Tichys Einblick
Graue Salbe

Der ehrbare Kaufmann: Alles geregelt?

Der „ehrbare Kaufmann“ wird Managern von einer Regierungskommission förmlich auferlegt. Der ehrbare Kaufmann kann genauso wenig erschaffen werden, wie der eigenverantwortliche Staatsbürger. Er ist es oder er ist es nicht.

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„Es kommt also entscheidend darauf an, dass man in der unternehmerischen Wirtschaft gegenüber dem Staat jene stolze Haltung bezieht, die ihren Ausdruck in dem dringenden Wunsch findet, von ‚zu viel Staat‘ verschont und befreit zu sein.“ Ludwig Erhard „Wohlstand für alle“ 1957

Was für ein Trauerspiel des Verantwortungsbewusstseins. Der „ehrbare Kaufmann“, eigentlich ein bürgerliches Selbstverständnis für alles Handeln, wird Managern von einer Regierungskommission förmlich auferlegt. Das ist doppelt tragisch. Dass sich einzelne aufspielen, den anderen „nicht nur Legalität, sondern ethisch fundiertes, eigenverantwortliches Verhalten“ vorzuschreiben. Und dass es Manager und Aufsichtsräte, wie die bei VW, so bunt getrieben haben und treiben, dass es soweit kommen musste.

Die für den „Deutschen Corporate Governance Kodex“ – was für ein seltsames denglisches Wortgebilde – vom Bundesjustiz-Ministerium beauftragte zuständige Regierungskommission hat jüngst die aktuelle Revision der weitgehend verbindlichen Vorschriften guter Unternehmensführung für deutsche börsennotierte Unternehmen herausgegeben. Weitgehend verbindlich bedeutet, dass die Unternehmen zwar nicht verpflichtet sind, sich an alles zu halten, allerdings jede Abweichung zwingend öffentlich begründen müssen. Regierungskommission heißt, dass nicht Bürokraten oder Volksvertreter aktiv werden, sondern die Betroffen selbst: also hier Vorstände und Aufsichtsräte sowie die maßgeblichen Stakeholder von Aktiengesellschaften. So weit , so trotzdem nicht gut.

In der Präambel des Kodex wurde in der neuesten Version der genannte Verweis aufgenommen, dass sich ein ehrbarer Kaufmann nicht nur regelkonform, sondern auch eigenverantwortlich ethisch verhält respektive verhalten soll. Ergänzt wurde damit die Aussage, dass der Kodex die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat verdeutlicht, „im Einklang mit den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen“.

Bei allem Respekt vor vielen Managern und Aufsichtsräten, aber wenn solches der ausdrücklichen Kodifizierung bedarf, um gelebt zu werden, dann fehlt es weit. Wenn es den Teilhabern einer Unternehmung nicht selbst gelingt, ihre Geschäftsführung auf einen nachhaltigen Unternehmenserfolg zu justieren, dann wird ein Kodex daran auch nicht viel ändern können. Und wenn es sich einem vernunftbegabten Wesen nicht von selbst erschließt, dass unmöglich alles Erdenkliche formal geregelt werden kann – das eigenverantwortliche moralische Mitdenken also unerlässlich ist –, dann wird sich das nicht ausgerechnet durch mehr Regeln ändern.

Der ehrbare Kaufmann ist es von sich aus oder nicht

Insofern sind solche Vorgaben genauso banal wie praktisch wertlos. Der ehrbare Kaufmann kann genauso wenig erschaffen werden, wie der eigenverantwortliche Staatsbürger. Er ist es oder er ist es nicht. Dieses Sein bestimmen nicht Gesetze oder Kommissionen, sondern die gesellschaftliche Kultur. Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit sind gewachsene kulturelle Blüten.

Und damit Blüten aufgehen können, brauchen sie neben Sonne, Wasser und Luft vor allem den Freiraum der Entfaltung. Nicht Normen und Kodizes, sondern das Bewusstsein der Freiheit schaffen Verantwortungsbewusstsein. „Verantwortung ist die Freiheit der Erwachsenen“ ist ein Credo des scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck. Genau in diesem Sinne brauchen wir keine Regierungskommission, die neue Kodifizierungen schafft, sondern genau das Gegenteil.

Statt den ausufernden gesetzlichen Gängelungen von zigtausend Seiten Steuer- und Sozialregelungen über die Vorschriften zum Tageslicht in Betriebstoiletten bis zum Pater-Noster-Führerschein noch die Krone mit einem Kodex aufzusetzen, sollten wir uns viel mehr Gedanken über den Zusammenhang von Regelungswut und Eigenverantwortung machen:

(1.) Umso mehr reguliert wird, umso so seltener muss man ein moralisches Urteil fällen, ohne sich auf eine spezielle Regel berufen zu können. Nachdem aber unmöglich alles geregelt werden kann, ist die Fähigkeit ein Urteil aus einem persönlichen und gesellschaftlichen Wertekanon abzuleiten, essentiell. Wenn die Regelungstiefe zu groß ist, sucht man im Zweifel aber lieber nach einer halbwegs passenden Regel, als dass man sich ethisch auseinandersetzt. Die Fähigkeit der ethischen Auseinandersetzung geht verloren. Der Gesetzgeber wird zur moralischen Oberinstanz. Das stellt die Demokratie auf den Kopf.

(2.) Umso komplexer und spezieller Regelungen werden, umso mehr laufen sie Gefahr sich entweder untereinander zu widersprechen oder sie widersprechen allgemeinen moralischen Überlegungen. Moralisch eindeutig kann man sich dann irgendwann nicht mehr verhalten. Eine hohe Regelungskomplexität führt unweigerlich zu einer Wischi-Waschi-Ethik, selbst wenn die Gesetzgeber eigentlich hohe moralische Maßstäbe an die einzelne Regelung gelegt hatten.

Statt zentralen Kommissionen, die sich besseres Wissen anmaßen, muss der dezentralen individuellen Verantwortung wieder Geltung verschafft werden. Und genau dafür steht zum Beispiel das Selbst- und gesellschaftliche Verständnis des ehrbaren Kaufmanns. Ihn vorschreiben zu wollen, ist ein Widerspruch in sich.

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