Erschreckende Quartalszahlen beim Bayer-Konzern: Jahresziele brechen ein. Die Finanzzahlen für das dritte Quartal 2024 zeichnen ein düsteres Bild: Der bereinigte Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) sank auf 1,25 Milliarden Euro und blieb damit deutlich hinter den Analystenerwartungen von 1,33 Milliarden Euro zurück.
Zugleich korrigierte Bayer seine Gewinnprognose für das Gesamtjahr nach unten und rechnet nun nur noch mit 10,4 bis 10,7 Milliarden Euro – ein Rückgang im Vergleich zur ursprünglichen Schätzung von bis zu 11,3 Milliarden Euro.
Diese Anpassung ist vor allem auf die Probleme im Agrarsektor zurückzuführen, der etwa 48,8 Prozent ausmacht. Auch die Herausforderungen im Pharmasektor nehmen zu. Darüber hinaus belasten die ungünstigen Standortbedingungen in Deutschland das Unternehmen erheblich.
Finanzieller Absturz: Tragischer Aktienabverkauf
Die Veröffentlichung schwacher Quartalszahlen hat den Börsenwert von Bayer in historische Tiefen stürzen lassen: Von einst beeindruckenden 120 Milliarden Euro blieben zuletzt nur noch rund 20 Milliarden Euro Marktkapitalisierung übrig. Das Abwärtsmomentum des Konzerns kennt derzeit keine Grenzen. Der Aktienkurs, der vor neun Jahren im Zuge der Monsanto-Übernahme noch über 140 Euro notierte, rutschte inzwischen zeitweise unter die 20-Euro-Marke.
Am 19. November fiel die Aktie erstmals seit zwei Jahrzehnten auf ein neues Rekordtief und notierte zwischenzeitlich bei 19,96 Euro. Eine Wende ist nicht in Sicht: Finanzexperten prognostizieren weitere Kursverluste, während auch an der Wall Street vom Niedergang des Traditionsunternehmens profitiert wird.
Der US-Hedgefonds D.E. Shaw hat eine massive Short-Position gegen Bayer eröffnet und wettet gezielt auf fallende Kurse. Mit einem Volumen von 1,02 Milliarden Euro sendet diese Spekulation ein deutliches Signal.
Notlage in der Pharmasparte – Patentverlust und Rückschläge in der Entwicklung
Die Pharmasparte, die mit 38 Prozent am Gesamtumsatz einen bedeutenden Beitrag zum Unternehmensergebnis leistet, steht vor einer Reihe erheblicher Herausforderungen. Ein zentrales Problem für Bayer ist das bevorstehende Auslaufen der Patente für einige seiner umsatzstärksten Medikamente. Dazu zählt Xarelto, ein Blutverdünner, der über Jahre hinweg hohe Umsätze generiert hat, sowie Eylea, ein Medikament zur Behandlung von Augenerkrankungen.
In den letzten Jahren hat Bayer zudem mehrere Rückschläge in der Entwicklung neuer Medikamente hinnehmen müssen. So wurde Asundexian, ein vielversprechender Gerinnungshemmer, aufgrund unzureichender Wirksamkeit in der Phase-III-Studie vorzeitig abgebrochen. Dieser Rückschlag führte damals zu einem dramatischen Kurssturz der Bayer-Aktie.
Der bevorstehende Verlust wichtiger Patente und eine fortlaufend bestehende Schwäche in der Produktentwicklung dürften in Zukunft zu weiteren Gewinneinbrüchen führen – Belastungen, die der bereits angeschlagene Konzern nur schwer verkraften wird.
Bayer in der Krise: Sorgenkind Agrarsparte
Auch Bayers Agrarsparte, insbesondere der Bereich Pflanzenschutzmittel, steht massiv unter Druck. Vor allem strengere Vorschriften und rechtliche Unsicherheiten im Zusammenhang mit dem als gesundheitsschädlich geltenden Glyphosat, das von Unternehmenstochter Monsanto produziert wird, belastet das Geschäft erheblich. Der Umsatz des einstigen Bayer-Hauptprodukts sank im dritten Quartal 2024 um 20 Prozent.
