Von den Grünen ist aus den 80er Flegeljahren, als Joschka Fischer noch Steine auf Polizisten geworfen hat, bevor er in Hessen Minister wurde, der Spruch bekannt: „Wir wollen keine Autos mehr, wir fahren per Anhalter.“
Die Zeiten sind zurück. Die ökologische Verdammnis des Autos als Umweltschädling ist inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und wie! Die vor wenigen Tagen zu Ende gegangene Internationale Automobilausstellung in München (IAA) ist der beste Beweis dafür. Autogegner und Klimaaktivisten erregten mehr Aufmerksamkeit als alle Exponate und Messe-Veranstaltungen zusammen. Das Automobil selbst trotz grünem Schwenk zur Elektromobilität, nach Umweltaktivisten-Sprech „greenwashing“, geriet unter die Räder, wurde nicht mehr als Träger des technischen Fortschritts in eine goldene Zukunft angesehen, sondern nur noch als Teil von Problemen – die des Klimawandels durch Autoabgase und die des Autoverkehrs schlechthin.
Alles vorbei, „isch over“ würde Wolfgang Schäuble sagen. Der Niedergang des Mythos Automobil hielt an, eine Wiederholung der IAA 2021 in dieser Form wird es nicht mehr geben.
Und das, obwohl der Verband der Automobilindustrie (VDA) als traditioneller Veranstalter der Automesse gerade im Corona-Jahr 2021 keine Kosten, Mühen und Risiken gescheut hatte,
- zum einen bereits im Vorfeld das Automobil als Haupt-Ausstellungsobjekt thematisch aus der Schusslinie zu nehmen und der IAA als IAA Mobility einen allgemeinen Mobilitätshut überzustülpen
- zum anderen mit dem Slogan What will move us next das Verbrennerauto als Träger einer hunderjährigen Erfolgsgeschichte der Mobilität fast völlig aus der Schusslinie zu nehmen („in Rente zu schicken“), und statt dessen Elektromobiliät und Elektroautos sowie andere Verkehrsträger einschließlich ÖPNV in den Mittelpunkt der Ausstellung zu rücken,
- mit der Durchführung an neuem Standort in München statt wie traditionell in Frankfurt a. M., mit völlig neuem Ausstellungskonzept in der Fläche des gesamten Stadtgebietes („Open space“) incl. Autobahn (Blue Lanes) statt mit Schwerpunkt nur Messehallen wie vormals in Frankfurt, den Flop der letzten Messe in Frankfurt schnell vergessen zu machen,
- und mit erstmaliger Öffnung für alle Akteure der Mobilität: Autos, Fahrräder, Roller, Scooter, aber auch Oldtimer, ÖPNV, Fachkonferenzen ohne Ende etc., alles garniert mit jeder Menge Spaß und Show, u.a. dem „Königlich Bayrischen Vollgasorchester“ auf dem geschichtsträchtigen Odeons Platz dem ganzen einen „grünen“ Volksfestcharakter zu verleihen und potentielle Störer und Autogegner von vornherein zu besänftigen.
Alle Liebesmüh war vergeblich. Der neue Themenschwerpunkt Elektromobilität konnte nur begrenzt begeistern. Erst recht nicht die ausgestellten Elektro-Exponate, sieht man von Conceptstudien und Eyecatchern einmal ab. Die beabsichtigte Transformation der IAA 2021 von der Verbrenner- zur Elektromesse geriet zum Flop, große internationale Automarken fehlten, bedeutende Zulieferer sagten ebenfalls ab, dafür waren neben 744 Ausstellern und 936 Rednern aus 32 Ländern mit 100 Weltneuheiten (Angaben VDA) erstmals auch 75 Fahrradhersteller und ÖPNV-Anbieter dabei. Dazu Stephan Vogelskamp, Chef des NRW Automobilclusters, kritisch: „Eine der größten Fahrradmessen, die ich kenne.“ Autos mit Wumms fehlten eben, die wenigen „heißen“ Verbrennerautos waren dagegen umlagert, Probefahrten mit Porsches zig-fach überbucht. Vernetzungsdisplays ersetzen keine Netzstrümpfe.
