu machen war.

Im Detail schrieb man ins Gesetz, welche Blöcke außer Betrieb gehen müssen. Die andere Möglichkeit, einige Blöcke mit verringerter Leistung in Betrieb zu halten, wäre sanktionssicher kontrollierbar gewesen, hätte mehr Sicherheit bedeutet und zeitweise bessere Wirkungsgrade, die sich in geringeren Emissionen gezeigt hätten. Dies wäre aber nicht das „Zeichen“ gewesen, das die vereinigten Anti-Kohle-Parteien sich wünschten: Dass kein Wasserdampf aus den Kühltürmen mehr aufsteigt und schon weithin sichtbar ist, wie der deutsche Abschaltplan wirkt.

Nun dampfen nur noch sechs von neun Jänschwalder Kühltürmen und die Grünen und NGOs können bei solcher Optik noch feierlicher ein Fläschchen öffnen.

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Von den drei oben erwähnten Kraftwerken ist Jänschwalde das jüngste, 1989 in Betrieb gegangen und ab 1990 mit neuester Technik nachgerüstet, um dem Bundesimmissionsschutzgesetz Genüge zu tun. Bereits Anfang der Neunziger mehrten sich die Stimmen, die das nahe Ende der Braunkohle sahen und alle Investitionen für überflüssig hielten, weil die „Erneuerbaren“ und billiges Gas Ersatz böten. Nur noch 4.000 Betriebsstunden im Jahr 2000 würden jegliche Wirtschaftlichkeit verhindern, so die Grünen.

Nach einigen Jahren der Modernisierung und Nachrüstung, so dem Umbau der Dampfkessel auf stickoxidarme Feuerung, der Nachrüstung von Rauchgasentschwefelungsanlagen und dem Einbau verbesserter Turbinentechnik, stieg die Auslastung über die Jahre immer weiter an. Die Rekordproduktion steht für das Jahr 2012 im Buch mit 24 Terawattstunden Strom. Das entspricht etwa dem Jahresverbrauch von Ländern wie Dänemark oder der Slowakei, die theoretisch von diesem einen großen Kraftwerksstandort hätten versorgt werden können.

Unter der Eigentümerschaft von Vattenfall entstand der klimakorrekte Plan, einen emissionsarmen Block mit CCS-Technik (CO2-Abscheidung und Speicherung) zu errichten. Eine Pilotanlage am Kraftwerk Schwarze Pumpe zeigte die technische Machbarkeit, das Geoforschungszentrum in Potsdam wies die Möglichkeit sicherer Speicherung in einem Versuch nach. Die Kanzlerin pries bei der Grundsteinlegung in Schwarze Pumpe die Zukunftstechnologie. Als jedoch Grüne und NGOs in kürzester Zeit Widerstand in den potenziellen Speichergebieten organisierten (wir sehen heute, wie schnell man selbst mit Kindern Panik erzeugen kann), machte sie sich zu diesem Thema unsichtbar. Mehrere Einladungen von Betriebsräten und der Gewerkschaft ignorierte sie standhaft – der Wind hatte sich gedreht. Die Pläne für eine Demonstrationsanlage in Jänschwalde wurden dennoch bis zur Umsetzungsreife weitergeführt, sie vergilben heute in den Schubladen. Über 200 Millionen Euro dürfte Vattenfall insgesamt versenkt haben, obwohl man einer Empfehlung des IPCC folgte.

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Dennoch gab es Fortschritte. Am inzwischen inaktiven Block F kam erstmals eine Speisepumpenantriebsturbine zum Einsatz, die mit Magnetlagern ausgerüstet war und kein Ölsystem mehr benötigte. Ein Dampfkessel wurde mit einer plasmagezündeten Trockenkohlefeuerung versehen, die auch die Regelfähigkeit verbesserte und – bei breiter Anwendung – wesentlich zur Systemstabilität des Netzes hätte beitragen können.

Die Patente zur CO2-Abscheidung verkaufte Vattenfall nach Kanada. Fortschritte in der konventionellen Kraftwerkstechnik sind aus Deutschland, dem Land der Abschalter und Abbrecher, nicht mehr zu erwarten.

