Tichys Einblick
„Liberation Day“

Das Zollbeben: Wie Trump die Weltwirtschaft neu ordnet

Ein Beben durchzieht die Welt der Zahlen, ein Vorbote der neuen Zeit: Die Volte weg vom Freihandel und hin zur Abschottung der Vereinigten Staaten durchschüttelt die eingespielte Choreographie der globalen Märkte – eine Neuordnung des Handels zeichnet sich ab. Von Thomas Kolbe

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Evan Vucci

Machtpolitik ist Defensivpolitik. Dominante politische Körper flüchten sich in ihre Arme, wenn es für sie eng wird. Die USA sind der Hegemon unserer Zeit, und sie weichen nicht länger vor ihren Problemen in den rhetorischen Nebel der Moralerzählungen aus, jetzt packen sie an! Mit dem Zollvorstoß adressiert Präsident Donald Trump das Problem, das die Nation seit den Tagen des Endes des Goldstandards im Jahr 1971 vor sich herschob: Fiskaldebakel und Handelsdefizit.

Ab der Bretton Woods Konferenz 1944 zeichneten die USA verantwortlich für die Weltreservewährung – mit allen positiven, aber auch negativen Konsequenzen. Im Maschinenraum der Globalökonomie ist der Dollar seither das Schmiermittel – und die USA versorgen Banken und Schuldner, indem sie ein chronisch wachsendes Handelsbilanzdefizit zuließen, bis zum 2. April 2025, dem zum „Liberation Day“ ausgerufenen Tag der großen Wende.

Zollpolitik als Dampfhammer

Die Trump-Regierung hat sich den Kampf gegen dieses Doppeldefizit nicht erst vor wenigen Tagen auf ihre Fahne geschrieben. Wer der Trump-Kampagne seit 2023 folgte, konnte antizipieren, was nun ansteht: eine neue Handelsordnung, mit den USA als Ordner der internationalen Lieferketten. Und dies geschieht mit maximaler Radikalität. Aggressive Zölle, ein schwächerer Dollar, sinkende Zinsen, Steuersenkungen und Deregulierung sind die Vektoren der US-Regierung in ihrem Kampf gegen einen Feind, der die Gesellschaft wie eine schleichende Vergiftung durchdrungen hat: die Verschuldung. Sie ist Ausdruck einer hohen Zeitpräferenz, des Wunsches, über Dinge ohne größere Anstrengung zu verfügen. Wer die Weltreservewährung innehat, verbilligt seinen importierten Konsum, da die Nachfrage nach dieser Devise grenzenlos scheint.

Und diese Vergiftung hält Politik und große Teile des privaten Sektors gleichermaßen im Würgegriff. Hinter dem Vorhang aus Zollhammer und aggressiver Rhetorik schimmert eine tiefere Sehnsucht hervor: eine wieder aufblühende heimische Industrie, die Rückkehr nationaler Schöpfungskraft, ein Wandel vom Konsumrausch zum Unternehmergeist. Es geht um nichts geringeres als die Wiederbelebung des amerikanischen Spirits des „Do it Yourself“. Der wurde seit Nixons versteckter Staatspleite von 1971, dem besagten Ende der Gold-Konvertibilität des Dollar zum gesetzten Kurs, outgesourct. Zurück blieben Industrieruinen und soziale Krisen. Der „Rust Belt“, die Region die am meisten unter diesem Politikregime litt, ist der formgewordene Albtraum, der einfach nicht zum Ende kommen will.

Erwartbare Reaktion allerorten

Doch wie gut hat die US-Regierung die Reaktionsmuster ihrer Handelspartner antizipiert, wie präzise hat sie Zweitrundeneffekte einkalkuliert? Der Zollschritt, der exakt auf die jeweiligen nationalen Handelsdefizite der US-Wirtschaft abgestimmt ist, wird einen gewaltigen Impakt an den Märkte haben. Die Börse verkaufte zunächst ab, stabilisiert sich aber wieder, nachdem nun das Damoklesschwert „Zoll“ einmal herabgesaust ist. Wie reagieren US-Dollar und Anleihenmärkte auf diese massive Verwerfung des Status quo?

