Tichys Einblick
Trotz Corona

Das Wunder der deutschen Industrie – und ihre Abhängigkeit von China

In krassem Gegensatz zu kontaktintensiven Dienstleistungen boomt die deutsche Industrie wieder. Die Hauptimpulse kamen aus dem Ausland. Speziell aus China. Mittlerweile sind vor allem deutsche Autokonzerne weitgehend vom chinesischen Markt abhängig. Insofern kann nicht überraschen, was VW-Chef Diess beim WEF sagte.

VW-Werk in Wolfsburg

imago images / regios24

Im Jahre 1970 debütierte Katja Ebstein als deutsche Vertreterin beim Eurovision Musikwettbewerb (heute Eurovision Song Contest) in Amsterdam mit dem Lied: “Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen, Wunder gibt es immer wieder, wenn sie dir begegnen, musst Du sie auch sehen….“ (und wurde damit Dritte).

Heute, fünfzig Jahre danach, ist das Thema aktueller denn je! Denn mitten im Kampf gegen das CoV-2-Virus und mitten im neuerlichen und verschärften Lockdown kommen Meldungen aus der deutschen Wirtschaft, die an ein Wunder grenzen: Während viele professionelle Konjunkturauguren und Wirtschaftsjournalisten noch im Frühjahr während des ersten Lockdowns den Fast-Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft mit BIP-Rückgang um 9 Prozent in 2020 (Ausnahme: Die „Fünf Weisen“ vom Sachverständigenrat) und rekordhoher Arbeitslosigkeit schwarz an die Wand malten, ist nichts dergleichen geschehen. 

Im Gegenteil. In diesem Meer von Prognose-Traurigkeit ereignete(n) sich in der deutschen Industrie ein wahres Wirtschaftswunder, genauer gesagt zwei:

Die aktuelle Lage in der deutschen Wirtschaft zu Beginn 2021 stellt sich in Kurzform wie folgt dar:

Der Ausblick auf die nächsten Monate lässt auf längere Sicht im Trend eine weiter positive Entwicklung des BIP-Wachstums erwarten –trotz des neuerlichen und verschärften Lockdowns. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Dennoch wird der zweite Lockdown im ersten Quartal 2021 in der deutschen Wirtschaft zu einer erneuten Wachstumsverlangsamung führen. Nachdem die Wirtschaftsleistung im Schlussquartal 2020 noch stagniert hatte, dürfte sie nun nach Meinung des DIW erneut um 3 Prozent schrumpfen.

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Im Anschluss daran rechnet das DIW zum Sommer hin mit einer ausgeprägten Erholung und einem BIP-Wachstum von 4,5 Prozent im zweiten Quartal. Für das gesamte Jahr 2021 gehen die Berliner Experten von einem Anstieg von rd. 3 Prozent aus. Der Wertschöpfungsverlust von 5 Prozent aus 2020 kann damit aus heutiger Sicht noch nicht aufgeholt werden.
China als Schicksal der deutschen Auto-Konzerne

Für die deutsche Leitindustrie, die Auto-Industrie gilt noch mehr als für andere Industriezweige: China ist ihr Schicksal geworden. Aber nicht in erster Linie durch den Export nach China. Wenn die Automobilwoche (25.01.2021) titelt: „Vier von 10 deutschen Neuwagen gehen nach China“, so ist das eigentlich nicht ganz richtig. Denn drei von diesen vier „deutschen“ Neuwagen werden in China selbst produziert.  Aus Deutschland wurden 2020 lediglich 280.000 Automobile direkt nach China exportiert (rd. 10 vH des deutschen Gesamt-Pkw-Exports), ca. 400.000 – 500.000 SUVs wurden aus den USA nach China geliefert. Von der deutschen Automobil-Weltproduktion sind 2020 5,4 Millionen oder 38 Prozent der Automobile mit deutschem Markenzeichen in China verkauft worden. Legt man eine Studie des Center Automotive Research (CAR) zugrunde, haben die deutschen Automobilhersteller Volkswagen, Daimler und BMW 2020 weltweit 14,16 Millionen Fahrzeuge produziert – davon allerdings mit 3,6 Millionen nur noch rd. ein Fünftel in Deutschland selber. 

Die Bedeutung des chinesischen Markts für die deutsche Autobranche nimmt damit trotz Coronakrise weiter rasant zu. Nach Berechnungen des CAR-Instituts ist der China-Anteil am Gesamtabsatz – und damit auch die Abhängigkeit von einem einzelnen Markt überdies sozialistischer Prägung –  bei allen drei deutschen Autokonzernen 2020 deutlich gestiegen:

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 Zu diesem sprunghaften Anstieg wäre es allerding trotz aller Wertschätzung der deutschen Automobile in China nicht gekommen, wenn der chinesische Markt 2020 im Jahresdurchschnitt nicht ebenfalls um 6,1 Prozent und 2,10 Millionen auf 19,79 Millionen gesunken wäre. Der Absatz deutscher Neuwagen ging lediglich um rd. 250.000 Einheiten ( -4,4 Prozent) zurück, lt. CAR ausschließlich verursacht durch VW (- 384,000).

Absehbar ist, dass sich die deutschen Anteilsgewinne auf dem chinesischen Markt 2021 wieder normalisieren, aber nicht wegen Verschlechterung der Wettbewerbsposition, sondern weil der chinesische Markt wieder überdurchschnittlich wachsen wird, vor allem bei den chinesischen Herstellern selber.

Angesichts dieser Lage ist dann auch nachvollziehbar, dass VW-Chef Herbert Diess bei der Tagung des World Economic Forum ausgesprochen wohlwollend über China spricht: „Ich denke, dass sich China in die richtige Richtung bewegt. Wir konnten im vergangenen Jahr erreichen, dass zwei unserer Joint-Ventures nun mehrheitlich Volkswagen gehören. Das war über 30 Jahre lang unmöglich.“ Und dann sagt er noch: „Wir sehen, dass die Demokratie in China nicht vorankommt. Aber mit dem Land Handel zu treiben, miteinander zu kommunizieren, dort aktiv zu sein ist viel besser, als sich herauszuziehen aus China.“

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