Tichys Einblick
Habecks Wirtschaftswunder

Dax-Rekord und trübe Stimmung in Deutschland: Wie passt das zusammen?

Für den Sprung des Aktienindex über 20.000 Punkte gibt es mehrere Gründe. An Habecks Wirtschaftspolitik, wie manche seiner Anhänger glauben, liegt es jedenfalls nicht. Im Gegenteil.

Muffins mit der Aufschrift "Dax 20.000" sind in der Frankfurter Börse zu sehen. Der Dax hat am Dienstag den 3. Dezember die Marke von 20.000 Punkten erstmals kurzzeitig überschritten und damit ein neues Allzeithoch markiert.

picture alliance/dpa | Helmut Fricke

Am 3. Dezember übersprang der Aktienindex Dax zum ersten Mal die psychologisch wichtige Marke von 20.000 Punkten. Bis heute hält er sich oberhalb der Linie. Seit Anfang 2024 legte er damit um gut 20 Prozent zu. Die Grünen, schon im Wahlkampfmodus, fluteten umgehend X mit Jubelmeldungen. Für sie versteht es sich von selbst, wem das Verdienst für den Dax-Sprung zusteht: Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Mit der Realität hat diese Deutung nichts zu tun. Aber wie passt der Boom an der Börse überhaupt zur ziemlich trüben ökonomischen Lage im Land? Die Bundesregierung selbst prognostizierte im Oktober für das Gesamtjahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 0,2 Prozent. Damit gehört Deutschlands Wirtschaftsentwicklung zu den schwächsten Industriestaaten weltweit. Im Mai 2024 rechnete der Sachverständigenrat mit einem winzigen Plus von 0,2 Prozent. Im September erreichte der ifo-Geschäftsklimaindex mit 85,4 Punkten einen neuen Tiefstand, und verzeichnete den vierten Rückgang in Folge. Der Wert liegt noch unter dem Durchschnitt des Corona-Jahres 2020. „Die deutsche Wirtschaft“, kommentiert Ifo-Präsident Clemens Fuest, „gerät immer stärker unter Druck“.

Das zeigt sich an einer Kurve, die ausnahmsweise steil nach oben weist: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen lag im August 2024 um 10,7 Prozent über dem Vorjahresmonat, im September schon um 13,7 Prozent, im Oktober sprang der Wert auf ein Plus von 22,9 Prozent mehr Regelinsolvenzen, verglichen mit dem Stand vor 12 Monaten. Dazu kommt eine lange Jobabbau-Liste bei Unternehmen: minus 14.000 Stellen beim Getriebehersteller ZF, 13.000 beim Reifenproduzenten Continental, 11-000 bei Thyssenkrupp, 10.000 bei Volkswagen, und selbst 5.300 bei der bisher sehr gut laufenden Softwareschmiede SAP.

Warum findet an der Börse trotzdem ein Kursfeuerwerk statt? Ein genauerer Blick löst das Rätsel. Denn die freudige Nachricht bezieht sich nur auf den Dax, der die 40 wertvollsten börsennotierten Unternehmen vereint. Der Index steht zwar für 80 Prozent der Kapitalisierung aller börsennotierten deutschen Firmen zusammengenommen – aber trotzdem bietet er nur einen kleinen und nicht repräsentativen Ausschnitt der Volkswirtschaft. Denn die Dax-Unternehmen agieren weltweit, 82 Prozent ihrer Gewinne erwirtschaften sie im Ausland. Und dort, auf dem US-Markt, in vielen asiatischen Ländern und selbst in manchen EU-Ländern sehen die Wachstumszahlen sehr viel besser aus als in Deutschland. Im Nachbarland Polen etwa wächst die Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich um drei Prozent, für 2025 liegt die Prognose sogar bei 3,6 Prozent.

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Es herrscht also nicht, wie Robert Habeck immer wieder suggeriert, weltweit eine schwierige Lage, sondern speziell in Deutschland. Am deutlichsten beschrieb der frühere Vorstandschef von BASF Martin Brudermüller vor einiger Zeit die Lage: „Wir machen überall in der Welt Gewinne, außer in Deutschland. Der Standort Ludwigshafen macht 1,6 Milliarden Verlust.“ Zum einen spiegelt sich in dem Dax-Hoch also die vergleichsweise positive konjunkturelle Lage in den Weltgegenden wider, in denen deutsche Großunternehmen viele ihrer Standorte unterhalten, und in denen sie ihre Produkte verkaufen. Und mit dem beschlossenen Stellenabbau im Inland bei BASF, VW, Evonik und vielen anderen dürften viele Firmen deshalb ihre Gesamtbilanz weiter verbessern. Da es sich bei Aktienbewertungen immer um eine Wette auf die Zukunft handelt, hebt auch die Jobverlagerung aus der Heimat ins Ausland die Kurse.

Wie wenig der Dax über die wirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik Auskunft gibt, zeigt sich beim Blick auf den MDax, der viele mittlere Firmen zusammenfasst, die sich weniger stark international orientieren. Dieser Index bewegte sich in den vergangenen 12 Monaten insgesamt kaum von der Stelle, Mitte Dezember 2023 befand er sich ziemlich genau auf dem gleichen Punktestand wie heute. Gegenüber seinem Höchststand im August 2021 verlor er gut 8000 Punkte. Nur eine kleine Minderheit der Unternehmen in Deutschland ist überhaupt börsennotiert. Wenn viele kleine Handwerker, Gastronomen und Hotelbetreiber aufgeben oder einen Teil ihrer Mitarbeiter entlassen müssen, nimmt bestenfalls die Heimatzeitung davon Notiz.

Für den Dax-Höhenflug gibt es außerdem einen technischen Grund: Nach den Zinssenkungen der EZB fließt anlagesuchendes Kapital, das vorher im Anleihenmarkt geparkt war, wieder verstärkt in Aktien – zumal deutsche und europäische Bluechip-Papiere im Vergleich zu den sehr stark gestiegenen US-Technologieaktien wie Nvidia und Palantir eine eher günstige Bewertung aufweisen. Auch kleine Investoren in Deutschland tun gut daran, angesichts fallender Zinsen und der wieder anziehenden Inflation Festgeld in gut ausgewählte Aktien umzuschichten, die ein Wachstumspotenzial aufweisen und solide Dividenden zahlen.

Mit Habecks Wirtschaftspolitik hat der Dax-Rekord also bestenfalls mittelbar zu tun: Das Kapital strömt vorrangig in die Papiere von Unternehmen, die sich der schlechten Lage in Deutschland noch am besten entziehen können.

Etliche Grünen-Wähler werden trotzdem glauben, ihr Kanzlerkandidat hätte ein Wunder bewirkt.

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