Unbeachtet bleibt meist die Tatsache, dass Kraftwerke auch industrielle Kerne sind. Die Peitzer Binnenfischer betreiben an den Kühltürmen in Jänschwalde eine sehr erfolgreiche Warmwasserfischzucht. Damit wird die Wachstumspause der Fische über den Winter überbrückt und die Produktion deutlich gesteigert. Die Bauindustrie, die bisher große Mengen an Gips aus den Rauchgasentschwefelungsanlagen der Braunkohlekraftwerke verarbeitete, bekommt immer weniger Rohstoff. Die Sekundärbeschäftigung der Service- und Fachfirmen geht gleichermaßen zurück.

Ideologisierte NGO

Da es trotz jahrzehntelanger hoher Subventionen den „Erneuerbaren“ nicht gelungen ist, die konventionellen Anlagen aus dem Markt zu drängen und die Grundlast zu sichern, bedarf es politischen Zwangs. Maßgeblichen Kräften im Land reicht dies noch nicht. Obwohl der Tagebau Jänschwalde ohnehin 2023 ausgekohlt sein wird, klagte die berühmt-berüchtigte Deutsche Umwelthilfe (DUH) gegen die Betriebsgenehmigung und war erfolgreich. Seit 1. September ist die Kohleversorgung durch diesen Tagebau nicht möglich, andere Gruben produzieren derzeit mehr und stellen die Kohleversorgung sicher.

Öffentlich wird behauptet, das Unternehmen habe versäumt, rechtzeitig die Unterlagen für FFH-Prüfungen zu liefern, praktisch verfügte das Unternehmen aber über eine Betriebsgenehmigung für das Jahr 2019. Als nicht gerichtsfest erwies sich mithin die Genehmigung durch das Landesbergamt, also der Behörde, die diese Genehmigung ausstellte. Die Klage ist im Grunde ein politischer Angriff ohne Aussicht auf praktischen Effekt. Der Kern der Klage, die Grundwasserabsenkung würde Feuchtgebiete im Vorfeld des Tagebaus schädigen, greift nicht. Die Grundwasserhaltung muss in Betrieb bleiben, weil sonst die Grube vollläuft und zudem Gebiete wie die Peitzer Laßzinswiesen, die heute zusätzlich mit Grubenwasser versorgt werden, trocken fallen würden. Zudem stellt die Grundwasserabsenkung für die Tagebaue maßgeblich die Wasserhaltung der Spree sicher. In trockenen Sommern wie dem vergangenen kommen 70 Prozent des Spreewassers aus den Tagebauen der Lausitz.

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Kohlegegner feiern den vorläufigen Erfolg der Klage als Erfolg, nehmen aber die möglichen Folgen nicht wahr. Sollte dem Unternehmen die Möglichkeit genommen werden, durch wirtschaftliche Tätigkeit Geld zu verdienen, fehlt künftig auch Geld für die Rekultivierung. Sollte ein Tagebau sogar vor seiner Endstellung dauerhaft stillgelegt werden, steigen die Nachsorgekosten deutlich an und wären zum großen Teil durch den Steuerzahler zu tragen. Die planmäßige Umgestaltung des ehemaligen Tagebaus Cottbus-Nord zum künftigen Cottbuser Ostsee (dem größten künstlichen See Deutschlands) kostete 200 Millionen Euro, getragen vom damaligen Eigentümer Vattenfall. Staatskosten: Null. Dafür die Chance, künftig einen Tourismusmagneten vor der Haustür einer (Noch-)Großstadt zu haben.

Der 30. September war für die Lausitzer Region ein trauriger Tag. 600 direkte Arbeitsplätze in Kraftwerk und Tagebau entfallen ohne jegliche Kompensation. Zwei stehende Blöcke erfordern logischerweise weniger Personal. Kosten entstehen (und werden erstattet) für die Bereitschaftshaltung und die Maßnahmen, die ein Wiederanfahren technisch sichern sollen. LEAG-Vorstandschef Rendez beklagte, dass seit der Stillsetzung des Blockes F vor einem Jahr keinerlei Ersatzarbeitsplätze entstanden seien.

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Mit einer Mahnwache vor Ort zeigten Kumpels und Kraftwerker ihren Protest, sowohl vor dem Kraftwerkstor als auch vor den Tagesanlagen des Tagebaus (siehe Bilderstrecke unten). Unterstützt wurden sie von Kommunalpolitikern des Amtes Peitz, der IG BCE, einem Staatssekretär des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums und – Berichterstattung heißt auch, vollständig zu berichten – AfD-Politikern aus Stadtverordnetenversammlung Cottbus, Kreistag, Landtag und Bundestag. Prominente Vertreter jetziger und ehemaliger Volksparteien, revolutionärer Linksparteien oder der FDP waren nicht an Ort und Stelle.