Rückblickend wird der Einstieg in das Herbizidgeschäft mit der Übernahme von Monsanto für 63 Milliarden Euro im Jahr 2018 als eine der gravierendsten Fehlentscheidungen in der Geschichte des Konzerns eingehen. Diese Akquisition markierte den Beginn einer Ära, die von erheblichen finanziellen und rechtlichen Herausforderungen geprägt war.
Monsanto-Übernahme: Ein Schuss ins Knie
Damals wurde die Übernahme von Monsanto als strategischer Schritt gefeiert, um die Position im Agrarsektor zu stärken, insbesondere bei der Entwicklung und dem Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln und Saatgut. Bayer-Chef Werner Baumann betonte das vermeintlich hohe Wertschöpfungspotenzial des Deals und sah darin die Chance, Landwirte weltweit besser zu unterstützen. Doch schon bald nach dem Abschluss offenbarte sich das ganze Ausmaß der Fehlkalkulation.
Monsanto war bekannt für den Einsatz kontroverser Chemikalien wie Glyphosat und polychlorierter Biphenyle (PCBs). Beide Substanzen sind nicht nur umstritten, sondern auch potenziell gesundheitsschädlich. Bereits vor der Übernahme liefen in den USA erste Klagen gegen Monsanto wegen Glyphosat, das mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung gebracht wurde. Bayer war sich der Risiken bewusst, unterschätzte jedoch die potenziellen finanziellen Belastungen.
Nach der Übernahme sah sich der Konzern einer beispiellosen Klagewelle ausgesetzt. Mehr als 60.000 Klagen sind bis heute anhängig, und bereits verlorene Verfahren führten zu Schadensersatzzahlungen in Milliardenhöhe. Laut Bayer-Chef Bill Anderson gibt man für Rechtsstreitigkeiten diesbezüglich mehr aus als die 2,4 Milliarden Euro pro Jahr, die in Forschung und Entwicklung fließen.
Hochmütige Übernahme führt zu unbeglichener Schuldenlast
Zudem verstärken die erheblichen Schulden, die im Zuge der Übernahme des Herbizidproduzenten entstanden, die prekäre Lage des Konzerns erheblich. Um den Kaufpreis für Monsanto zu finanzieren, verschuldete sich Bayer erheblich.
Um den finanziellen Druck zu lindern und den Forderungen nachzukommen, plant Bayer ab 2026 jährliche Einsparungen von gigantischen zwei Milliarden Euro. Diese Maßnahmen beinhalten unter anderem den Abbau mehrerer Tausend Stellen, vor allem in den mittleren Führungsebenen. Derzeit beschäftigt Bayer in Deutschland rund 22.200 Mitarbeiter, jedoch ist unklar, wie viele von den Kürzungen betroffen sein werden.
Ungünstige Standortbedingungen verschärfen das Geschäftsumfeld
Neben den Herausforderungen in der Agrarsparte steht Bayer vor zusätzlichen Belastungen durch die ungünstigen Standortbedingungen Deutschlands. Die Produktionskosten hierzulande zählen zu den höchsten in ganz Europa.
Ein Hauptfaktor dafür ist der enorme Anstieg der Strompreise, der Unternehmen stark belastet. Unter anderem ausgelöst durch die Energiewende sind diese in den letzten zwei Jahrzehnten dramatisch gestiegen. Die Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und der kostspielige Ausbau ineffizienter Energiequellen wie Wind- und Solaranlagen haben die Strompreise um über 200 Prozent in die Höhe getrieben. Diese Entwicklungen verschaffen Unternehmen massive Wettbewerbsnachteile.
