Nach Abschaltung der Atomkraft, staatlich verordneten Heizungsinvestitionen in privaten Kellern und anderen erfolgreichen Rigorismen der Grünen hat sich die Verbotspartei auch bei der grundsätzlichen Lenkung der Wirtschaft durchgesetzt. Und alle Ampel-Koalitionäre machen mit. Populistisch lässt sich auch das verkaufen. Mehr Wettbewerb soll es ermöglichen, dass die Verbraucher bessere Qualität zu besseren Preisen erhalten. Preissenkungen und Qualitätsverbesserungen provozieren kaum Widerspruch. Da die Unternehmen offenbar nicht über diese Erkenntnis im Wettbewerb oder die geeignete marktwirtschaftliche Einstellung verfügen, wird ihnen dieses künftig durch die Bonner Behörde zur Lenkung der Volkswirtschaft erklärt.
Und diese Verfahren werden massiv sein und sogar solche Unternehmen überraschen und erschüttern, die immer auf die strikte Einhaltung des Kartellrechts geachtet haben. Das war auch in der Vergangenheit schon schwierig. Ein Gespräch zwischen Wettbewerbern über den zunehmenden Preisdruck bei Rohstoff- oder Energiepreisen und eine deshalb notwendig erscheinende Preisanpassung im Markt konnte auch bisher schon als Kartellverstoß geahndet werden. Unabhängig davon, ob es tatsächlich zu Preisanpassungen gekommen ist. Es wird brutaler werden.
Damit wird eine neue Dimension im deutschen Recht geschaffen: Die Verfolgung von Straftaten, die nicht stattgefunden haben. Es ist wie zu Zeiten der Inquisition. Menschen, die weder hexen konnten noch wollten, wurden verfolgt, gefoltert und exekutiert, obwohl sie keine Schuld hatten. Und schließlich wurde auch noch ihr Vermögen einkassiert. Die Arbeit des Bundeskartellamtes kann künftig missbrauchsunabhängig stattfinden.
Ein Blick auf die Angriffe des Kartellamts auf Unternehmen und Branchen während der zurückliegenden Jahre zeigt, dass die Atmosphäre, in der ein Teil der Wirtschaft in Deutschland agieren muss, durch den Aktionismus des Bundeskartellamtes vergiftet worden ist. So hat es für manche Verfahren schon ausgereicht, dass Wettbewerber die Absicht hätten haben können, Preise oder Marktsegmente abzusprechen. Auch wenn dies ihnen nachweislich nicht gelungen ist, schützte sie das nicht vor einer Behörde, die sich zu einem Profitcenter entwickelt und dabei jegliches Augenmaß verloren hat.
Sie wurden zu einer Form des Wettbewerbs getrieben, der aus Sicht der Kartellbehörde nur dann gut ist, wenn er sich durch konsequente Konfrontation im Markt und durch eine auf niedrige Preise fokussierte Konkurrenz auszeichnet. Dieser Weg birgt erhebliche Risiken für die Unternehmen, für den zumeist funktionierenden Wettbewerb, für die Arbeitsplätze und letztlich für die gesamte Gesellschaft, weil er Faktoren wie hochpreisige Markenpolitik, qualitativen Anspruch oder Serviceorientierung in Frage stellt. Diese Faktoren haben maßgeblich zur Stärkung der deutschen Wirtschaft beigetragen.
Konsumsteuerung bis zu Werbeverboten
Es ist ein defensives Verständnis von Freiheit, das der Regulation den Vorzug gibt, um ein vermeintliches Gefühl von Gerechtigkeit und damit auch Sicherheit zu erhalten. Damit beginnt eine gefährliche Entwicklung, in der staatliche Absicherung gefordert wird, um sich von Existenzängsten zu befreien. Wenn die Politik dieses Stimmungsbild aufgreift, um die Bürger vor missliebigen Produkten, vor verführerischen Verpackungen, vor unerwünschter Werbung, um die sich der grüne Minister-Kollege Özdemir kümmert, und ähnliche Aktivitäten der Wirtschaft mehr zu schützen, fördert sie ein unsere Gesellschaft schädigendes Meinungsklima. Sie beschneidet unternehmerische Freiheiten und entmündigt zugleich die Verbraucher durch Maßnahmen, die als Konsumsteuerung charakterisiert werden können. Hier werden gesetzliche Regelungen initiiert, denen ein unternehmensfeindliches Denken zugrunde liegt, und die dazu dienen sollen, Unternehmer und Unternehmen unter staatliche Kontrolle zu bringen.