Nach Turbulenzen und hoher Volatilität dürfte man zur Tagesordnung übergehen und sich der Kreditrisiken andernorts bewusst werden, beispielsweise in der Eurozone. Hier reagierte man zunächst trotzig: Während der französische Präsident Emmanuel Macron europäische Unternehmen auffordert, ihre Investitionen in den USA zunächst auf Eis zu legen, deuten erste Stimmen aus Brüssel an, sich die amerikanischen Tech-Konzerne regulatorisch vor die (schwächliche) Brust zu nehmen. Vor allem auf Elon Musks „X“ hat man es abgesehen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und die Zensurbemühungen der Europäer, die an der Plattform bislang wirkungslos abprallten, ins Kalkül nimmt.

USA bleiben am Ball

Derweil gehen die Amerikaner in die Offensive und kündigen massive Steuersenkungen an. Es geht um eine zügige Re-Industrialisierung des Landes, um Jobaufbau im Privatsektor, der die Entlassungswelle Zehntausender aus der überbordenden Staatsbürokratie auffangen soll. Flankierend wird der Energiesektor dereguliert, was den amerikanischen Betrieben des Fertigungssektors messbare komparative Kostenvorteile gegenüber ihrer europäischen Konkurrenz sichern wird.

So soll das Handelsdefizit beseitigt werde, das im vergangenen Jahr auf sage und schreibe 794 Milliarden Dollar anschwoll. Dass die Märkte die Zollkeule nicht antizipierten, ist bemerkenswert, machte Donald Trump doch nie ein Hehl aus seinen Plänen, diese zur Not mit der Brechstange aus der Welt zu schaffen. Immer wieder betonte Trump, man ließe sich nicht länger über den Tisch ziehen und auszehren. Und er wies dabei mehr als einmal in Richtung Brüssel. Schlüsselsektoren wie die Automobilindustrie (das wird Deutschland hart treffen), die Halbleiterbranche oder auch KI-Datencenter sollen künftig unter der Flagge „Made in the USA“ ein famoses Comeback erleben.

Kollateralschaden Eurodollarmarkt

Diese Politik ist national ausgerichtet und sie könnte in der Tat wirken. Aber sie bringt Kollateralschäden mit sich. Es ist nicht nur der erschwerte Preiswettbewerb, dem sich künftig ausländische Unternehmen auf dem US-Markt gegenübersehen. Ein schrumpfendes Handelsdefizit der USA wird sich massiv auf den internationalen Kapitalmarkt auswirken. Dort entstand seit dem Ende des 2. Weltkriegs ein Dollar-denominierter Kreditmarkt, der sogenannte „Eurodollarmarkt“. Er ist die große Unbekannte bei dem Rennen um günstigen Dollarkredit, der nach wie vor als Weltreservewährung mit einem Anteil von über 50 Prozent den Kreditmechanismus der globalen Wirtschaft dominiert.

Selbst die forcierte Abkehr Chinas oder das im Rahmen der Sanktionspolitik erzwungene Ausscheiden Russlands aus dem Zahlungssystem SWIFT konnten diese Dominanz nicht brechen. Wie werden internationale Banken auf das langsame Austrocknen dieses Liquiditätsflusses reagieren? Wie werden sich Staaten refinanzieren, die für ihren Schuldendienst neuen US-Dollar-Kredit beanspruchen? Wir stehen vor einer Zeit extremer Spannungen im Kreditgebälk.

Klar ist: Sollte es der US-Regierung gelingen, das Handelsdefizit zu reduzieren, wird Dollar-Kredit teurer. Fiskalische Spielräume schrumpfen dann zusammen wie Eis in der Sonne und die Federal Reserve gewinnt neue Preissetzungsmacht über ihr Produkt: den Dollar-Kredit. Ist dieser Prozess einmal in Gang gesetzt, erleben wir tatsächlich, was Donald Trump mit seinem „Liberation Day“ erreichen wollte: eine Neuordnung der globalen Ökonomie.


Thomas Kolbe, studierter Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als freier Publizist widmet er sich schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte. Seine Publikationen folgen den Prinzipien libertären Denkens und einer Philosophie, die das Individuum und seine Selbstbestimmungsrechte in den Mittelpunkt rückt.

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