Wie Blumen, die aus Asphaltrissen strebend die farbliche Indifferenz verwitterten Betons hinter vergänglicher Pracht verstecken, bilden die Messehostessen einen Schutzwall vor den grauen Männern. Man kommt an ihnen nicht einfach so vorbei, jedenfalls nicht, ohne die Vortäuschung strahlend guter Laune zu ertragen. Und vor allem nicht, ohne sich ihren von Optimismus überquellenden Textbausteinen auszusetzen. Eine Ermüdungstaktik, nach der man den Einflüsterungen der lauernden Vertriebssoldaten noch weniger Widerstand zu leisten imstande ist. Sie haben nämlich überraschend viel Zeit, die Nebenjob-Studentinnen in ihren figurbetonenden Kostümen ebenso, wie die Verkäufer in ihren figurverdeckenden Stangenanzügen. Und stürzen sich daher auf jeden, der für einen kurzen Blick auf die ausgestellten Produkte innehält, selbst wenn aus diesem nur oberflächliches Desinteresse spricht. Von leeren Hallen zu berichten wäre zwar übertrieben, obwohl die IAA Nutzfahrzeugmesse in Hannover schon mal deutlich mehr Volk anzog. Doch das inspirierende Element fehlt. Kein Funke ist zu spüren, der zwischen Besuchern und Ausstellern überspringen könnte. Es ist ein gewohnheitsmäßiges Treffen alter Bekannter, die sich schon längst nichts mehr zu sagen haben.
Natürlich sind die Hersteller von Güter- und Menschentransportfahrzeugen aller Art noch nie als Innovationstreiber aufgefallen. Aber sie bilden eine Branche, in der Ideen anderer gerne aufgegriffen und in reale Werte verwandelt werden. Dieses Muster scheint zerbrochen. Gelangweilte Empfangsdamen, deren Gesichter von leergekauften Kosmetikregalen in Drogeriemärkten künden und graue Männer, hinter deren von Alkohol und Tabak gestalteten Zügen melancholische Verzweiflung lauert, erzählen zwischen den Zeilen von zerreißenden Fäden. Sicher könnten sie mit ihren jahrzehntelang geschulten Instinkten noch immer einem Eskimo einen Gefrierschrank andrehen. Wenn man sie nur ließe. Wenn man ihnen nur den geeigneten Gefrierschrank bereitstellte. Stattdessen zwingt man sie, über zweihundert Kilometer Reichweite zu faseln, als wäre dies eine Offenbarung.
Bereits erhältliche oder zumindest als „marktnah“ deklarierte Batteriefahrzeuge hat man nach vorne gestellt, in die erste Reihe, ins Licht. Allesamt konventionelle Typen mit reduzierter Zuladung, da ein paar tausend Kilogramm Energiespeicher zusätzlich am Fahrwerksrahmen hängen. Zweihundert Kilometer Reichweite etablieren sich gerade selbstorganisiert ohne jede Absprache oder administrative Vorgabe als neuer Industriestandard. Es ist ungefähr die Strecke, die ein zwanzig Tonnen schweres Fahrzeug mit zwei Tonnen Batteriemasse nach Herstellerangaben, also unter idealen Bedingungen, rein elektrisch zurücklegen kann. Die wenigsten Aussteller schreiben diese Zahl in ihre Produktinformationen. Aber alle nennen sie auf hartnäckige Nachfrage im direkten Gespräch. Man glaubt, die Käufer würden das so akzeptieren. Weil alle möglichen Medien behaupten, bald gäbe es nur noch Elektromobilität. Weil die Politiker diese herbeireden, ja erzwingen würden. Weil die Chinesen das auch so sehen.
An deren Ständen man nur noch Elektrofahrzeuge findet. Für zweihundert Kilometer natürlich. An deren Ständen man außer dicht geparkten Batterietransportern und Bussen aller Klassen eigentlich nur Chinesen sieht und niemanden sonst. Lächelnde, gut gelaunte Chinesen, kann es ihnen doch egal sein, ob Kunden kommen oder nicht. Sie müssen nur da sein und sich zeigen mit ihren Batteriekarren. Denn das genügt völlig, um eine deutsche Regierung dazu zu bringen, sich chinesischer Industriepolitik anzuschließen.
