Tichys Einblick

Der Staat – ein reicher Verschwender

Im Haushaltsstreit der Ampel bedienen vor allem Grüne und SPD die Legende von der klammen öffentlichen Kasse. In Wirklichkeit schwimmt der Bund in Geld. Die Ministerien verschleudern viel davon – und hätten gern noch viel mehr

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld, IMAGO - Collage: TE

Die Nachrichten aus dem Inneren der Ampelkoalition klingen dramatisch: Finanzminister Christian Lindner nahm den Haushaltsentwurf für 2025, den die Regierung eigentlich schon hatte beschließen wollen, kurzfristig von der Tagesordnung der Kabinettssitzung. Und er schickte seinen Berater Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik in Freiburg, in die Arena, um zu warnen: sollten die Ministerien der Grünen und der SPD seinen Vorgaben für mehr Ausgabendisziplin nicht folgen, könnte das Regierungsbündnis daran zerbrechen. Insgesamt klafft für 2025 eine Lücke von 25 Milliarden Euro zwischen Steuereinnahmen und ministeriellen Ausgabenwünschen. Das liegt daran, dass mehrere Ressorts sich weigern, wie von Lindner gefordert etwas von ihrer Wunschliste zu streichen. Manche satteln sogar noch drauf, etwa Entwicklungshilfe-Ministerin Svenja Schulze. Ihr Etat für das kommende Jahr sollte eigentlich um 10 Prozent auf 9,9 Milliarden Euro schrumpfen. Stattdessen fordert Schulze 12,2 Milliarden, um damit Projekte in aller Welt zu finanzieren.

Bisher zieht das Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine rote Linie für den Bundesetat. Die Regierung darf nicht mehr wie früher einfach Kreditermächtigungen auf Vorrat für die kommenden Jahre beschließen, also Nebenhaushalte unter dem irreführenden Namen Sondervermögen schaffen. Außerdem steht die Schuldenbremse in der Verfassung, sie ließe sich nur mit einer Zweidrittelmehrheit aufheben. Beliebiges Schuldenmachen im eigentlichen Haushalt funktioniert also nicht mehr, die Umgehung per Sondertopf, den die Ampel bei ihrem Start 2021 fest einplante, aber auch nicht. Die Schuldenbremse verlangt übrigens anders als von vielen Verantwortlichen in Berlin behauptet nicht, dass der Bund überhaupt keine Schulden aufnehmen darf. Allerdings begrenzt sie die Neuverschuldung auf 0,35 Prozent des Bruttosozialprodukts, das 2023 immerhin 4,12 Billionen Euro betrug.

Das strategische Ziel von Grünen und SPD besteht darin, diese Haushaltsrestriktionen irgendwie zu beseitigen. Denn Steuereinnahmen plus mögliche Verschuldungen reichen ihnen nicht, um die Wirtschaftsumbaupläne von Robert Habeck und den von Arbeitsminister Hubertus Heil vorangetriebenen Ausbau des Sozialstaats zu bezahlen, und nebenbei auch noch die schönen Pläne der anderen Ministerien. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz brachte vor kurzem wieder die Idee ins Spiel, für 2025 erneut eine Haushaltsnotlage auszurufen, mit der sich die Schuldenbremse kurzzeitig außer Kraft setzen ließe. Also bringen Koalitionspolitiker das strategische Narrativ in Umlauf, in der Staatskasse herrsche die blanke Not. Ein Kommentator des „Redaktionsnetzwerks Deutschland“ (RND) behauptete etwa, Minister der Grünen und SPD widerständen tapfer dem, „wozu FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner sie zwingen will: eisernes Sparen“. Der Schuldige am Streit steht für den Journalisten fest: „Schließlich ist von Lindner kein Nein zu hören auf die Frage, ob er die Koalition platzen lässt. Hier zockt der Finanzminister höchstpersönlich.“ Die ZEIT titelte Anfang Mai höchstbesorgt: „So groß ist Deutschlands Finanznot“.

Mit der Realität hat das nichts zu tun. Weder leidet der Staat unter Finanznot, noch geht es bei Lindners Forderungen um Sparen, also das Zurücklegen von Geld. In Wirklichkeit schwimmt der Bund geradezu in Geld. Nie kassierte er mehr von seinen Bürgern. Und bei dem, was Lindner durchsetzen will, handelt es sich um leichte Dämpfer für die Ausgabenwut bestimmter Ressorts. Selbst wenn die Kürzungen von insgesamt 25 Milliarden Euro für 2025 zustande kommen sollten, gibt Berlin immer noch die Milliarden mit beiden Händen aus. Und nicht wenig davon für absurde Zwecke.