Auf der IAA Mobility war das Desinteresse vieler klangvoller Hersteller und Zulieferer an spärlich bestückten Messehallen und ebenso solchen Besucherströmen klar zu erkennen — sie blieben dem Branchentreff im Mutterland des Automobils fern, es gab viele prominente Absagen, auch solche mit dem Hinweis auf Corona. Die Messe schrumpfte, die Hallen waren spärlich bestückt, es fehlten zum Beispiel als Schwergewichte Toyota und sämtliche japanischen Marken. Ebenso blieben der gesamte Stellantis -Konzern, zu dem traditionsreiche Marken wie Opel, Peugeot, Citroën, Fiat oder Alfa Romeo und Chrysler und Jeep gehören, fern, ebenso GM. Außerdem fehlten Luxusmarken wie Rolls-Rolls-Royce, Aston Martin, Bentley, Lamborghini und Ferrari, deren Stände früher von männlichen Besuchertrauben umlagert waren – natürlich auch der attraktiven, spärlich gewandeten Messhostessen wegen. Alles vorbei….
Dabei hätten manche abwesenden Hersteller etwas zu zeigen gehabt. Opel zum Beispiel stellte erst vor wenigen Tagen die neue, sechste Generation des Kompaktwagens Astra vor, als klassischer Verbrenner, als Plug-In-Hybrid – und vollelektisch als BEV am Firmensitz in Rüsselsheim, nicht in München.
Den größten Affront leistete sich Elon Musk, der ja 2010 das Elektroauto mit seiner Marke Tesla erst neu erfunden hat. Als sehr befremdlich registrierten Brancheninsider und Fans, dass ausgerechnet Elektro-Pionier und demnächst Mitglied der deutschen Autoindustrie Elon Musk einer Automesse wie der IAA, die sich voll der Elektromobilität verschrieben hat, ferngeblieben ist. Modelle der Marke Tesla mussten die Fans auf der IAA Mobility vergeblich suchen, und das, obwohl Elon Musk
- ab dem kommenden Jahr Autos in Deutschland auf der grünen Heide in der Gigafactory nahe Berlin produzieren wird, und sein Zusatz-Bau einer geplanten Batteriefabrik mit 1,4 Milliarden Euro vom Staat subventioniert wird.
- sein neues SUV-Model Y in Berlin präsentierte und seine Modelle davor auch auf der „Auto Shanghai“- Messe ausgestellt hatte.
Das Model Y hätte natürlich für die IAA ein Auto-Highlight werden können. So blieb es beim Affront für den IAA-Veranstalter. Denkbar auch, dass Musk als Hersteller in Deutschland die Mitgliedschaft beim VDA meidet. Betriebsgewerkschaften mag er auch nicht.
Doch es gab Lichtblicke: Renault und Dacia haben sich frisch elektrifiziert wieder zurückgemeldet auf der Messe.
Die Zielsetzung der Messe, den technologischen Umbruch von Branche und Produkt an neuem Veranstaltungsort mit neuem Messekonzept transparent zu machen, fand in der Autoindustrie allgemeine Anerkennung und Beifall. Sie erforderte einen hohen organisatorischen und sachlich/visuellen Aufwand, den der VDA nur mit den Experten der Münchner Messegesellschaft gemeinsam zu stemmen vermochte.
Grüne, klimaneutrale Mobilität sollte als Messethema im Mittelpunkt stehen, nicht mehr PS-Stärken und Drehmomente in Verbrennerboliden. Es kam dann doch so, wie Messe- und Branchenkenner erwartet hatten, daran konnte die abermalige Eröffnung der Messe durch Bundeskanzlerin Merkel und ihr hohes Lied auf den Quantensprung, den die deutschen Hersteller auf dem Weg in die Elektromobilität gemacht haben („Alle haben jetzt alltagstaugliche, kaufbare E-Autos im Angebot“) nichts ändern.
