Im Jahre 1970 debütierte Katja Ebstein als deutsche Vertreterin beim Eurovision Musikwettbewerb (heute Eurovision Song Contest) in Amsterdam mit dem Lied: “Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen, Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst Du sie auch sehen….“ (und wurde damit Dritte).
Heute, fünfzig Jahre danach, ist das Thema aktueller denn je! Denn mitten im Kampf gegen das CoV-2-Virus und mitten im neuerlichen und verschärften Lockdown kommen Meldungen aus der deutschen Wirtschaft, die an ein Wunder grenzen: Während viele professionelle Konjunkturauguren und Wirtschaftsjournalisten noch im Frühjahr während des ersten Lockdowns den Fast-Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft mit BIP-Rückgang um 9 Prozent in 2020 (Ausnahme: Die „Fünf Weisen“ vom Sachverständigenrat) und rekordhoher Arbeitslosigkeit schwarz an die Wand malten, ist nichts dergleichen geschehen.
Im Gegenteil. In diesem Meer von Prognose-Traurigkeit ereignete(n) sich in der deutschen Industrie ein wahres Wirtschaftswunder, genauer gesagt zwei:
- Zum einen kam es ganz anders, nämlich erheblich besser, als vorhergesagt: aus dem unterstellten U oder L im Verlauf des BIP-Wachstums wurde ein veritables V. Die Industrie erweist sich dabei als das, was sie immer war, nämlich als Stütze der deutschen Wirtschaft. Nach neuesten amtlichen Zahlen ist ihre momentane Geschäftslage so stabil, als wäre Corona längst aus der Welt – könnte man meinen.
- Zum anderen: Kaum jemand von den vielen Konjunktur- und Verbandsanalysten scheint davon etwas bemerkt zu haben, zumindest hat man die Politik darüber nicht in Kenntnis gesetzt.
Die aktuelle Lage in der deutschen Wirtschaft zu Beginn 2021 stellt sich in Kurzform wie folgt dar:
- Der Aufschwung, der nach dem 1. Lockdown im zweiten Quartal einsetzte, hielt bis zum Beginn des zweiten Lockdown gegen Jahresende 2020 unvermindert an. Nach den neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind die Auftragsbücher so voll, als hätte es Corona nie gegeben.
- Wachsende Auftragspolster und gut ausgelastete Produktionshallen kennzeichnen das gegenwärtige Bild. Das liegt nicht zuletzt an der robusten Nachfrage aus China.
- Nach den jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamtes, liegt der Bestand an nicht abgearbeiteten Aufträgen mittlerweile deutlich über dem Vorkrisenniveau: Im Februar 2020, dem letzten Monat vor dem Überschwappen der Pandemie nach Europa, betrug der Indexwert der Statistiker 115 Zähler. Wobei man allerdings einräumen muss, dass die Industrie zu diesem Zeitpunkt bereits einen über zwölfmonatigen konjunkturellen Abschmelzprozess der Auftragsbestände hinter sich hatte.
- Es folgte im ersten Halbjahr ein schwerer Einbruch für die deutsche Industrie. Beginnend im Juni ging es dann aber wieder steil bergauf, so dass der Auftragsbestand im November 118,7 Punkte erreichte – um saisonale Sondereffekte bereinigt. Hält der Aufwärtstrend an, rückt das Allzeithoch von 120,5 Punkten aus Dezember 2018 immer näher.
- Die Hauptimpulse für die rasche Erholung der Industriekonjunktur kamen wie schon immer in den letzten Jahrzehnten aus dem Ausland. Diesmal speziell aus China, das als erstes Land mit rigorosen, autoritären Maßnahmen die Corona Pandemie weitgehend in den Griff bekam und auf seinen Vor-Corona Wachstumskurs zurückgekehrte.
- Hinzu kam allerdings dann eine verstärkte Bestelltätigkeit aus dem Inland, für einzelne Produkte wie Halbleiterchips allerdings vielfach zu spät: Lieferengpässe behindern zwischenzeitlich die Produktion beim Konjunkturmotor Autoindustrie – völlig losgelöst von Corona. Die Reichweite der Auftragsbestände in der Industrie liegt zwar rechnerisch bei sechseinhalb Monaten. Halten die Lieferengpässe bei notwendigen elektronischen Zulieferteilen aber weiter an, werden die Statistiker aus Wiesbaden in den kommenden Monaten weiter steigende Auftragsbestände vermelden können. IT-Experten schätzen, das global wegen fehlender Halbleiterchips 2021 4,5 Millionen Autos weniger gebaut werden können als geplant.
- Am stärksten waren Automobile und Einrichtungsgegenstände gefragt, verglichen mit Februar 2020 nahm hier die Nachfrage um knapp 24 Prozent aus dem Inland und rund 19 Prozent aus dem Ausland zu.
- Es gibt aber auch erhebliche Problembereiche, die nicht unter den Tisch der Euphorie fallen dürfen und nicht in der Industriestatistik verzeichnet sind: alle kontaktintensiven Dienstleistungsbereiche wie Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe sowie körpernahe Dienstleistungen und Kultur stehen vielfach vor dem Ruin, während Online-Lieferdienste und Versandhandel boomen. In der BIP-Statistik fallen diese Sektoren mit weniger als 5 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt zwar kaum ins Gewicht, beim persönlichen Wohlbefinden dagegen umso mehr.