Die Aufgabenbereiche der Wettbewerbsbehörde sind bisher durch vier Segmente klar definiert. Die Durchsetzung des Kartellverbots, die Fusionskontrolle, die Missbrauchsaufsicht über marktbeherrschende oder marktstarke Unternehmen und seit 1999 auch die Überprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes. Seit 2005 hat die Behörde zusätzlich die Option, sogenannte Sektorenuntersuchungen durchzuführen. Damit wird unabhängig von konkreten Einzelverfahren die Wettbewerbssituation in Branchen analysiert.
Renaissance der Inquisitionsprozesse
Das jetzt durch das Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz zusätzlich gestärkte Amt war immer schon eine machtvolle Behörde. Die auf unserer Verfassung beruhende Gewaltenteilung ist ein Prinzip des Rechtsstaats, dem sich das Bundeskartellamt unmerklich entzogen hat. Das Amt ist bei seinen Verfahren in Personalunion Fahnder, Ankläger und Richter. Zudem nimmt es für sich in Anspruch, auch noch das Opfer des angeblichen Kartellverstoßes, den Verbraucher, zu repräsentieren.
Das ist in der Summe eine sehr rationelle Form von Gewaltenkonzentration, bei der Synergien unausweichlich sind. Die Annahme, dass bei dieser Konzentration von Macht die Unparteilichkeit bei Verfahren gegeben ist, darf zu den rechtsstaatlichen Enttäuschungen gezählt werden. Prof. Dr. Wernhard Möschel, emeritierter Ordinarius für Wirtschaftsrecht an der Universität Tübingen und ehemaliger Vorsitzender der Monopolkommission, stellte in einem 2010 formulierten Gutachten unter dem Titel „Kartellbußen und Artikel 92 Grundgesetz“ fest: „Die gegenwärtige Praxis eines ‚Inquisitionsprozesses‘ im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren ist verfassungswidrig.“
Bislang limitierte die Rechtslage auch die erheblichen wirtschaftlichen Folgen einer Vollstreckung durch das Amt. Es war notwendig, einen Kartellverstoß nachzuweisen und den daraus erzielten Vorteil detailliert zu analysieren und zu berechnen. In der bisherigen Praxis hat das Kartellamt diese Schwierigkeiten oft durch geradezu erpresserische Deals umgangen. Ohnehin entspricht der Terminus Vorteilsabschöpfung nicht der rechtlichen Realität. Der Kartellrechtler Möschel erinnert hier an den Artikel 92 GG, nach dem die Verhängung von Strafen Gerichten vorbehalten ist. Dass eine mit 20 Euro bebußte Ordnungswidrigkeit einen qualitativen wie quantitativen Unterschied zu einer 300 Millionen Euro schweren Strafe aufweist, ist augenfällig. Die bisherigen rechtlichen Hürden werden durch das neue Gesetz gesenkt, um die Vorteilsabschöpfung zu erleichtern, die dann der Staatskasse zufließt. Und nicht zuletzt sollen die Sektorenuntersuchungen schlagkräftiger werden, um daraus missbrauchsunabhängige Entflechtungen abzuleiten. Das, was hier vollzogen werden soll, ist ein enteignungsgleicher Eingriff in die Geschäftsmodelle von Unternehmen.
Damit können keine Unternehmen und keine Branchen bei der sehr ambitionierten Vorgehensweise des Kartellamtes künftig sicher sein, nicht Kartellverfahren, Entflechtungen und Abschöpfungen ausgesetzt zu werden. Eine durch Misstrauen und Feindlichkeit gegenüber der Wirtschaft geprägte Grundhaltung wird dabei durch Verbraucherschutz maskiert. Die Offenheit gegenüber unternehmerischer Verantwortung und gegenüber der Funktionsfähigkeit von Marktwirtschaft existiert nicht. Recht und Freiheit müssen dafür geopfert werden.
Detlef Brendel ist Wirtschaftspublizist.