Zunächst einmal: wenn Ampel-Politiker über Geldmangel klagen, erschaffen sie eine alternative Wirklichkeit. Trotz Rezession werden die Gesamtsteuer-Einnahmen – also von Bund, Ländern und Gemeinden – 2025 aller Voraussicht nach zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik mehr als eine Billion Euro betragen. Wie der Bund der Steuerzahler vorrechnet, stehen der Koalition von 2022 bis 2025 insgesamt mehr als 220 Milliarden Euro mehr zur Verfügung als der Vorgängerregierung in der letzten Wahlperiode. In den vergangenen fünf Jahren stiegen die Steuereinnahmen des Bundes von 329 Milliarden Euro 2019 auf 378 Milliarden in diesem Jahr – ein Plus von 19 Prozent. Allerdings: im gleichen Zeitraum schnellten die Ausgaben von 342 auf 477 Milliarden nach oben, was satten 39 Prozent entspricht. Die angebliche Haushaltsnot beruht also auf keinem Einnahmen- sondern ausschließlich auf einem Ausgabenproblem.

In ihrer mittelfristigen Finanzplanung rechneten die Beamten des Bundesfinanzministeriums 2020 noch mit Ausgaben von 387 Milliarden Euro für 2024. Warum der Bund nun 90 Milliarden mehr braucht, und seine verantwortlichen Politiker trotzdem barmen, es reiche noch lange nicht, erschließt sich beim Blick auf die Haushalsstruktur. Landauf, landab behaupten Vertreter von Grünen und SPD, sie bräuchten so viel, um „in die Zukunft des Landes“ zu investieren. Offenbar rechnen sie damit, dass die meisten Bürger die Eckwerte des Haushalts nicht kennen. Von den 90 Milliarden mehr allein für 2024 im Vergleich zur ursprünglichen Planung gehen nämlich gerade 16 Milliarden in Investitionen – vor allem den Ausbau von Infrastruktur, Ertüchtigung der Bundeswehr. Der größte Anteil, 62 Milliarden Euro, verschwindet im Bereich der konsumtiven Ausgaben. Die Aufblähung des Beamtenapparats – allein die Bundesverwaltung kam 2020 noch mit 282 000 Beschäftigten aus, 2024 mussten es schon 298 000 sein –, die Erhöhung des Bürgergeldes um 12 Prozent ab Januar 2024 und die steigenden Kosten für die Beherbergung von immer mehr Migranten machen sich hier bemerkbar. Im Jahr 2024 steigen allein die Personalausgaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge um 16,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – auf 250,91 Millionen Euro.

Im nächsten Jahr dürften die Migrationskosten abermals stark wachsen. Die restlichen 12 Milliarden der 90-Milliarden-Mehrkosten des Bundeshaushalts 2024 fließen in das sogenannte Generationenkapital, mit dem der Bund einen allerdings unterfinanzierten Fonds auf Wertpapierbasis aufbauen will, aus dem künftige Rentner einen Teil ihrer Altersversorgung empfangen sollen. Soweit die großen Kennzahlen für 2024, auf die der Haushalt 2025 aufbaut. Für das kommende Jahr rechnet der Bundesfinanzminister mit mehr als 40 Milliarden Euro nur für Zinszahlungen, der Zuschuss des Bundes zur Rentenkasse, mittlerweile mehr als 100 Milliarden, steigt ebenfalls zuverlässig. Sollte es wieder eine Wehrpflicht-Armee geben, würde das noch einmal große Extrakosten verursachen. Dass Ministerien unter diesen Umständen schauen, worauf sich verzichten ließe, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Doch es geschieht nicht.