Der Ausblick auf die nächsten Monate lässt auf längere Sicht im Trend eine weiter positive Entwicklung des BIP-Wachstums erwarten –trotz des neuerlichen und verschärften Lockdowns. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Lernkurve: Wirtschaft und Gesellschaft haben aus dem ersten Lockdown Erfahrungen gesammelt und Anpassungsmechanismen, wie Homeoffice etc. entwickelt. Der Wertschöpfungsprozess ist dadurch insgesamt robuster und effizienter geworden.
- Neuer Stabilitätsanker für den Wachstumsprozess und die Beschäftigung sind Bauindustrie und Verarbeitendes Gewerbe geworden. Die Frühindikatoren für diese Sektoren, wie der ifo-Geschäftsklimaindex oder das Einkaufsmanagerbarometer zeigen bis zuletzt weiter nach oben.
- Auch die Exportimpulse aus China und demnächst auch wieder aus den USA werden sich positiv entwickeln, von neuerlichen Einbrüchen keine Spur.
- Geld- und Fiskalpolitik behalten angekündigt global ihren stark expansiven Kurs bei.
Dennoch wird der zweite Lockdown im ersten Quartal 2021 in der deutschen Wirtschaft zu einer erneuten Wachstumsverlangsamung führen. Nachdem die Wirtschaftsleistung im Schlussquartal 2020 noch stagniert hatte, dürfte sie nun nach Meinung des DIW erneut um 3 Prozent schrumpfen.
China als Schicksal der deutschen Auto-Konzerne
Für die deutsche Leitindustrie, die Auto-Industrie gilt noch mehr als für andere Industriezweige: China ist ihr Schicksal geworden. Aber nicht in erster Linie durch den Export nach China. Wenn die Automobilwoche (25.01.2021) titelt: „Vier von 10 deutschen Neuwagen gehen nach China“, so ist das eigentlich nicht ganz richtig. Denn drei von diesen vier „deutschen“ Neuwagen werden in China selbst produziert. Aus Deutschland wurden 2020 lediglich 280.000 Automobile direkt nach China exportiert (rd. 10 vH des deutschen Gesamt-Pkw-Exports), ca. 400.000 – 500.000 SUVs wurden aus den USA nach China geliefert. Von der deutschen Automobil-Weltproduktion sind 2020 5,4 Millionen oder 38 Prozent der Automobile mit deutschem Markenzeichen in China verkauft worden. Legt man eine Studie des Center Automotive Research (CAR) zugrunde, haben die deutschen Automobilhersteller Volkswagen, Daimler und BMW 2020 weltweit 14,16 Millionen Fahrzeuge produziert – davon allerdings mit 3,6 Millionen nur noch rd. ein Fünftel in Deutschland selber.
Die Bedeutung des chinesischen Markts für die deutsche Autobranche nimmt damit trotz Coronakrise weiter rasant zu. Nach Berechnungen des CAR-Instituts ist der China-Anteil am Gesamtabsatz – und damit auch die Abhängigkeit von einem einzelnen Markt überdies sozialistischer Prägung – bei allen drei deutschen Autokonzernen 2020 deutlich gestiegen:
- BMW verkaufte 33,4 vH der Neuwagen nach China, 2019 waren es 28,5 vH.
- Bei Daimler waren es 30,6 vH gegenüber 25,3 vH im Vorjahr,
- beim VW-Konzern stieg der Anteil auf 41,4 vH gegenüber 38,6 vH 2019
Zu diesem sprunghaften Anstieg wäre es allerding trotz aller Wertschätzung der deutschen Automobile in China nicht gekommen, wenn der chinesische Markt 2020 im Jahresdurchschnitt nicht ebenfalls um 6,1 Prozent und 2,10 Millionen auf 19,79 Millionen gesunken wäre. Der Absatz deutscher Neuwagen ging lediglich um rd. 250.000 Einheiten ( -4,4 Prozent) zurück, lt. CAR ausschließlich verursacht durch VW (- 384,000).
Absehbar ist, dass sich die deutschen Anteilsgewinne auf dem chinesischen Markt 2021 wieder normalisieren, aber nicht wegen Verschlechterung der Wettbewerbsposition, sondern weil der chinesische Markt wieder überdurchschnittlich wachsen wird, vor allem bei den chinesischen Herstellern selber.
Angesichts dieser Lage ist dann auch nachvollziehbar, dass VW-Chef Herbert Diess bei der Tagung des World Economic Forum ausgesprochen wohlwollend über China spricht: „Ich denke, dass sich China in die richtige Richtung bewegt. Wir konnten im vergangenen Jahr erreichen, dass zwei unserer Joint-Ventures nun mehrheitlich Volkswagen gehören. Das war über 30 Jahre lang unmöglich.“ Und dann sagt er noch: „Wir sehen, dass die Demokratie in China nicht vorankommt. Aber mit dem Land Handel zu treiben, miteinander zu kommunizieren, dort aktiv zu sein ist viel besser, als sich herauszuziehen aus China.“