Die Zahl der Gewinn- und Umsatzwarnungen hat in Deutschland im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht: Die 306 im Prime Standard gelisteten Unternehmen veröffentlichten insgesamt 171 Gewinn- oder Umsatzwarnungen – ein Anstieg um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nur im DAX ging die Zahl der Warnungen zurück: von 16 auf elf. In den übrigen Indizes wurde hingegen deutlich häufiger vor schlechten Zahlen gewarnt als im Vorjahr.
Erstmals seit dem Jahr 2014 lag die Zahl der Unternehmen, die ihre eigenen Ziele verfehlten, zudem höher als die Zahl derer, die sich besser als angekündigt entwickelten: Insgesamt 125 positive Gewinn- oder Umsatzerwartungen wurden veröffentlicht – weniger als im Vorjahr, als noch 137 Mal die Prognosen nach oben korrigiert wurden. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie von Ernst & Young (EY). „2019 war ein sehr schwieriges Jahr für viele deutsche Unternehmen. Die Aussichten waren zwar ohnehin nicht übermäßig positiv – tatsächlich entwickelten sich die Geschäfte aber vielfach noch schlechter als erwartet“, beobachtet Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY. „Die weltweite Konjunktur hat deutlich an Kraft verloren, der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt sorgte an den Börsen für zusätzliche Unsicherheit.“ Bemerkenswert sei allerdings die immer noch recht hohe Zahl an Aufwärtskorrekturen, betont Marc Förstemann, Partner bei EY in der operativen Restrukturierungsberatung: „Die Industrie steht zwar enorm unter Druck – auf der anderen Seite machen aber beispielsweise Immobilienunternehmen, Pharmakonzerne und spezialisierte Technologieunternehmen nach wie vor gute Geschäfte – und übertreffen sogar ihre eigenen Prognosen. Wir sehen also nach wie vor keine flächendeckende Krise.“
Obwohl die Märkte angesichts der konjunkturellen Eintrübung eigentlich auf schlechte Zahlen vorbereitet waren, wirkten sich die „Gewinnwarnungen“ erheblich auf die Kurse aus: Im Durchschnitt sanken die Kurse am Tag der Warnung um sieben Prozent, die Gewinnziele wurden dabei um durchschnittlich 37 Prozent nach unten korrigiert. Wenn hingegen Unternehmen ein Übertreffen ihrer Prognosen ankündigten, führte das am Tag der ad-hoc-Meldung im Schnitt zu einem Anstieg des Aktienkurses um vier Prozent – was allerdings auch mit einer deutlich geringeren durchschnittlichen Anhebung des Gewinnziels um 18 Prozent korrespondierte.
Steinbach ergänzt: „Derartige Ereignisse können Unternehmen im Erwartungsmanagement gegenüber Analysten und Investoren nur schwer vorhersehen. Im Lauf des Jahres dürften wir daher – je nach weiterer Ausbreitung des Coronavirus – weitere Prognosekorrekturen bei börsennotierten Unternehmen sehen.“ Nicht nur die vergangenen Wochen zeigten, wie globalisiert die weltweiten Lieferketten inzwischen sind und wie anfällig. „Weltweite Lieferketten funktionieren nur, wenn alle Rädchen ineinandergreifen. Wenn aber mit China ein wichtiger Produktionsstandort ausfällt, sind die Folgen rasch auch in Europa und Amerika zu spüren – die Teileversorgung stockt, erste Werke auch außerhalb Chinas drosseln die Produktion. Nun wird hektisch nach alternativen Lieferanten gesucht – sofern es überhaupt welche gibt. Nach dem Brexit ist dies ein weiterer Fall, der zu denken geben sollte: Weltweite Lieferketten sollten nicht nur auf Kostenminimierung, sondern auch auf Flexibilität und Belastbarkeit ausgerichtet sein“, so Förstemann.
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