Die angedrohten Blockaden und Protestaktionen von Klima-Aktivisten gegen das Auto als CO2-Produzent und von Auto-Kritikern gegen das Auto als individuelles Verkehrsmittel fanden an vielen Orten professional statt. Rund um München standen Autofahrer zum Start der IAA in langen Staus; Aktivisten seilten sich von Brücken ab, überklebten Autobahn-Verkehrsschilder, gingen im Messeteich sogar protestweise ins Wasser. Blockaden und tätliche Auseinandersetzungen mit den 3500 Einsatzbeamten incl. Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray fanden statt. Fahrrad-Sternfahrten von 25.000 Autogegnern aus dem Umland nach München wurden zum krönenenden Höhepunkt des Protests.
Die Anzahl der Autogegner nahm zu, die Anzahl der Besucher nahm ab, in Fortsetzung des Trends der vorangegangen Messen am alten Standort Frankfurt. Zur letzten Schau waren 2019 noch 560.000 Besucher nach Frankfurt gekommen, vier Jahre zuvor waren es sogar fast eine Million. In diesem Jahr sollte das neue Konzept des „open space“ und der neue Veranstaltungsort mit seinen vielen historischen Attraktionen für eine Wiederbelebung sorgen.
Fehlanzeige! Diesmal kamen nach VDA Angaben nur 400.000 Besucher, nur schwerpunktmäßig war das Interesse groß, da die größten Messe Attraktionen alle in Pavillons auf historischen Plätzen im Zentrum der Millionenstadt München angesiedelt waren. Reine Fachbesucher, vor allem aus dem Zulieferbereich, mussten dagegen mit dem entfernter liegenden Messegelände vorliebnehmen.
Insgesamt war der Andrang in der Innenstadt groß. Wobei die SZ anmerkte: „Je mehr PS, desto größer der Andrang“. Viele Teilnehmer aus den 95 vom VDA aufgeführten Ländern blieben zudem auf dem zeitraubenden Weg zu den unterschiedlichsten Ausstellungs- und Konferenzstätten in den weltberühmten Kulturstätten und Biergärten der Münchner Gastronomie hängen.
In der Tat, die alte Welt der Autoindustrie mit PS, Glanz und Glamour hat sich innerhalb von nur zwei Jahren nachhaltig verändert. Verbrenner ist out, Elektro ist in! Selbst das Auto ist für viele out, was kommt statt dessen?
Statt Autos Elektrofahrräder
Hinzu kamen eine Fülle von Show-Cars und alternativen Fahrzeugkonzepten, unter denen ein BMW-Isetta-ähnliches Stadtautomobil aus der Schweiz namens Microlino, die von den Medien als „Elektroknutschkugel“ zum heimlichen Star der Messe ernannt wurde.
Lässt man als Verkehrsteilnehmer, der über 55 Jahre mit dem eigene Verbrennerauto unterwegs war, die IAA Mobility 2021 Revue passieren, so kommt eine gewisse nostalgische Wehmut hoch. Der fortschreitende Klimawandel, die allgegenwärtige CO2-Diskussion, die unablässigen Anklagen gegen das Verbrennerauto, die kontinuierliche Verschärfung der Abgasgrenzwerte einschließlich der Verteuerung der Pkw-Nutzung zeigen Wirkung: Der Mythos Automobil bröckelt.
Aus dem hedonistischen Exklusivgut zunächst für wenige Reiche, ist danach mehr und mehr ein Konsumgut für fast alle Gesellschaftsschichten geworden. Das Auto mutiert zum profanen Gebrauchsgegenstand, das beliebig geleast, geshared und zunehmend roboterisiert wird. Von dem es zu allem Übeel auch noch zuuviele gibt, ie sich dann gegenseitig und ander nur noch behindern. Ade Freude am Fahren!
Der Nimbus als Statussymbol ist im Sinkflug. Die jungen städtische High-Tech Generationen fährt lieber virtuell oder sieht das Auto mehr und mehr als Computer auf Rädern an, für den überdies in der Stadt wegen der hohen Population und zunehmenden Platzansprüche von Radfahrern und Fußgängern kein Platz mehr ist. Und auf dem Land dient das eigene Auto zum Broterwerb als Nutzfahrzeug, dann aber als Verbrenner. Selbst von Bosch auf automatisch Parkplatzsuche gedrillte Roboterautos tun sich schwer, wenn keine freien Parkplätze vorhanden sind. Und den Erst-Käufer interessiert auch wenig, ob sein Auto am Ende des Autolebens zu 100 Prozent recyclebar ist, wie BMW es mit dem i Vision Circular an die Zukunftswand malte. Auch am Stau wird sich nichts ändern, wenn nach endlich gelungener Transformation dann ähnlich viele Elektroautos statt Verbrennerautos wie jetzt die Straßen verstopfen.