Darüber hinaus lähmt die erdrückende Bürokratie die Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen in Deutschland müssen sich teilweise mit rund 125 gesetzlichen Vorgaben herumschlagen, die zeitaufwendige und lückenlose Dokumentationen erfordern. Insbesondere die Erfüllung der Anforderungen im Bereich der unzureichenden Digitalisierung, das Nachkommen des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes sowie die Einhaltung der ESG-Vorgaben stellen eine nahezu utopische Herausforderung dar.
Eine Studie des Münchner ifo-Instituts verdeutlicht die wirtschaftlichen Folgen dieser Überregulierung. Laut der Erhebung verursacht der Bürokratieapparat jährliche Verluste von etwa 146 Milliarden Euro an Wertschöpfung.
Auch die steuerliche Belastung hebt Deutschland im negativen Sinne hervor. Als Hochsteuerland ist es für viele Unternehmen zunehmend unattraktiv. Deutsche Unternehmen zahlen im Durchschnitt etwa 30 Prozent ihres Gewinns in Form von Körperschaft- und Gewerbesteuer – deutlich mehr als der OECD-Durchschnitt von 23,1 Prozent oder der EU-Durchschnitt von 21,2 Prozent. Hinzu kommt, dass viele deutsche Unternehmen als Personengesellschaften organisiert sind und daher Einkommensteuersätze von bis zu 47,5 Prozent tragen müssen.
Diese Rahmenbedingungen haben Bayer erheblich belastet und stellen neben den verlustreichen Agrar- und Pharmasparten einen entscheidenden Faktor für die gegenwärtige Krise des Konzerns dar.
Wie geht es mit Bayer weiter?
Doch wie könnte es nun für den angeschlagenen Konzern weitergehen? Gibt es noch Hoffnung auf eine Wende? FDP-Mitglied und Investmentstratege Ascan Iredi hält einen Übernahmeversuch des einstigen Pharmariesens für durchaus realistisch. „Es könnte jemand um die Ecke kommen und sagen, das ist ein interessanter Konzern,“ erklärt er.
Auch wenn eine vollständige Übernahme von Bayer eher unwahrscheinlich ist, deutet vieles auf eine strategische Neuausrichtung hin. Eine umfassende Restrukturierung des Konzerns gilt dabei als wahrscheinlichstes Szenario.
Eine Option ist die Aufspaltung in eigenständige Geschäftsbereiche für Pharma und Agrarchemie. Dieser Schritt könnte nicht nur Effizienzgewinne bringen, sondern auch ermöglichen, die spezifischen Herausforderungen der beiden Sparten gezielter anzugehen. Darüber hinaus steht der Verkauf von Randbereichen im Raum.
Obwohl solche Maßnahmen den Konzern finanziell entlasten könnten, wären sie zugleich ein Eingeständnis des Scheiterns der einst ambitionierten Wachstumsstrategie. Ob Bayer mit diesen Schritten tatsächlich die Wende gelingt, bleibt eine offene Frage.
Fazit: Symbol für den deutschen Abgesang
Die einstige Größe von Bayer scheint angesichts der aktuellen Finanzlage fast unvorstellbar. Der Konzern, der vor zehn Jahren noch als wertvollster deutscher Industrieriese galt, steht heute vor gewaltigen Herausforderungen. Der dramatische Wertverlust, die Probleme im Pharmabereich, die hohen Schulden und die finanziellen Belastungen durch die umstrittene Monsanto-Übernahme haben Bayer schwer zugesetzt.
Hinzu kommen die ungünstigen Standortbedingungen in Deutschland, die das Geschäftsklima weiter verschärfen. Die Zukunft von Bayer scheint in ein düsteres, ungewisses Licht getaucht. Der Konzern präsentiert sich zunehmend als ein Symbol für den wirtschaftlichen Verfall Deutschlands und spiegelt die immer schneller voranschreitende Deindustrialisierung des einst so stolzen Standorts wider.