Dabei ist der Diesel noch lange nicht weg. Vor einer ausgestellten Sechzehn-Liter-Maschine mit 750 PS wartet der schlaksige Hipster, der trotz seiner Kleidung deutlich ausstrahlt, noch nie einem Holzfällerlager nahe gekommen zu sein, geduldig ab, bis ich fotografiert habe. Dann stürzt er vor und rückt dem Motor mit Maßband und Notizbuch zu Leibe, sich akribisch die Werte notierend, die seine von allerlei Verrenkungen begleitete Untersuchung ergibt. Kompetenzaufbau durch Interesse immunisiert gegen jedwedes Moralisieren.
Was nämlich wirklich zählt, belegt ein eher unscheinbares, nicht auf einem Drehteller positioniertes Exponat. Vor dem sich ein menschlicher Schrank aufbaut, in seiner breitenidentischen Höhe scheinbar einem kubistischen Kunstprojekt entsprungen. Okay, sage ich, wer berührt stirbt, oder? Worauf der Schrank lacht und das Eis gebrochen ist. Er tritt zur Seite, damit ich den Renault-Milchauslieferungswagen aus dem Jahr 1900 in Ruhe betrachten kann. Der Wächterschrank behauptet, das Gerät sei ein Original. Tischler, so stellt sich heraus, ist er eigentlich. Unaufgefordert, es den nach Kommunikation gierenden Hostessen aus dem Büromodekatalog gleichtuend, beginnt er zu referieren. Über die Bauweise der hölzernen Karosserie und warum diese immer noch vorhanden und immer noch stabil genug ist. Selbst zur Lackierung und deren typische Alterserscheinungen vermag er etwas zu sagen. Es hat zwar keinen Diesel, der in dieser Epoche noch nicht für Fahrzeuge zur Verfügung stand, sondern einen Einzylinder-Otto mit 3,5 PS. Aber fahrbereit sei der Wagen dennoch. Nach fast 120 Jahren.
Transportlogistik ist, und das hatten nicht nur die Gebrüder Renault einst begriffen, vor allem Zuverlässigkeit. Es geht darum, die Regale der Supermärkte auch am Tag nach dem Weltuntergang zu befüllen, Tankstellen zu versorgen und Online-Einkäufe auszuliefern. Die Menschen wollen, nachdem sie die Apokalypse in einer Sondersendung mit anschließender Talkshow ausreichend intensiv verfolgt haben, in dem Wissen zu Bett gehen, dass der Bus am nächsten Morgen pünktlich ist. Das leistet der Diesel, dessen Flexibilität und Robustheit ihn in Schiffen, Eisenbahnen und Lastkraftwagen bis heute zum Antrieb der Globalisierung machen. Er wird diese Rolle nie an ein Antriebssystem abgeben, das nach zweihundert Kilometern zu stundenlangen Zwangspausen an einer vielleicht vorhandenen Ladeinfrastruktur zwingt. Ganz egal, ob man ihn nun mit konventionellem Treibstoff, mit Erdgas in Form von CNG oder LNG, mit Pflanzenöl, mit allerlei synthetischen Varianten auf Kohlenstoff- oder Stickstoffbasis oder eben auch direkt mit Wasserstoff füttert. Die Chinesen sind mit ihren Batterievehikeln eben nur da, weil es den Diesel gibt. Sie ignorieren ihn nicht aus besserem Wissen, sondern aus der Erkenntnis heraus, die über viele Jahrzehnte aufgebaute Kunstfertigkeit und Kompetenz westlicher Ingenieure niemals mehr einholen zu können. Man wünscht sich hierzulande eine Regierung, die das auch versteht. Dann dürfen die Chinesen jetzt gerne ihren Spaß haben. Am Ende zählt, wer zuletzt lacht.