Blickt man in den Rückspiegel und fragt, war die IAA Mobility jetzt ein Erfolg oder ein Flop?
- Die IAA Mobility 2021 war als erste Großveranstaltung in Corona-Zeiten ein voller Erfolg – weniger für die Autoindustrie und das Elektroauto wohl aber für die Organisatoren, den VDA einschließlich der Messe München. Die Zielsetzung, Transformation, Fortschritt und Hindernisse der Autoindustrie auf dem Weg zur Elektromobilität und alternativen Antrieben transparent zu machen, ist gelungen. Das war gekonnt!
- Die IAA Mobility war auch ein Erfolg für den Austragungsort München. München war Gastgeber trotz absehbarer heftiger Umweltproteste mit der absoluter Billigung eines Rot-Grünen Stadtrates unter SPD-OB Dieter Reiter, der nicht davor zurückschreckte, seinen Bürgern tagelange Sperrungen und Staus in der Innenstadt sowie hohe Sicherheitsaufwendungen zu zumuten, um ihre schönsten historischen Plätze als Ausstellungsorte zur Verfügung zu stellen und den deutschen Premium-Herstellern die Historischen Altstadt individuell für deren Pavillons und Ausstellungzelte zu überlassen. Der Erfolg blieb nicht aus: das Publikum wurde magnetisch angezogen, alles waren gut besucht, die Gastronomie in der Innenstadt flächendeckend in Oktoberfestmanier belagert. In den Messehallen draußen vor der Stadt war von Überfüllung keine Rede.
- Die IAA Mobility war auch ein Erfolg für Klimaschützer und Automobilgegner. Die ungebetenen Gäste bleiben nicht aus. Die IAA Mobility entwickelte nicht ganz unerwartet eine auch eine hohe Anziehungskraft auf Besucher, die als Protestierer aus allen Himmelsrichtungen sogar mit dem Fahrrad in organisierten Sternfahrten zum Ausstellungsgelände drängten, von BAB- Brücken herabstiegen und in den Teich der Münchner Messe sprangen, um für einen automobilfreien Verkehr zu demonstrieren. Sie haben ihr Ziel erreicht: Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Demontage des Mythos Automobil.
- Die IAA Mobility war trotzdem auch ein Misserfolg für die Autoindustrie, weil das Interesse des Publikums am Elektroauto so mäßig blieb wie die Besucherzahlen. Der Mythos Auto verblasst. Eine Trendwende in Sachen Rückgewinnung der Publikumsgunst war nicht erkennbar, eher das Gegenteil, der Widerstand gegenüber dem Auto als Verkehrsmittel nahm weiter zu.
Die wenigen Verbrenner-Exoten waren umlagert, Elektroautos nicht. Womit sich die Prognose von Experten bestätigt, dass Elektromotoren, Batterien, Speicherchips, Vernetzung und 5G etc. zwar für die Mobilität von morgen notwendig, aber nicht sexy sind. Anders als ein Verbrennerbolide mit 12 Zylindern und 4 Auspufftöpfen! Schicke Messehostessen lassen sich schlecht um Vernetzungstools und Bodensätze von Speicherbatterien drapieren.
Loriot würde vielleicht sinnieren: Ein Leben ohne Verbrennerauto ist möglich, aber völlig sinnlos!
Und er hätte damit nicht unrecht: Ein Leben mit Verbrennerauto ist möglich, man muss es nur klimaneutral „füttern“!
Auch wenn VDA Präsidentin Hildegard Müller am Ende der diesjährigen IAA unverdrossen die Autowelt bereits wieder für den 05.-10 September 2023 nach München eingeladen hat steht fest: eine IAA in dieser Form wird es nicht mehr geben – nicht nur wegen der dann hoffentlich beendeten Corona Pandemie.