Am deutlichsten beweisen viele Ressorts in Berlin durch ihren Umgang mit dem Geld der Bürger im Kleinen, dass sie eher zu viel davon in den Händen halten als zu wenig. Einige Beispiele: Trotz der angeblichen Haushaltsnot hält das Kanzleramt an seinem gigantomanischen Neubau im Spreebogen fest, der laut Plan 777 Millionen, real aber eher eine Milliarde Euro kosten soll. Im Etat des Außenministeriums von Annalena Baerbock findet sich ein Töpfchen zur „Förderung Musikwirtschaft International“, in dem allein für 2024 ein Betrag von 2,7 Millionen ruht. Laut Auswärtigem Amt sollen die Millionen deutsche Bands international bekannter machen, außerdem, so die Argumentation, diene Musik irgendwie der Völkerverständigung. Grundsätzlich schon – nur erschließt sich nicht, warum der Steuerbürger Musikgruppen bezuschussen soll. Auch nicht, welche Erfolge das Programm bisher zeitigte. Trotzdem möchten Baerbock und ihre Beamten auch 2025 Schecks an Musiker überreichen. Das schafft Beliebtheit in der Kulturszene, die sich wiederum durch eine besondere Nähe zu den Grünen bedankt. Die Flugbereitschaft, ein bundeseigener Pannenbetrieb, der es vor einiger Zeit noch nicht einmal schaffte, die Außenministerin zur Übergabe eines alten Fischernetzes und einer Aborigines-Holzkeule nach Australien zu befördern, verschlingt trotz ihres klapprigen Geräts mehr als 200 Millionen Euro im Jahr. Das liegt auch an dem enormen Aufwand an Logistik und Verwaltung, der sich aus der Aufsplitterung des Dienstes auf drei Standorte ergibt: Köln/Bonn, der Regierungsflughafen Tegel und der Airport Berlin-Brandenburg. Insgesamt arbeiten 1300 Bedienstete für die Flugbereitschaft, nur 324 davon gehören zum fliegenden Personal. Da die Maschinen oft nicht dort stehen, wo Kanzler oder Minister einzusteigen wünschen, müssen sie erst einmal auf die richtigen der drei Pisten. Wie die Bundesregierung auf Anfrage der Abgeordneter Sahra Wagenknecht mitteilte, fielen deshalb seit dem Start der Ampel 2021 bis Februar 2024 insgesamt 1301 Leerflüge an – bei 1518 regulären Touren. Der Steuerzahlerbund fordert schon lange, die Flugbereitschaft an einem Ort zu konzentrieren, was die Kosten deutlich verringern würde. Nur: irgendwie kann sich die angeblich unter Geldmangel leidende Bundesregierung nicht dazu aufraffen.

Ebenso wenig zur Zusammenfassung aller Ministerien in Berlin. Nach wie vor leistet sich der jammernde Staat mit Bonn und Berlin zwei Regierungssitze, und spediert tausende Beamte hin und her. Videokonferenzen – auf solche Ideen kommen vielleicht Privatunternehmen. Eine Bonner Beamter muss persönlich in die Hauptstadt, deren Nachtleben ja auch mehr bietet als das Bundesdorf am Rhein. Die mittlerweile legendären von Deutschland finanzierten Radwege in Lima stellen zwar ein griffiges, aber eher kleines Beispiel der Spendierfreude im Entwicklungshilfeministerium dar. Gleich drei Ressort geben aus unterschiedlichen Töpfen Geld in die Welt: das Wirtschafts- und Klimaministerium Robert Habecks, das Auswärtige Amt Annalena Baerbocks und das Haus von Svenja Schulze. Intern scheint es einen Wettbewerb zu geben: wer verteilt mehr? Im Jahr 2022 summierten sich die Förderungszahlungen Deutschland für einen bunten Blumenstrauß internationale Projekte auf 35 Milliarden Dollar – mehr als Frankreich und Großbritannien zusammen mit je etwa 16 Milliarden. Schon dann, wenn die Bundesrepublik die Zahlungen auf den Schnitt der G7-Staaten zurückführen würden, ließe sich ein zweistelliger Milliardenbetrag einsparen.

Manchmal sind es gerade kleinste Beträge, die sich im großen Haushalt verlieren, und trotzdem demonstrieren, wie locker die Euros in Berlin tatsächlich sitzen: das Familienministerium von Lisa Paus (Grüne) besteht darauf, 2025 die Familienkasse in „Familienservice“ umzutaufen. Die Ministerin findet, das klinge besser. Praktischer Nutzen: null. Die allermeisten Bürger dürften von dem Namenswechsel gar nichts mitbekommen. Aber sie sollen ihn selbstverständlich bezahlen. Laut Berechnungen des Steuerzahlerbundes kostet Paus Laune, die den Austausch von Behördenschildern, neue Briefköpfe und Änderungen in Formularen erzwingt, 750 000 Euro. Ein Finanz-Krümelchen, gewiss. Aber ein Staat, der selbst dafür Geld locker macht, darbt wirklich nicht. Er prasst, und braucht jedes Jahr einen Gürtel, weil der alte einfach zu eng sitzt.

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