„Holen wir uns den Tagebau zurück“ hieß die Losung. Die zuständigen Abteilungen des Betreibers LEAG arbeiten mit Hochdruck dem Landesbergamt zu, wie lang dort der Weg zur gerichtsfesten Genehmigung sein wird, liegt nicht in Gottes, aber in Beamtenhand.

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In keinem anderen europäischen Land werden Kraftwerke mit einer unbefristeten und gültigen Betriebsgenehmigung per Gesetz stillgelegt und nirgendwo sind Tagebaue mit Betriebsgenehmigung in dieser Form juristisch angreifbar wie in Deutschland. Bereits im Jahr 2000 hatte es einen Stillstand des Tagebaus Jänschwalde gegeben, als der letzte verbliebene Einwohner des Dorfes Horno gegen die Umsiedlung erfolgreich geklagt hatte. Auch damals gab es eine Mahnwache, zu der selbst der damalige IG-BCE-Chef Schmoldt und Kanzler Schröder anreisten. Frau Merkel wird nicht erscheinen, sie würde mit einiger Wahrscheinlichkeit auch nicht mit solcher Begeisterung empfangen werden wie seinerzeit Schröder.

Vor kurzem erschien die Meldung über die mit 3,3 Prozent stärkste Strompreissteigerung der letzten Jahre. Preistreiber waren diesmal die durch höhere CO2-Zertifikatepreise gestiegenen Großhandelspreise. 2020 wird auch die EEG-Umlage wieder steigen.

„Die Stilllegung weiterer Kraftwerke im Zuge der Energiewende und der Ausstieg aus der Kernkraft würden zu einer Verknappung führen, hatte RWE-Finanzchef Markus Krebber kürzlich gesagt. Schon jetzt seien die Preise für Stromlieferungen im kommenden Jahr gestiegen.“ schreibt die „Welt“ am 22. September. RWE-Chef Schmitz legte am 26. September nach: „Die Versorgungssicherheit wird zunehmend auf Kante genäht sein.“ Das Ausland müsse künftig etwa 20.000 Megawatt Grundlast zur Verfügung stellen.

Vorreiter als Geisterfahrer

Das sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: Der Staat berappt Steuergeld in Höhe von zunächst 54 Milliarden Euro bis 2023 für das „Klimaschutzprogramm 2030“, weitere wohl 40 Milliarden bis 2038 für den Strukturwandel in den vom Kohleausstieg betroffenen Regionen, erhöht die Preise für fossile Brennstoffe und verknappt durch Abschaltungen von Kraftwerke den Strom (der eigentlich für die Sektorkopplung billiger werden sollte). Daraufhin steigt marktgerecht der Strompreis. Steuergeld wird eingesetzt, um Strompreise zu steigern, Arbeitsplätze abzubauen und Steuereinnahmen zu senken. Steuergeld soll auch Firmen und Bürger wiederum von hohen Strompreisen entlasten.

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Und die „Erneuerbaren“ schaffen keine Arbeitsplätze, vor allem nicht in der Lausitz. Die Produktion von Rotorblättern im Vestas-Werk in Lauchhammer ist derart eingebrochen, dass man sich von 500 Arbeitnehmern – der Hälfte der Belegschaft – nun trennen muss. Jede subventionierte Industrie kann nur befristet erfolgreich sein. Der Versuch, durch die EEG-Novelle 2017 die Windkraft an den Markt heranzuführen, ist sichtbar am Scheitern.

„Der Tragödie zweiter Teil“ – ist das nicht übertrieben? Es ist zu befürchten, dass diese Abschaltung ein weiterer Schritt zur Deindustrialisierung der Lausitz und im Dominoeffekt auch anderer Regionen werden kann. Deutscher Klima- und Energienationalismus wird zu einer neuen Bescheidenheit der Lebensverhältnisse führen, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Zunächst wird das Abschalten weitergehen. Das Weltklima wird sich durch Abschaltung deutscher Kohlekraftwerke nicht ändern, das politische bei uns schon.

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